Kaiserslautern Die zwei Leben der Sibylle

Sicher hat sich die Uni Landau das mit ihrer Poetik-Dozentin Sibylle Lewitscharoff anders vorgestellt. Eingeladen wurde Ende vergangenes Jahr die Sprach-Virtuosin und Büchner-Preisträgerin Lewitscharoff. Ein Literaturstar. Kommen wird heute eine Schriftstellerin, die inzwischen in gewisser Weise als völlig entsicherte Exzentrikerin gilt. Die Uni hat sich vorab von ihr distanziert. Was ist passiert?

Das zweite öffentliche Leben der Sibylle Lewitscharoff begann am 2. März mit einer Rede im Staatsschauspiel Dresden. „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“ war ihr Thema. Applaus. Signierstunde. Alles war wie immer, drei Tage später nichts mehr. Früher war sie ein gern gesehener Gast. Jetzt sagte der Kirchenhistoriker Christoph Marschieß ein Gespräch mit ihr in der Berliner Nationalgalerie ab. Die Grünen demonstrierten stumm, als sie in Bad Soden auftrat. Ihr neues Buch, ein Krimi mit Katze, der „Killmousky“ heißt, wird eher reserviert aufgenommen. Und die Uni Landau sah sich am 24. Juni veranlasst ein „Statement der Hochschulleitung zur Verleihung der Landauer Poetik-Dozentur an Sybille Lewitscharoff“ zu veröffentlichen. Darin steht, dass die Entscheidung für sie bereits Ende 2013 gefallen sei. Das soll wohl heißen: Jetzt hätte man sie nicht mehr ausgewählt. Das erste öffentliche Schriftstellerinnen-Leben der Sibylle Lewitscharoff begann im Sommer 1998 in Klagenfurt. Als Geheimtipp angereist, 44 Jahre alt, gewann sie haushoch den Nachwuchs-Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Einen Auszug aus ihrem Roman „Pong“ hatte sie vorgelesen. Jeder der ihn damals gehört hatte, war verzaubert. Es geht um die unwahrscheinliche, seltsam ver-rückte „Singularperson“ Pong, die auf „dem Wege der Vermehrung durch Entzweireißen“ auf die Welt kam. Die Tochter einer Schwäbin und eines in den 1940er Jahren nach Stuttgart emigrierten Bulgaren, kam damit auf einen Schlag groß raus. Eine Könnerin, sprachmächtig, tiefsinnig, hochbegabt, belesen, gescheit, originell, variabel und offen für mehrere Wirklichkeiten. Es dauerte nur 15 Jahre, vier Romane, dazu Erzählungen, Essays, Reden bis ihr unter allgemeinem Beifall der wichtigste aller deutschsprachigen Literaturpreise, der Büchner-Preis, verliehen wurde. „Pong“ war nur der Anfang. Romane wie „Apostoloff“, in dem eine hemmungslos eigenmächtige Erzählerin von der Rückbank herab eine Bulgarienreise schildert. Oder „Blumenberg“, in dem bei dem berühmten Philosophen zuhause im Arbeitszimmer ein Löwe auf dem Teppich sitzt, zementierten ihren Ruf als furiose artistische Erscheinung mit starkem Hang zu Todesthemen. Ausgiebig pflegt sie den schwäbischen Dialekt. Mehr beiläufig bis amüsiert wurden ihre ungeschützte Streitlust und Wutbegabung, ihre Exzentrik zur Kenntnis genommen. Dass sie zur Abweichung neigt, weiß man ja ohnehin aus ihren eigenen Erzählungen. Der Selbstmord ihres Vaters, sie war elf, hat sie schwer getroffen. Als Zwölfjährige lief sie mit Amendts „Sexfront“ unterm Arm auf dem Schulhof in Stuttgart-Degerloch herum. Später schmiss sie LSD-Trips ein, um diesen „Herkunftsort“ hinter sich zu lassen. Sie war Trotzkistin, frauenbewegt, früh nach Berlin gezogen, wo sie immer noch lebt. Im Brotberuf gab sie lange die Buchhalterin in der Werbeagentur ihres Bruders. Sie ist schwer religiös, evangelisch. Ihre Meinungen wurden immer wertkonservativer. Nach