Kaiserslautern Eine Doppelfuge als Gotteslob

„100 Jahre, 100 Sinfonien“ ist der Titel unserer Serie, in der wir 100 sinfonische Werke vorstellen, die zwischen 1800 und 1900 entstanden sind. Heute kehren wir nochmals zurück zu einem ganz Großen der Gattung: Anton Bruckner. Seine fünfte Sinfonie in B-Dur erlebte 1894 ihre Uraufführung – zwei Jahre vor Bruckners Tod und fast 20 Jahre nach Kompostionenbeginn.

Das Werk teilt ein Schicksal mit so vielen Bruckner-Kompositionen. Verkannt, missverstanden, als unaufführbar verschrien. Fast 20 Jahre mussten vergehen, ehe die fünfte Sinfonie, mit deren Komposition Bruckner 1875 begonnen hatte, erstmals in einem Konzert erklingen konnte. Der Komponist selbst konnte bei der Aufführung in Graz unter der Leitung von Franz Schalk nicht dabei sein. Er war schon von Krankheit gezeichnet und zu geschwächt für die Reise von Wien in die Steiermark. Vielleicht ist das auch ganz gut so gewesen. Denn Bruckner wäre wohl entsetzt gewesen, wenn er hätte mit anhören müssen, was man seiner Kunst wieder einmal angetan hatte. Vor allem das gigantische Finale, das zu den großartigsten Schöpfungen im an solchen nun wahrlich nicht armen Gesamtwerk Bruckners zählt, wurde in einer stark gekürzten, ja verstümmelten Version dargeboten. Doch bevor man dies nun verurteilt, lohnt ein zweiter Blick auf das Werk und Bruckners spezielle Lage in der österreichischen Musiklandschaft. Dass er es schwer hatte, wissen wir. Dass seine Freunde – und Franz Schalk zählte zu diesen – ihm helfen wollten, steht außer Frage. Die vielen Änderungen an seinen Werken, die er auf Wunsch seiner Freunde vornahm, sollten ja vor allem einen Zweck erfüllen: Bruckner zu Publikumserfolgen zu verhelfen. Schalk gelang dies durchaus mit der so stark von ihm veränderten Fassung der Fünften, die im Original – also so, wie sie auch heute gespielt wird – schlichtweg eine Überforderung des Publikums dargestellt hätte. Denn es gibt vielleicht keine zweite Sinfonie Bruckners, deren Anspruch ein so hoher war wie in der Fünften. Auch wenn der tiefgläubige Mann aus St. Florian immer wieder ein Gotteslob angestimmt und seine Werke einem quasi göttlichen Bauplan angepasst hat, nirgends tat er dies so dezidiert wie hier. Die Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung (eine absolute Ausnahme im Werk Bruckners), in der die Grundsubstanz der ganzen Komposition angelegt ist. Die Saat ist ausgelegt, aufgehen wird sie dann im Finale. Diese zielgerichtete Fixierung auf den Schlusssatz, der dann nochmals alles Gesagte zusammenfasst und zu einem Höhepunkt führt, finden wir zwar auch bei anderen Komponisten. Bei Bruckner kommt aber noch eine entschieden sakrale oder religiöse Ebene hinzu. Da wäre zum einen die zentrale Bedeutung, die Bläserchoräle in der Sinfonie einnehmen. Immer an den formalen Schaltstellen, an den Scharnieren zwischen den großen Formteilen, erklingen sie und werden damit besonders betont. Das andere ist der intensive Einsatz von Kompositionstechniken, die wir vor allem aus der Kirchenmusik kennen. Gerade das Finale ist – ähnlich wie der letzte Satz von Mozarts „Jupitersinfonie“ – ein Glanzstück sinfonischer Kontrapunktik. Bruckner führt das Stück in einer Doppel-Fuge zu einer gewaltigen Schlussapotheose, die nicht anders denn als Gotteslob verstanden werden kann. Von überwältigender Wirkung ist sie zudem.

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