Kaiserslautern Casino: Klavierabend mit Ekaterina Tarnopolskaja

Dem Klavierrezital der aus Moskau stammenden Pianistin Ekaterina Tarnopolskaja im Casino der Volksbank war am Freitag ein sensationeller Erfolg beschieden: Die Dozentin der Musikhochschulen Mannheim und Stuttgart mit Gastprofessur in Izmir (Türkei) und mit Meisterkursen in ihrer Heimatstadt wartete mit einem reinen Chopin-Programm auf, das sie konsequent und stringent als Spannungsbogen aufbaute.

Ihr programmatischer Leitfaden „Virtuose Klavierpoesie“ ist eigentlich ein Paradoxon: Entweder ist eine Musik lyrisch, elegisch und beseelt, oder sie ist Ausdruck des auftrumpfenden Virtuosentums mit dem Beigeschmack der Effekthascherei. Allerdings ist dieser Widerspruch schon im 19. Jahrhundert angelegt, und es gibt Komponisten – wie eben Chopin – die in ihren Zyklen beide Aspekte entwickeln, ja sogar innerhalb der Vortragsstücke (hier: Etüde, Nocturnes, Mazurken, Polonaisen und Walzer) im jeweiligen Tonfall auch mal abrupt wechseln. Für die Pianistin ist es zudem neben der kompositorischen auch eine Interpretationsauffassung: Die seit dieser Spielzeit auch als Studienleiterin am Münchner Gärtnerplatztheater wirkende Musikerin rückte ohnehin mit ihrer Brillanz und Rasanz, mit forschen Tempi, kräftig konturierten Akkordblöcken und packendem gestalterischem Zugriff bei den melodischen Linien Chopin stilistisch in die Nähe der späteren Klavierkomponisten-Generation wie etwa Sergei Rachmaninow oder Alexander Skrjabin. Für den Interpreten und Rezipienten ist es musikhistorisch betrachtet eine Frage der Balance – im 19. Jahrhundert schlägt das Pendel nach Schubert und Schumann zunehmend in Richtung virtuose (Selbst-)Darstellung, formale und tonale Auflösung sowie alterierte Harmonik und grifftechnisch Ausloten aller spieltechnischen Möglichkeiten aus. In Chopin, so machte der gut besuchte Klavierabend deutlich, zeigt sich der Wandel von klassizistisch-romantisch bis hin zu diesem Experimentierfeld pianistischer Möglichkeiten. Die Frage bleibt: Was weist in seinen Klavierwerken schon weit voraus? Tarnopolskaja spielt einen Chopin aus heutiger, rückblickender Sicht. Will sagen: Sie neigt eher zu Übertreibungen bei kraftvollen Akzenten, zu orchestraler Opulenz, zu scharfer rhythmischer Pointierung und thematisch zur deutlichen Kontrastbildung in dynamischer und agogischer Hinsicht. Glätten, zurücknehmen in eine gewisse Innerlichkeit und meditative Versenkung zeigt sie nur gelegentlich. Stets schimmert das durch, was die Kritik oft mit „Tastenlöwe“ metaphorisch umschreibt, was aber einen negativen Beigeschmack hat und bei ihr hier auch nicht den Kern trifft. Würde ihr hier andererseits unterstellt, Tarnopolskaja spiele Tarnopolskaja, träfe dies auch nur die halbe Wahrheit, zeigt sie doch eine intensive Auseinandersetzung mit den ausgewählten Miniaturen. In ihrem technisch makellosen, absolut souveränen Spiel zeigt sich vielmehr, wie schwer eine interpretatorische Annäherung rückblickend auch immer ist. Daher war die Reaktion eines fachkundigen Publikums – trotz mehrerer, gefeierter Zugaben – immer ambivalent, wie die Pausendiskussionen zeigen. Was bleibt, ist die wiederholte Erkenntnis, dass der Raum für dramatische Aufschwünge dieser Art zu klein und der zudem weit geöffnete Konzertflügel im Anschlag zu hart ist. Auch dies ist diskussionswürdig, weil viele in der Pause wieder die kristallene Klarheit und Trennschärfe der thematischen Konturen bewunderten.

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