Kaiserslautern „Ein Stück über das Wegschauen“

Nicht mit einem Festakt mit langen Reden beging die Volkshochschule Kaiserslautern am Sonntag ihr 110-jähriges Bestehen, sondern „mit einer Veranstaltung, die unserem Bildungsauftrag gerecht wird“, wie sich ihr Leiter Michael Staudt ausdrückte. Passend zum Volkstrauertag zeigte das Chawwerusch-Theater aus Herxheim in der Kammgarn das Theaterstück „Fräulein Braun – Ein Stück für eine Schauspielerin und einen Deutschen Schäferhund“ von Ulrich Hub.

Das Chawwerusch-Theater macht es seinen Zuschauern nicht leicht. „Ein Stück über das Wegschauen“, nennt es der Autor. Über das Wegschauen, das Millionen von Deutschen während der Nazizeit taten. Ein Stück über die Frau an Adolf Hitlers Seite, die von ihrer eigenen Unschuld überzeugt ist und durch ihre Ignoranz ein Paradebeispiel deutscher Schuld ist. „Fräulein Braun“, 1995 am Thalia-Theater in Hamburg uraufgeführt, wirft einen Blick auf das Innenleben von Eva Braun. Wir lernen sie als einfaches 17-jähriges Mädchen kennen, mit anspruchslosen Träumen und Gedanken, die beherrscht sind von Liebe, Mode, Film und Klatsch. Wir begleiten sie bis zu ihrem Selbstmord im Berliner Bunker im Alter von 33 Jahren. Im Fotoatelier Heinrich Hoffmann hatte der 23 Jahre ältere Diktator das Mädchen Ende der 1920er Jahre kennengelernt. „Er fraß mich mit den Augen“, sagt sie. Braun wird Hitlers Mätresse mit allen Ängsten, Heimlichkeiten, Demütigungen, die diese Stellung mit sich bringt. Deutlich wird in Brauns Monologen Hitlers Beziehungsarmut. Der Führer war unanrührbar. Die ihm am nächsten kamen, standen ihm nur weniger fern. Er nimmt sie mit auf den Obersalzberg am Königssee, wo sie sich als „Inbegriff der deutschen Frau“ fühlt und als Geliebte des mächtigsten Mannes Deutschlands. Sie ist aber auch von der ständigen Sorge umfangen, verlassen zu werden. Und sie ist von Hitlers Egozentrik und kleinlicher Haustyrannenart abhängig. In seinem Reglementbedürfnis hat er ihr Sonnenbaden, Tanzen und Rauchen verboten, dabei „liebt sie doch den Budenzauber“. Seine Eifersucht ist beträchtlich, doch gleichzeitig vernachlässigt er sie so sehr, dass sie einen Suizidversuch unternimmt. Um nicht ganz so allein zu sein, bekommt sie ein „Hunderl“. Auf dem Obersalzberg bleibt sie stets im Halbverborgenen, wird auf ihr Zimmer verbannt, wenn Gäste kommen. Größere Ungezwungenheit bringt seine rohen, gefühllosen Züge zum Vorschein. Selbst im Schlafzimmer gibt er sich herrisch, wenn er beim Liebesakt „schreit wie in Nürnberg auf dem Parteitag“. „Sehr intelligente Männer sollten sich eine primitive und dumme Frau nehmen“, sagt er auch. Dass Eva Braun die Gabe des Wegschauens besitzt, merkt man an so leisen Andeutungen wie „die paar zerbrochenen Fensterscheiben“ (Reichspogromnacht 1938) oder von Transporten nach Polen („bloß nicht davon reden, sonst kommst du ins Lager“). „Ich kenne einen, der hatte im KZ beste Behandlung“, sagt sie. Parallel verfolgt der Zuschauer die Entwicklung des „Deutschen Schäferhundes“ vom kleinen Mann und Mitläufer bis hin zum Fanatiker, der im Berliner Sportpalast vor Begeisterung schreit, wenn Goebbels vom „Totalen Krieg“ spricht. Die Figur steht für Vieles: Da ist der Soldat, der willfährig Befehle ausführt. Sektflaschen werden zu Panzerfäusten, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Und da ist Hitlers Hund Blondi, Evas größter Konkurrent im Ringen um die Gunst des Führers. Er liebt den Hund mehr als die Menschen. Die Atmosphäre um die letzten Stunden Brauns ist so bedrückend, dass man Gänsehaut bekommt und der Beifall nur zögerlich aufkommen will. Miriam Grimm und Stephan Wriecz zeigten eine großartige schauspielerische Leistung. Vor allem Grimm verdeutlichte die Wandlung vom fröhlichen Mädchen bis zur vereinsamten Mätresse sehr plastisch. Mit diesem „Paradestück politischen Theaters“ (Staudt) verbindet die VHS einen Spendenaufruf. Titel: „Der Schrei – Kunst wider das Vergessen“. Die VHS möchte eine Skulptur des französischen Künstlers Gérard Koch kaufen und ausstellen. Koch wurde 1926 als Günther Manfred Julius Koch in Kaiserslautern geboren. Als Kind jüdischer Eltern musste er aus der Pfalz fliehen. „Vor dem Hintergrund der aktuellen neonazistischen Agitation in der Stadt kann mit dem Ankauf eines Kunstwerkes von Gérard Koch, der in diesem Jahr in Paris gestorben ist, ein deutliches Zeichen gesetzt werden“, so Staudt. (fk)

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