Kaiserslautern Geheimnisse im Pfälzer Boden

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Eine Höhensiedlung bei Annweiler aus der Urnenfelderzeit, das reich bestückte Grab einer im sechsten Jahrhundert Verstorbenen bei Heßheim, hunnische Reichtümer, vergraben bei Rülzheim: Die jüngsten archäologischen Entdeckungen in der Pfalz – ob durch Bauprojekte oder Sondengänger ausgelöst – können sich sehen lassen. Neue Techniken machen es möglich. Und: „Die Pfalz war schon immer ein siedlungsfreudiger Raum, darum ist archäologisch viel los“, sagt Ulrich Himmelmann, seit Januar 2014 Leiter der Außenstelle Speyer der Landesarchäologie und damit sozusagen Chefarchäologe für die Pfalz. Ein Besuch.

Dick in Gips, Folie und Klebeband gewickelte Pakete unterschiedlicher Größe liegen am Boden neben dem Schreibtisch von Ulrich Himmelmann. „Das ist unsere herausragende Frauenbestattung aus Heßheim“, sagt der 45-Jährige, und es wird plötzlich klar, was „Rettungsgrabung“ bedeutet. Fünf Monate hatte das Archäologenteam vor Baubeginn der Umgehungsstraße im Juli Zeit, um Zeugnisse der Vergangenheit zu bergen, ehe die Bagger zugreifen. Eine Bebauung aus dem 7. Jahrhundert wurde entdeckt, dazu etliche Skelette, und, recht spät unter einem Schützengraben aus dem Zweiten Weltkrieg, das gut 100 Jahre ältere Frauengrab mit ungewöhnlichen Beigaben wie einer Bergkristall-Wirtel (dem Schwunggewicht einer Handspindel) und einem Perlrandbecken aus Bronze, das nun als „Blockbergung“ Himmelmann zu Füßen liegt: Am Ende des letzten Grabungstags, in der Tornadonacht, die Framersheim verwüstete, wurden die Funde noch großflächig geborgen und eingegipst, um in Speyer vorsichtig freigelegt zu werden: Archäologie ist immer noch Abenteuer. „Da ist sicher noch das ein oder andere Goldteil drin“, freut sich Himmelmann auf die bevorstehende „Ausgrabung“ in der Werkstatt. Die zur Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) gehörende Landesarchäologie wird regelmäßig im Vorfeld von großen Bauprojekten tätig, wenn ein Blick ins Geoinformationssystem Fundstellen vermuten lässt. Dieses „archäologische Gedächtnis der Pfalz seit Kurfürst Carl Theodor“, so Himmelmann, versammelt als eine Art „Google Maps für Archäologie“ alle Fundinformationen seit Ende des 18. Jahrhunderts. Wenn Entdeckungen zu erwarten sind, bringen zusätzliche geophysikalische Untersuchungen Erkenntnisse. Himmelmann zeigt Computerbilder einer aktuellen Bodenuntersuchung, die offenbaren, was unter der Oberfläche wohl ruhen könnte. Er deutet auf zwei kreisförmige Strukturen: Überbleibsel von Grabhügeln aus der Bronzezeit, um 1300 vor Christus. Sie liegen auf dem Gelände der geplanten Erweiterung des Gewerbegebiets von Herxheim, dessen erster Teil westlich der Straße nach Insheim sich als sehr fundreiches und ungleich früher – vor 5000 Jahren in der bandkeramischen Jungsteinzeit – besiedeltes Gebiet entpuppt hatte. Gegraben wird vor Straßenbauprojekten wie in Heßheim, vor Gewerbegebietserschließungen wie in Herxheim oder vor Arbeiten an einer Wohnbebauung wie demnächst in Eppstein bei Frankenthal nur so weit und so tief, wie die neue Bebauung auch in den Boden eingreift, erklärt Himmelmann: „Wir bemühen uns immer, Dinge, die durch Baumaßnahmen nicht zerstört werden, auch im Boden zu lassen, weil der Boden selber das beste Archiv ist. “ Neben solchen geplanten Grabungen ruft auch vermehrt das Engagement von Laien die Archäologie auf den Plan: Sondengänger suchen mit immer aufwendigerem Gerät den Boden ab. Die GDKE arbeitet zwar schon seit Jahren mit Sondengängern zusammen, laut Himmelmann waren es in Speyer bisher zehn bis 20. Jedoch habe sich die Motivation für das Hobby verändert. „In den 80er und frühen 90er Jahren waren das fast alles Leute, die sich für Heimatgeschichte interessiert haben.“ Inzwischen dominiere ein Wettbewerbsgefühl. Himmelmann spricht angesichts der eher jugendlichen Sondengänger von einem „Geocashingfaktor“: „Es geht ums Finden, um Masse, nicht um die Aussage der Funde.