Kreis Kaiserslautern Der geistige Sprung ins kalte Wasser

So aufgeräumt und übersichtlich wie ihr Schreibtisch ist auch der Geist der Geschäftsführerin Annemarie Becker. Ausschweifende W
So aufgeräumt und übersichtlich wie ihr Schreibtisch ist auch der Geist der Geschäftsführerin Annemarie Becker. Ausschweifende Worte sind nicht ihre Sache, sie konzentriert sich auf das Wesentliche.

«MEHLINGEN.» Von ihrem ursprünglichen Berufsziel Lehrerin ist Annemarie Becker heute weit entfernt. Einerseits weil sie statt eines Lehramtsstudiums eine Verwaltungslehre beim Bezirksverband in Kaiserslautern absolvierte. Aber auch ihr Ehemann ist wohl nicht ganz unschuldig an ihrer Karriere: Denn bei ihrer Heirat 1956 stieg sie in den Familienbetrieb ihres Mannes ein. Seit rund 63 Jahren ist sie nun schon in einer der größten deutschen Müllentsorgungsfirmen tätig, der Unternehmensgruppe Jakob Becker.

Beinahe täglich arbeitet die mittlerweile 82-jährige Seniorchefin und Geschäftsführerin noch am Stammsitz des europaweit verzweigten Unternehmens, das im Gewerbegebiet Mehlingen ansässig ist. Als Annemarie Becker gefragt wird, ob sie ihr Büro der RHEINPFALZ für ein „Schreibtischgespräch“ öffnen würde, lautet die Antwort: „Was soll ich schon auf meinem Schreibtisch haben? Arbeit eben!“ Tatsächlich finden sich an ihrem Arbeitsplatz weder Familienfotos noch Glücksbringer, Fanartikel oder persönliche Dinge. Arbeit kennzeichnet ihr Leben und folgerichtig auch ihren Schreibtisch. Doch zwischen Ablageboxen und Sammelmappen finden sich dann doch zwei Geburtstagsgeschenke, die der Chefin wichtig sind. „Diese zwei Kleinigkeiten stehen hier, weil sie mich so berührt haben“, erzählt sie. