Kaiserslautern Furioser künstlerischer Standard in allen Sparten

91-88785208.jpg

Das spartenübergreifende Eröffnungskonzert des Pfalztheaters zur neuen Spielzeit reflektierte das Spielplanmotto „Fremde Welt! Vertraute Heimat“, gab dem 200. Jubiläum des Bezirkstags Pfalz einen würdigen Rahmen und repräsentierte schon zum Auftakt einen furiosen künstlerischen Standard in allen Sparten. Am Samstag nahmen alle Ausführenden die Chance zur Profilierung und zur Werbung in eigener Sache entschlossen wahr.

Es war programmdramaturgisch durchdacht, mit Schuberts vierter Sinfonie ein Werk aufzuführen, das 1816 aus der Taufe gehoben wurde. Was den Beinamen „Tragische“ anbelangt, wird im Manuskript Schuberts die Echtheit inzwischen bezweifelt. Das Dirigat von Chordirektor Johannes Köhler machte im Kopfsatz zwar die verinnerlichte Haltung des Satzes bewusst, mied aber dramatische Aufschwünge, stellte vielmehr die klassizistische Formgebung heraus. Köhler modellierte feinsinnige Phrasierungsbögen, baute Spannung auf, aber doch in klassizistischer Ausgewogenheit. Das Orchester folgte mit Sensibilität und Expressivität. Der Vortragsblock der mit großer Spannung erwarteten Märchenoper „Hänsel und Gretel“ von Humperdinck (Premiere 29. Oktober) zeigte nach 15 Jahren der Abstinenz ebenfalls beim Orchesterpart unter dem Dirigat des ersten Kapellmeisters Rodrigo Tomillo spielerische Solidität und Sensibilität für die lyrisch-poetischen Stimmungen der Partitur. Dies galt für die Gesangspartien weniger; Humperdincks Melodien greifen entweder Lieder im schlichten Volkston auf oder wurden in diesem schlichten Tonfall neu komponiert. Diesen zwischen kindlicher und volksliedhafter Melodik und dem strukturellen Aufbau einer Opernarie schwankenden Tonfall traf nur Arlette Meißner. Rosario Chávez neigte zur Drastik veristischer Opern. Die erste große Opernpremiere mit der Verdi-Oper „Attila“ am kommenden Samstag wirft ihre Schatten voraus und führte beim Eröffnungskonzert zu einer Grande Szene mit Orchester, Chor und Extrachor sowie dem Gast des Musiktheaters, Tenor Paulo Ferreira. Die Szene wurde als großes Finale zu einem empathischen Bekenntnis zur großen dramatischen italienischen Oper zum Thema nationale Mythen. Hinterließ bei der Romanze der Odabella Yamina Maamar zuvor einen ganz hervorragenden künstlerischen Gesamteindruck hinsichtlich stimmlichem Glanz und Ausdruckskraft, so galt dies für den „Dreiklang“ aus Chor, Orchester und Solist Paulo Ferreira hinsichtlich der klanglichen Verschmelzung zu einer klanglichen Vision, die GMD Uwe Sandner konsequent verfolgte. Neben der Strahlkraft des Tenors ließ der Chor durch eine verfeinerte klangliche Ästhetik aufhorchen. Der Programmteil mit Kostproben aus dem Musical „Anatevka“ wirkte in der schauspielerischen Leistung etwas statisch. Da ragten nur die Gesangspartien von Monika Hügel heraus. Dagegen setzt die schon erkennbare Inszenierung der Operette „Die Csárdásfürstin“ die Irrungen, Wirrungen des Genres einfallsreicher und dynamischer um. Und schien die lebhaft pulsierende Musik − dirigiert von Tomillo − sogar noch anzutreiben. Knüpften die anderen Sparten an die Erfolge der Vorjahre nahtlos an, so war beim Ballett − das sich jetzt als Tanzensemble versteht − eine deutliche Akzentverschiebung zu spüren. Der neue Leiter und Chefchoreograf James Sutherland sowie ein neues Selbstverständnis brachten bei der Aufführung zur Musik (vom Band in fragwürdiger Qualität) von Steve Reich eine eindeutige Standortbestimmung: vom klassischen Ballett hin zum modernen Tanztheater, von klassischer Ästhetik und Sinnlichkeit mit einer schöngeistigen grazilen Note hin zu gleichsam beschwörender Gestik und Mimik mit einem Hang zur Akrobatik. Insgesamt polarisierend, provokativ und einer Art Perpetuum mobile der minimalistischen Musik folgend: Wie diese um einen Einfall kreist, rotieren bei Sutherland die Akteure, steigern atemberaubend ihre Intensität bis ihre Bewegungen erstarren. Allerdings: Zu überdenken ist die seit Jahren bei solchen und anderen Galas zu beobachtende Gewichtung: Sechs mehrteilige Aufführungen des Musiktheaters, vier Präsentationen des Schauspiel-Ensembles und nur eine des Balletts, pardon „Musiktheaters“, könnten als Indikator für eine Hierarchie empfunden werden. Am deutlichsten brachte das Schauspielensemble das Spielplanmotto bei dem Dialog des Satirikers Karl Valentin „Die Fremden“ mit der Quintessenz „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ auf den Punkt. Rainer Furch als Fragesteller in Oberlehrer-Manier und die abwechselnd, sich skurrile, abstruse rhetorische Bälle zuwerfende Akteure führten das Thema in allen erdenklichen Variationen durch und vor allem ad absurdum.

x