Kaiserslautern Am schönsten Ort der Welt

Als jüdischer Fleischer in „Anatevka“: Thomas Kollhoff.
Als jüdischer Fleischer in »Anatevka«: Thomas Kollhoff.

Es leuchtet ein, dass das Publikum einer Theater- oder Filmaufführung vor allem die schauspielerischen Leistungen wahrnimmt. Den immensen Beitrag derer, die nicht im Rampenlicht stehen, müssen sich die Zuschauer erst in Erinnerung rufen. Die Schauspieler dagegen wissen die Arbeit ihrer Kollegen vor, hinter, über und unter der Bühne sehr wohl zu schätzen. In besonderem Maß gilt dies für den Pfalztheater-Mimen Thomas Kollhoff.

Der gebürtige Hamburger hat zurzeit großen Erfolg als jüdischer Fleischer im Musical „Anatevka“ sowie als schiffbrüchiger Regierungsrat in Urs Häberlis Shakespeare-Spektakel „Der Sturm“. Seine darstellerische und gesangliche Bandbreite ist damit hinlänglich skizziert, aber seine Ehrfurcht vor Thalia und Therpsichore hat auch andere Wurzeln. Er sei „halt ein Kantinenkind“, das sich früh fürs Theater begeisterte, „aber ich wollte eher hinter als auf die Bühne“. Er wollte kein Wanderleben führen wie sein berühmter Vater Heiner Kollhoff (1925 bis 1993), der erst unter Jürgen Bosse am Nationaltheater Mannheim ein dauerhaftes Engagement fand. So verdingte sich der Filius nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann zwar als Assistent von Hans Neuenfels und wurde Eleve an der renommierten Münchner Otto-Falckenberg-Schule. Danach jedoch arbeitete er als Industriemeister und Manager bei Ikea. Es war Gerd Lohmeyer, der ihn 1999 für die Rolle des Oskar in den „Geschichten aus dem Wienerwald“ von Horváth auf die Bühne zurücklockte. „Theaterspielen ist wie Fahrradfahren“, sagt Kollhoff heute. „Das verlernt man nie.“ Der bis dahin so mäandrierende Lebensfluss mündete in dankbaren Rollen in München und Hannover, Landshut, Fürth und Feuchtwangen, Brixen und Bozen. Film und Fernsehen boten ihm Aufgaben in Serien wie „Der Fahnder“, „Polizeiruf 110“, „Adelheid und ihre Mörder“, „Um Himmels Willen“ und „Marienhof“, aber auch als Rotgardist im Bajuwaren-Klassiker „Löwengrube“. Vater Heiner Kollhoff stand übrigens in mehreren Frühwerken des Mannheimer Regisseurs und heutigen Ufa-Chefs Nico Hofmann vor der Kamera. Thomas Kollhoff ist ein klassischer Vertreter der „grande utilité“: präzise in großen wie in kleinen Rollen, glaubwürdig im grimmigen Drama und unter den Fittichen der angeblich leichten Muse, authentisch in Klassikern wie Volksstücken, bei Bedarf auch sängerisch überzeugend und effektvoll. Sein Repertoire am Theater Ulm, wo er von 2009 bis ’14 engagiert war, reichte vom Besitzer des „Kleinen Horrorladens“ über den Patriarchen im „Nathan“ und den Doktor in „Woyzeck“ bis zum Claudius in „Hamlet“. Das Lauterer Publikum sah den wandlungsfähigen, aber immer unaufdringlich behutsamen Charakterbildner erstmals 2012 als chronisch unzufriedenen Berliner Kurgast Giesecke im „Weißen Röss’l“. Nicht mehr jung und noch lange nicht alt, leicht gedrungen und ausgestattet mit einer markant sonoren, männlich weichen Bariton- bis Bassstimme, wirkt er durch kleine Gesten, eine Handbewegung, einen Augenaufschlag, der seiner spürbaren Komödiantenseligkeit zu humanistischem Adel verhilft. Der in Offenbach-Hundheim (Kreis Kusel) lebende Hobby-Handwerker verleiht auch seinen Bühnenfiguren eine handfest-bukolische Würde, angesiedelt irgendwo zwischen schwerem Helden, Père noble und einer bezwingenden Modernität, selbst wenn er historische Gewänder trägt wie als Fürst in der „Csárdásfürstin“ oder scheppernd-bauernschlaue Frohnaturen gibt wie den trinkfreudigen Müllkutscher Doolittle in „My fair Lady“. Mag sein, dass wegen dieses ambivalenten Zeitbezugs sein Polizeileutnant Schrank in Cusch Jungs fulminanter „West Side Story“ den Lauterern besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben ist. Doch gewitternde Leidenschaften oder gar Dämonie sind Thomas Kollhoffs Sache nicht, vielmehr ist ihm das Blutvolle, auch Theatralische, sagen wir: Wärmende zu eigen. Nach dem festen Vertrag in der endenden Saison wird Thomas Kollhoff, der soeben 62 Jahre alt geworden ist, in der kommenden Spielzeit frei am Pfalztheaters arbeiten. Es steht außer Zweifel, dass er auch in der neuen Saison das Lauterer Publikum auf eine herbe Art be- und verzaubern wird. Eine liebgewonnene Gewohnheit dürfte er ohnehin beibehalten: „Es ist wunderbar, nach einer Premiere um zwei Uhr morgens ganz allein auf der noch nicht abgebauten Bühne zu stehen. Ob darauf oder dahinter: Die Bühne ist der schönste Ort der Welt.“

Als Regierungsrat in „The Tempest“: Thomas Kollhoff.
Als Regierungsrat in »The Tempest«: Thomas Kollhoff.
Als Thomas Kollhoff vor dem Musentempel: Thomas Kollhoff.
Als Thomas Kollhoff vor dem Musentempel: Thomas Kollhoff.
x