Kaiserslautern Barockpuzzle mit Restrisiko

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In der Bundeshauptstadt bauen sie ein Schloss. Und laden zum Halbzeit-Begucken des Baustellen-Fortschritts ein. Ein Jubelrundgang, der jedoch nicht darüber hinwegtäuscht, dass die Berliner Baumeister noch einige Sorgen haben.

Halbzeit bei den Fassaden und Halbzeit beim Spendenstand. Eigentlich soll es ein Alles-Bestens-Termin sein, dieser Presserundgang auf der Baustelle des Berliner Stadtschlosses, bei dem sich Journalisten mit Bauhelm und Warnweste im Gänsemarsch auf engen Treppen aufwärts bewegen. Alles scheint aufwärts zu gehen. Die Kosten sind im Plan, die Bauzeit ist im Plan – so die Botschaft. Für Berlin ist das in der Tat ungewöhnlich, möchte man unken. Doch hinter der Fassade rumort es. Noch leise, aber hörbar. Zum Stolperstein für das 590 Millionen Euro teure Großprojekt könnte das Personal- und Interessengemenge werden. Da gibt es einmal Manfred Rettig, Vorstand der Stiftung Berliner Schloss, der an diesem Tag über die Baustelle führt. Kompetent macht er das. Gern gesagter Satz: „Das wird mal so aussehen.“ Dazu hält er großformatige, ausgedruckte Computeranimationen hoch. Er ist erfahren im Umgang mit Momenten historischen Umbruchs, hat einst den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin organisiert. Der „Tagesspiegel“ betitelte den gelernten Architekten einmal als „Schlossmacher“. Er hat hier alles im Blick, unter Kontrolle. Im nächsten Jahr kommt Neil MacGregor dazu. Der jetzige Direktor des Britischen Museums wurde zum Intendanten des Humboldt-Forums ernannt. Das Forum ist beim Schloss der Inhalt zur Verpackung: Ethnologisches Museum, Museum für Asiatische Kunst, kulturwissenschaftliche Forschung und weitere Ausstellungsprojekte sind geplant. Dann gibt es noch Paul Spies: Chefkurator des Landes Berlin im Humboldt-Forum. Auch er nimmt Anfang 2016 offiziell seine Arbeit auf. Er ist der Mann für Stadtgeschichte, die neben den Weltkulturen ebenso im neuen Bau vertreten sein soll. Drei Männer, drei Aufgaben, ein Riesenvorhaben. Rettig betreut den Bau seit der Grundsteinlegung 2013 bis zur Eröffnung 2019, so denn alles weiterhin wie geplant läuft. Die Schwierigkeit: Wer baut, muss bereits vorab inhaltlich planen. Was kommt in die Räume? Wie müssen diese geschnitten sein, wo werden welche Versorgungsleitungen gebraucht? Welches Raumklima ist etwa für seltene Museumsexponate nötig? Wenn nun aber MacGregor im kommenden Jahr das Spielfeld betritt, mit eigenen Ideen, vielleicht vollkommen neuen Plänen oder mit Sonderwünschen, steht Rettig da mit „seinem“ weit fortgeschrittenen Bau und kann nicht mal eben schnell eine Wand verschieben oder neue Leitungen legen. An der kleinsten Veränderung seien zehn bis 15 Ingenieure beteiligt, erklärt er auf der Baustelle. Denn während Architekt Franco Stella bereits 2008 den Wettbewerb zur Schlossgestaltung gewann, wurde das Innenkonzept erst nach und nach greifbarer – und ist bis heute im Wandel. Erst kürzlich ist die Zentral- und Landesbibliothek abgesprungen. Sie wollte 4000 Quadratmeter der Innenfläche nutzen, um dort in moderner Aufmachung die „Welt der Sprachen“ zu präsentieren. Dann die Absage. Was mit der Fläche stattdessen passieren soll? Es ist die Rede von einer Ausstellung zur Stadt Berlin. Genau scheint es aber niemand zu wissen. Rettig ist not amused. Diplomatisch formuliert klingt das so: „Da sehe ich Rest-Risiken.“ In geplante Bibliotheksräume könne man nicht einfach ein Museum setzen – „das geht so nicht!“. „Und wer ist am Ende der Chef?“, fragt ein Journalist Manfred Rettig – falls es wirklich inhaltliches Gerangel geben sollte. MacGregor, Spies, er? Eine gute Frage sei das, sagt Rettig, gequältes Lächeln. „Ich lenke das Schiff nicht, wenn so etwas kommt“, antwortet er nachdrücklich und meint wohl: Große Umbauaktionen sind mit ihm nicht zu machen. Doch bis es soweit ist, setzt die Stiftung auf Unterstützung durch die Bürger. Wer in Berlin Geld in Geschichte investieren möchte, kann ein Fassadenteil kaufen – selbst ausgewählt aus dem Katalog der Schmuck-Elemente. Ein dorisches Kapitell für 6780 Euro. Noch verfügbar: vier Stück. Oder eine Balkonplatte für 17.500 Euro. Das klingt ein wenig kurios und nach Schloss-Puzzle. Doch die Stiftung gibt sich zufrieden, spricht von einer Gesamtspendensumme von bislang über 50 Millionen Euro. Während die Privatgeber für das Außen zuständig sind, trägt den Mammutanteil der Gesamtbaukosten der Bund: 478 Millionen Euro. Einen kleinen Teil steuert das Land Berlin bei. Und das alles, um das Stadtschloss wieder so aussehen zu lassen wie damals, vor seiner Sprengung im Jahr 1950 an selber Stelle. Beinahe zumindest. Es wird – sowohl äußerlich, wie auch in der Bausubstanz – eine Mischung aus zeitgenössisch und historisch. Das Material: erst ein Rohbau aus Beton, darauf Ziegelsteine, darauf die Sandstein-Elemente. Drei historische Außenseiten in barockem Gewand werden am Ende stehen, eine moderne. Auf dem Boden, auch im großen Innenhof: keine Bäume, keine Blumen. Schlicht. Natursteinpflaster. Vor etwa einem Monat hat der Haushaltsausschuss im Bundestag grünes Licht und fünf Millionen Euro für eine Dachterrasse mit Restaurant gegeben. Bei der Baubegehung bekommt man eine Ahnung vom neuen Touristenblick über die Bundeshauptstadt. Auf den Berliner Dom direkt gegenüber, den Reichstag in der Ferne. Und die Plattform hat auch noch einen didaktischen Vorteil: Auf dem Weg nach oben zur Terrasse wird der Besucher auf all die Ausstellungen in den Zwischenetagen aufmerksam und kommt vielleicht auf den Geschmack, ein bisschen Kultur zu probieren. Ansonsten: Dürfen Besucher hier oben bald sitzen und essen. Das Dachrestaurant bauen sie jetzt also auch noch – spontan. Rettig ist ganz glücklich über die bundespolitische Unterstützung. Auch Florian Pronold, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Stiftungsrates Stadtschloss ist es. Er sagt: „Sie befinden sich auf der bedeutendsten Baustelle des Bundes zur Zeit.“ Ein Fotograf witzelt später, was denn dann der BER-Flughafen wäre. Selbst ein Kollege vom finnischen Radio ist zum Rundgang gekommen. Das Interesse an dem Projekt ist fast so groß wie das Projekt selbst. Diskutiert wird nun noch, ob der Neptunbrunnen – derzeit vor dem Roten Rathaus platziert – wieder an seinen angestammten Ort vor das Schloss kommen soll. Auch dafür hat der Bundestag bereits Geld genehmigt, während in der Berliner Politszene noch heftig darüber debattiert wird. Ein paar Fragezeichen bleiben also auch über die Halbzeit hinaus.

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