Kaiserslautern Der aufsteigende Stern Dart-Deutschlands

Leise Freude: „Gaga“ ruht in sich, ist konzentriert und hämmert die Pfeile mit einer Gemütsruhe ins Board.
Leise Freude: »Gaga« ruht in sich, ist konzentriert und hämmert die Pfeile mit einer Gemütsruhe ins Board.

«London.»Der große Dart-Traum, er ist ausgeträumt. Gabriel Clemens (35), der wuchtige Saarländer im Modus des sorglosen Pfeilewerfers, schmiss bei der PDC-Weltmeisterschaft in London die Darts seines Lebens – in einem Drama der Extraklasse unterlag er dem gesetzten Schotten John Henderson 2:3. Kaiserslautern fieberte, Kaiserslautern rühmt sich mit dem deutschen Star, der sich im Debüt-Jahr als Profi anmaß, die Weltelite zu schocken. Fabelhaft! „Gaga“ Clemens’ Auftritt war nur ein Zwischenstopp auf der Reise in die PDC-Spitze.

Tops-Maschine. Und auf einmal, da kochte es selbst in jener Type, die die Checks so cool und staubtrocken verarbeitet, als wären sie nichts. Gabriel Clemens zeigte Fäuste. Erst hämmerte er den zweiten Dart in die Doppel-20, dann schwenkte er zur Seite, ballte die Pranken, rief in die VIP-Box. 14-Darter, 2:1 in Sätzen. Clemens machte das, was er am besten kann: aus. „Er hat kaum Doppelprobleme in diesem Jahr. Er wirft immer locker drauf, man merkt ihm nichts an“, stellte TV-Experte Kevin Münch just wenige Minuten vor Clemens’ abgebrühtem Wurf fest. Der „German Giant“, er war gigantisch. Ein 94er-Average, Checks wie eine 125 nur über das Bull, oder eine Doppelquote von fast 50 Prozent belegten das – nur: John Henderson, der „Highlander“ aus dem hohen schottischen Norden, legte das perfekte Timing in seine Darts und schickte den Deutschen nach zwei Runden im „Ally Pally“ nach Hause (wir berichteten). „Er hat auf Doppel nicht viel liegenlassen. Da hat der bessere Spieler gewonnen. Das ist die Klasse von ihm, er kann im richtigen Moment die 141 ausmachen“, befand Clemens hinterher, ruhig wie eh und je. Natürlich, auch bei seinem Stamm-Verein DV Kaiserslautern registrierten sie, wie in ganz Dart-Deutschland, den euphorischen Clemens’schen Pareforceritt. Wenn ein Sascha Goldammer (44). sein Mitspieler beim Dartverein Kaiserslautern, der 2014 beim European Darts Grand Prix in Sindelfingen sein PDC-Debüt feierte, prophezeit, der „Weg ist geebnet“, dann ist das aussagekräftig. Man glaubt an seinen Profi, man sieht ihn bald in anderen Sphären der PDC-Welt. „Er hat sich gar nichts vorzuwerfen und hat abgerufen, was drin ist. Gewisse Spieler wie ein Hendo sind eben in der Lage, nur das Board zu spielen“, bilanzierte Goldammer. „Bei der WM muss es knallen. Er hat gezeigt, dass er einen 90er-Average locker aus der Hüfte schießen kann.“ Die 15.000 Pfund Preisgeld aus dem „Dart-Theater der Träume“ Alexandra Palace werden Clemens in der Order of Merit hochkatapultieren – zumal der bescheidene Saarländer keine Kohle aus 2017 zu verteidigen hat. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wurfgranaten. Aus dem Preisgeld, das nach zwei Jahren gelöscht wird, wird die Ranglistenposition errechnet. Heißt: Erst nach Clemens’ zweiter Saison, die im Januar anläuft, lässt sich realistisch einschätzen, wo sich die (Noch-)Nummer 66 der PDC einpendelt. Auf die Top-32 spekulieren die Experten, die Quoten bei den Buchmachern sind seit den abenteuerlichen Shows auf der Pro-Tour ohnehin nicht im Keller. Clemens ist der aufsteigende Stern Dart-Deutschlands. „Er hat seine Marken hinterlassen und bewiesen, dass die Saison kein Zufallsprodukt war. Er ist weiter als Hopp oder Schindler, er hat dieses Scheiß-Egal-Gen“, erzählt DVK-ler Sebastian Kappler (42). Tatsächlich, der 1,95-Meter-„German-Giant“ kann sich stellen, was er will – er haut es weg. Alleine die Chuzpe zu haben, die 125 über zwei Bullseye zuzuziehen… Keck von einem, der den größten Dart-Zirkus der Welt, den „Ally Pally“, bis vor wenigen Tagen nur von der Fernsehcouch kannte. „Wenn man gut spielt, kommen die Erfolge irgendwann automatisch. Man kennt ihn, er ist ein lieber Kerl, das gönnt ihm jeder“, traut Goldammer dem Kollegen Großes zu. Dass er ein „sehr talentierter Spieler“ sei, „gegen den ich mein bestes Dart werfen muss“, hatte Henderson vor dem Duell der Pfundskerle angekündigt. Was er tat. Seine Tops-Quote war beängstigend, ein 95er-Average, geerdet, aber doch Weltklasse. „Man darf nicht immer was Dreistelliges erwarten“, mahnt Kappler. Übrigens: Clemens war „zufrieden“ mit seinem Auftritt, wie er im Postmatch-Interview emotionslos ins Mikro sprach. Jetzt erst mal Urlaub, dann im nächsten Jahr weiter, ganz normal. Unter der Woche schuften, am Wochenende England, ein Leben zwischen seinem Job als Industriemechaniker bei einem Entsorgungsunternehmen und der schillernder Promi-Szene. Vielleicht mal, irgendwann, könnte er ja ein Sabbatical einlegen. Höchstens. Doch festlegen will er sich da noch nicht. „Ich hab’ ja jetzt über Weihnachten ein paar Tage Zeit, nachzudenken“, sagt er.

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