wie vor liebt sie Brentano, Kafka, Nabokov und den Künstler Friedrich Meckseper, der für seine rätselhafte Präzisionskunst bekannt ist. Kinder hat sie keine. Sie habe, sagte sie einmal dazu, „nie das Begehren gehabt, sich genealogisch fortzuschreiben“. Eine Meinung über diejenigen, die dieses Begehren sehr stark empfinden, so stark, dass sie sich sogar helfen lassen, hat sie – leider - auch. Die Welt erfuhr davon am 5. März. Drei Tage nach ihrer „Dresdner Rede“ wie gesagt, als Robert Koall, der Chefdramaturg am Staatsschauspiel ist, einen Offenen Brief an seine Gastrednerin veröffentlichte. Ein längeres Schreiben mit einer abrückenden Anrede. „Sehr geehrte Frau Lewitscharoff“ begann er. Und endete fassungslos. Vorher schon war Lewitscharoff, die sich, wie sie freimütig bekennt, „recht bald“ schon im Leben durch ihren Namen „zum Levitenlesen aufgerufen fühlte“, mit dezidierten Meinungen und gewöhnungsbedürftigen Einschätzungen aufgefallen. In ihren bei Suhrkamp herausgegebenen Poetikvorlesungen „Vom Guten, Wahren und Schönen“ wird nicht nur als „vornehmste Aufgabe“ der Literatur bestimmt, die „Totenwache zu halten und Totengespräche zu führen“. Die genialische Querulantin beschimpft auch von Brad Pitt („stupsnasig“) über die Wende-Prosa von Günter Grass („ranschmeißerischer Unfug“), Margot Käßmann („plappert“) und das „Romangesocks“ aus der „Leipziger Schreibschule“ so ziemlich alles und jeden. Tätowierungen und Magersucht bringt sie mit den Konzentrationslagern der Nazis in direkte Verbindung. Und im Anstieg der Feuerbestattungen sieht sie „die Sehnsucht, sich mit der Asche der Juden zu vermengen“. Sie sei „nun mal ein angriffslustiger Terrier“, ein „altes Diskurskäsperle“ oder wahlweise auch „ein exzentrisches Käsperle“ informiert sie dort die interessierte Öffentlichkeit. Was sie aber in Dresden so an tief empfundener „Abscheu“ über die künstliche Befruchtung äußerte, hielt sie später selbst für „a bissle arg“. A bissle arg? Ein großer Rest der geistigen Republik Deutschland war entsetzt, dass sie in Dresden alttestamentarische Masturbationsverbote forderte, die Reproduktionsmedizin ein „künstliches Fortpflanzungsgemurkse“ nannte und mit den „Kopulationsheimen der Nazis“ verglich. Eine „Selbstermächtigung der Frauen über ihren Körper“ sei es, sich bei der Zeugung von Kindern medizinisch helfen zu lassen, „verachtenswert“. Vor allem aber nannte sie mit einem rätselhaft fundamentalistischen Furor die Kinder aus dem Reagenzglas „Halbwesen“, „halb Mensch, halb künstliches Weißichnichtwas“. Vor allem, es dauerte, bis sie diese Bösartigkeit zurücknahm. Eher halbherzig, vielleicht ein wenig auch erschrocken über sich selbst. Sie bangt jetzt um ihr literarisches Renommee – a bissle bestimmt. Überall wird sie seit Sachsen auf ihre bizarren Ansichten angesprochen, wenn ihre Gesprächspartner nicht gleich absagen. Manchmal weicht die studierte Religionswissenschaftlerin dabei auch aus – in andere Häme. Zum Beispiel über Christen, die doch nur Juden werden würden, um „in ein jüdischen Opferhäutchen zu schlüpfen“. In Landau, bei der Auftaktveranstaltung zu ihrer Poetik-Dozentur heute Abend im Alten Kaufhaus dagegen, will sie im Gespräch mit dem Autor Karl-Heinz Ott von sich aus Stellung zu ihrer Dresdner Rede nehmen. Man darf gespannt sein, wie viel „exzentrisches Käsperle“ sie dieses Mal rauslässt.

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