Kaiserslautern Alles auf Anfang

Die Aufbruchstimmung war gestern in Worms deutlich zu spüren. Von Lust und Euphorie war allenthalben die Rede, als Intendant Nico Hofmann mit Regisseur Thomas Schadt und Autor Albert Ostermaier Team und Text präsentierte. Unter dem Titel „Gemetzel“ soll die Nibelungensage von 31. Juli bis 16. August völlig neu erzählt werden.

Nein, die Lottofee gehöre diesen Sommer nicht zum Ensemble, und ja, mit Dieter Wedel telefoniere er häufig, allerdings wegen eines Filmprojekts. Nico Hofmann ist diesen Morgen wohl schon oft das Gleiche gefragt worden, und so bittet er vom Podium aus: „Nehmen Sie das jetzt mal als Neuanfang – und lassen sich einfach darauf ein.“ Das Nibelungenlied sei die Ursuppe der großen deutschen Dramen, eine riesige Landschaft, die es zu entdecken gelte. Und tatsächlich hat Autor Ostermaier für den bekannten Stoff eine bislang nicht gezeigte Erzählperspektive gefunden: Den Untergang der Burgunder erlebt der Zuschauer durch die Augen von Ortlieb, des Sohns, den Hunnenkönig Etzel mit Siegfrieds Witwe Kriemhild fern von deren Heimat gezeugt hat. Anders als der Titel vermuten lässt, will Ostermaier keine Gewaltorgie, „keine Schauspieler, die knöcheltief durch Blut waten“. Vielmehr setzt er auf die Spannung, die allein aus dem Wissen um die Bedrohung resultiert. Jeder wisse, dass alles im Nibelungenlied auf das finale Gemetzel, auf den „Endpunkt der Zivilisation“ hinausläuft. Den 47-jährigen Münchner interessiert, wo vielleicht Weichen hätten anders gestellt werden, wie alles hätte anders kommen können. Sein Stück sei ein Plädoyer für Respekt vor sich und anderen, „niemand sollte Sklave sein von Begriffen wie Ehre, Würde oder Nation“. Angstfrei, aber mit Respekt wolle er an das Stück und die Spielstätte vor dem Dom herangehen, so Regisseur Thomas Schadt. „Angesichts der überwältigenden Größe von beiden darf man nicht klein, nicht kleinmütig werden, aber viel Tamtam braucht es auch nicht.“ Die Sage trage das Drama, das Bodenlose schon in sich, als Dokumentarfilmer sei er an Authentizität interessiert. „Ich bin kein Actionregisseur“, so der 58-Jährige. Er wolle emotional berühren und nachhaltig zum Nachdenken anregen. Das Bühnenbild von Aleksandar Denic biete dafür den Raum. Der Serbe, der unter anderem mit Frank Castorf in Bayreuth Wagners „Ring“ inszenierte, gilt als einer der Großen seines Fachs. In die Karten schauen lässt er sich ungern, nur so viel war gestern zu hören: Als Symbol für den Konflikt, die Spannung zwischen Ost und West, zwischen Hunnen und Burgundern, stehen sich vor dem Dom zwei Wehrtürme gegenüber. Beweglich und zum Zuschauerraum offen sollen sie sein und ein Spiel auf mehreren Etagen ermöglichen. Als Darsteller haben Schadt und Hofmann nach eigenem Bekunden „die A-Klasse der deutschen Bühnenschauspieler“ verpflichtet. Das habe einige Überredungskunst gekostet. Dem breiten Publikum am bekanntesten ist wohl Alina Levshin, die für ihre Rolle als Skinhead-Mädchen in dem Kinofilm „Die Kriegerin“ zahlreiche Preise bekam. In Worms spielt die zierliche 30-Jährige Kriemhilds Sohn Ortlieb. An ihrer Seite zu sehen sind Markus Boysen („Die Luftbrücke“, diverse „Tatort“-Folgen) als Etzel und Judith Rosmair (2002 Brünhild bei den Wormser Nibelungen) als Kriemhild. Den Hagen verkörpert Max Urlacher („Operation Walküre“). Neu ist die Rolle eines Narren, den Maik Solbach („Ein Geschenk der Götter“) spielen soll. Neben den 13 Schauspielern gehören die fünf Musiker des Panzerballetts und acht Tänzer, mit denen US-Choreograph Ted Stoffer an einer eigenen Erzählebene arbeitet, zum Bühnenpersonal. Eines jedoch konnte Nico Hofmann, bei allem viel beschworenen Neuanfang aus der Ära Wedel retten: Auch in diesem Jahr verfügen die Festspiele über ein Budget von 3,6 Millionen Euro. 650.000 Euro davon kommen aus der Landeskasse, schließlich sei das Wormser Spektakel zwar das teuerste Kulturereignis in Rheinland-Pfalz, „aber das ist es uns wert“, so Ministerin Vera Reiß (SPD) gestern. Beides dürfte auch Parteikollege Michael Kissel unterschreiben. Als Oberbürgermeister von Worms muss er immerhin 1,5 Millionen Euro locker machen. Neben dem Bühnenstück ist ein umfangreiches Programm mit Lesungen, Ausstellungen und Musik geplant, unter anderem mit Schauspielerin Bibiana Beglau und Autor Martin Mosebach. Mit dem Schriftsteller und Regisseur Nuran Davis Calis wird sich im Sommer bereits der Regisseur der 2016er-Inszenierung in Worms vorstellen. Außerdem soll es an Wormser Schulen Workshops geben, unter anderem mit Poetry-Slammer Ken Yamamoto, der gestern das Podium mit Nibelungenpoesie und dem Statement „auf dieser Welt wird immer Platz für Helden sein“ schloss. Es ist zu erwarten, dass die von Ostermaier & Co. mindestens tragische sind.

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