“ Sondengänger wie der 23-Jährige aus Speyer, der Anfang des Jahres wegen Unterschlagung seiner Funde in Rülzheimer zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, verstehen sich als Schatzsucher. Durch sein unsachgemäßes Graben und Lagern hat er Schaden angerichtet. So ist der spätantike Klappstuhl aus versilbertem Eisen korrodiert, berichtet Himmelmann. Vor allem aber war der Fundort so zerstört, dass den Forschern nur die Gegenstände selbst blieben, um den Fund zu enträtseln: Die Stücke sind demnach ostgermanisch-hunnisch, stammen aus dem Karpatenraum und von der Krim. Alles richtig gemacht hat im Gegensatz nun der Südpfälzer Sondengänger, der auf dem steilen, stark erodierten Hohenberg zwischen Annweiler und Birkweiler auf Schmuck aus der Bronzezeit stieß – und die Funde gleich meldete und abgab. So konnte die erfahrene Gruppe Pfälzer Heimatforscher um Jochen Braselmann und Walter Ehescheid, die seit Jahren mit der Landesarchäologie zusammenarbeitet, das Gebiet genauer untersuchen. Die Ehrenamtlichen, die aus Berufen wie Lehrer, Vermessungstechniker, Steinmetz oder Metallfacharbeiter kommen, arbeiten so exakt, dass sich ihre Berichte wissenschaftlich bestens nutzen lassen, sagt Himmelmann. „Wir brauchen solche Leute, die sich in ihrer Region mit ihrer Geschichte identifizieren.“ Ihre Arbeit führt nun ein Promotionsstudent fort. Die Entdeckungen sind durchaus erstaunlich, es handelt sich um die älteste Höhensiedlung der Pfalz, zu datieren auf 1100 bis 900 vor Christus in der späten Urnenfelderzeit. Himmelmann spricht vom „Modell Mykene“: Auf einer wallbewehrten Burg residierte ein Herrscher, darunter lag die Zivilsiedlung. Auf dem Berg wurde aktiv Bronzeguss betrieben, „das war für die damalige Zeit High-Tech“. Weitere Funde deuten an, dass der Kontrollposten über dem Verbindungsweg im Queichtal „Mittelpunkt einer größeren Siedlungskammer“ war. Die Zusammenarbeit mit Sondengängern möchte die GDKE nun auch weiter strukturieren. „Es gibt viele, die wir auf richtige Spur lenken könnten“, glaubt Himmelmann. Der Weg, um eine Genehmigung fürs Sondengehen zu bekommen, wird derzeit auf Initiative des Landesarchäologen Axel von Berg landesweit vereinheitlicht. Künftig soll jeder Interessierte einen Antrag bei der Unteren Denkmalschutzbehörde in den Kreisverwaltungen oder direkt bei der Landesarchäologie stellen können. „Wir nehmen die Sondengänger dann unter unsere Fittiche“, sagt Himmelmann. Sie bekämen genaue Regeln an die Hand, wobei der 45-Jährige betont, dass man in Speyer natürlich keine 300 Leute betreuen könnte. Schon weil es das Personal dafür nicht gibt. Elf Mitarbeiter sind fest angestellt, darunter drei Archäologen, bei Grabungen werden Fachleute auf Zeit angestellt, dazu Studenten und Praktikanten. Himmelmann selbst kommt wiederum gar nicht zum Graben. „Eigentlich bin ich Archäologiemanager: Ich renne herum, und schaue, dass die Leute die Ressourcen haben, um ihre Arbeit gut machen zu können.“ Derzeit baut Himmelmann die Kooperation mit Universitäten wie Heidelberg aus. Dort hat er selbst in Ur- und Frühgeschichte promoviert – über den römischen Vicus in Eisenberg, wo gerade wieder Lehrgrabungen für und mit Heidelberger Studenten laufen, die auch neue Erkenntnisse bringen sollen. Noch lange sei die römische Siedlung, die wohl bis zum 5. Jahrhundert bewohnt war, nicht völlig entschlüsselt. Die Zeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter, aus der auch die Rülzheimer Funde und das Frauengrab von Heßheim stammen, sieht Himmelmann als besonders spannendes Arbeitsgebiet. „Das ist eine Zeit, über die wir gerade erst anfangen, mehr zu verstehen.“ Früher sei man davon ausgegangen, dass in der Pfalz um 406 „praktisch die Zivilisation endete“, nachdem die Germanen über den Rhein gekommen seien und alles römische Leben vernichtet hätten. Viele römische Orte bestanden jedoch weiter, in reduzierter Form, es kamen neue Siedler hinzu. Da Schriftzeugnisse fehlen, sind archäologische Funde die einzigen Zeugnisse über das Geschehen in diesen Jahren, in denen Menschen von West nach Ost wie auch – was die Rülzheimer Funde zeigen – von Ost nach West wanderten. Doch ohne Not, also um archäologisch Bedeutsames vor Bauprojekten zu schützen, wird nicht neu gegraben. Schließlich rechnen die Archäologen damit, den Boden in Zukunft mit zerstörungsfreien Methoden untersuchen zu können. Damit bleibt bewusst so manches Rätsel vorerst ungelöst. Kontakt und Termine —Im „Archäologischen Schaufenster“, Gilgenstraße 13 in Speyer, lässt sich die Landesarchäologie über die Schulter schauen. Die aktuelle Ausstellung „Vogelperspektiven“ widmet sich der Luftbildarchäologie in der Pfalz, sie läuft bis Frühjahr 2016. —Begleitend gibt es Vorträge , nächste Termine sind am 10. September („Schöninger Speere“), 15. Oktober (Luftbildarchäologie) und 19. November (Weinbau in der Römerzeit); —Internet: archaeologie-speyer.de

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