Kaiserslautern 1, 2, 3 im Sauseschritt

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Lieder über Prinzessin Lillifee, den kleinen Drachen Kokosnuss, die Wilden Kerle, Soundtracks aus Filmen „Ostwind 2“, aber auch Stücke von Cro sind bei Kinderfeten und im Kindergarten beliebt: Kinderpop boomt, das Angebot scheint schier unerschöpflich. Klassische Kinderlieder und Mitmachreime konkurrieren heute mit Musicals, interaktivem Theater, Pop, Rock, Reggae und vor allem auch Rap um die Gunst des Nachwuchses.

Mit infantilen Texten verdiente sich der 63-jährige Komponist und Kinderliedermacher Detlev Jöcker, der längst Rolf Zuckowski als Botschafter des Kinderliedes abgelöst hat, im Sauseschritt ein imposantes Vermögen. 13 Millionen Tonträger hat ihm das junge Publikum von seinen über zwei Dutzend Alben abgekauft, über 800.000 Menschen besuchten seine Tanz- und Bewegungsshows. Das Spektrum reicht von „bärenstarken“ Liedern zum Umweltschutz bis zu religiösen Ermunterungen. „Liebe Erde, ich beschütze dich“, „Gott, ich sage guten Morgen“, „Himpel und Pimpel“ oder „1, 2, 3 im Sauseschritt“ heißen seine Gassenhauer. Für die Plattenindustrie ist das Geschäft mit den schlichten Botschaften ein Segen: Während die Zehn- bis 19-Jährigen lieber Musik kostenlos streamen, werden mit der Zielgruppe „Kleinkind“ jährlich rund 100 Millionen Euro umgesetzt. Darüber hinaus bedeutet Kindermusik für Major-Labels wie Universal, Warner und Sony einen sehr frühen Kontakt mit den jungen Kunden: Musik soll den Nachwuchs musikalisch während ihrer Entwicklung begleiten und die Bereitschaft fördern, Songs als Wert zu erleben, für den es sich zu bezahlen lohnt. Nicht immer treffen Kinderlieder jedoch qualitativ den richtigen Ton. Der 68-jährige Münchner Liedermacher Konstantin Wecker, der selbst Musik für Kinder geschrieben hat, plädiert dafür, die Heranwachsenden mehr zu fordern als nur mit der Dudelmusik abzuspeisen, die sie später ohnehin via Popcharts hören. „Für manche Produzenten hat sich der Kindermarkt als lukrative Nische erwiesen. Ob das der Qualität insgesamt zu Gute gekommen ist, mag jeder selbst für sich entscheiden“, beobachtet der 53-jährige Komponist Felix Janosa, der seit 1994 mit dem Kinderbuchautor Jörg Hilbert die erfolgreiche Kinderbuch-Musical-Reihe „Ritter Rost“ aus der Taufe hob. „Freche Texte und Rhythmus sind wichtig. Unserem eigenen Anspruch nach guter Musik und anspruchsvollen Texten wird jedoch nur weniges gerecht, was wir in Radio und TV an Kindermusik hören.“ Ballermann-Techno à la „Schlumpfenstern“, Schlager-Disco von Volker Rosin & Co. oder Pop von Lena, Tim Bendzko und Beatrice Egli, die für die Reihe „Giraffenaffen“ Kinderliederklassiker neu interpretieren, dominieren den Markt. Mehr Masse als Klasse? „Ich bin kein solcher Ti-Ta-Tanzemausfan“, sagt der 44-jährige Sebastian Horn, Sänger der Band Bananafishbones, die für die Kinofilme „Die Wilden Kerle“ von Indie-Rockern zum Kinder-Soundtrack-Lieferanten mutierten. „Der musikalische Horizont unserer Kinder wird dadurch komplett unterfordert. Kinder sind nun mal die Spiegel der Eltern, und darüber sollten wir uns eher Gedanken machen.“ Zeigefinger-Lieder im Stile von Rolf Zuckowski oder dem Grips-Theater haben allerdings ausgedient. „Dass Kinderlieder nicht mehr so belehrend sind, ist angenehm“, finden Tobias Weber und Richard Oehmann von der Münchner Band Café Unterzucker, die mit „Bitte, Mammi, hol mich ab!“ gerade ihre zweite (Kinder-) Lieder-CD veröffentlicht haben. Musik mit einem Augenzwinkern, das auch die Zielgruppe goutiert. „Das Spektrum scheint sich erweitert zu haben. Vielleicht haben auch bloß zu viele Leute den Markt gerochen, oft gescheiterte Pop-Musiker.“ Neben Popmusik drehen sich jedoch reichlich andere Stile auf dem Kindermusik-Karussell. „Vor allem unvorbelastete, kleine Kinder lassen sich auf allerhand Stile ein, leider dann auch auf Schlumpf-Techno oder Marschmusik“, weiß Weber. Heute geht es textlich allerdings auch oft derb zur Sache. Gangsta-Rapper wie Bass Sultan Hengzt, Haftbefehl, Kollegah oder Bushido glorifizieren in vulgären Texten kriminelle Handlungen sowie soziales Elend und propagieren ein Machogehabe – und kommen wegen des Hauchs des Verbotenen besonders bei den ganz Jungen an. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien stufte nicht nur einmal Songs oder ganze Alben als gefährdend ein, was den Erfolg der Künstler eher noch fördert. „Häufig hören die Kids das ja bei den größeren Geschwistern und eifern dann nach, ohne richtig zu begreifen, was die Worte bedeuten“, glaubt Nina Grätz, die mit Charlotte Simon mit dem Musikhörspiel „Eule findet den Beat“ Kindern unterschiedliche Stile wie Pop, Jazz, Rock, Oper, Punk, Reggae, Hip Hop und Elektro näher bringt. „Ich glaube, da müssen die Eltern dann eingreifen, erklären, was gerappt wird und sagen, dass sie es nicht richtig finden, die Worte zu benutzen.“ Einen Rundumschutz gibt es freilich nicht. „Es schadet vielleicht nicht, wenn die Kinder gewisse sprachliche Schamgrenzen kennenlernen“, meinen die Musiker von Café Unterzucker. „Ab einem gewissen Alter macht es dann umso mehr Spaß, Tabus zu brechen. Die Grenzen sind dann immerhin schon bekannt. Bei Typen wie Bushido ist aber weniger die Sprache das Problem, sondern eher der dumpf-aggressive Inhalt, das schaurige Menschenbild. Die Gefahr liegt eher in der Blödheit und Herzlosigkeit.“ Es geht auch anders. „Viele Kindermusik fanden wir etwas lieblos, als müsste man sich dafür nicht so viel Mühe geben wie für Popmusik“, erinnert sich Nina Grätz an die Anfänge des Projekts „Eule findet den Beat“. „Dabei sind es ja nur Kinder, keine Idioten, sie haben auch Lust, qualitativ gute Musik zu hören und können sinnvolle, schöne Texte von lieblos getexteten Reimen unterscheiden.“ Bei den Kids kommt der Entdeckerflug durch die Musikwelt gut an, Schauspieler, Musiker, Sounddesigner und Produzenten haben mit viel Liebe zum Detail daran mitgewirkt. „Uns wurde von einer Sechsjährigen berichtet, die der Mutter mitteilte, dass sie ab jetzt Punk sei und nur noch mache, was sie wolle. Ein Vater hat erzählt, dass er im Wohnzimmer eine Gesangskabine einrichten sollte, die dann als Produktionsstätte für Hip-Hop-Songs diente“, freut sich Grätz. „Wir möchten einfach zeigen, wie unterschiedlich die Musik klingen kann, da darf man auch alles gleich cool finden.“ Kontakt www.eule-findet-den-beat.de/cd/ —cafeunterzucker.de/ —www.kindermusik.de/Musik

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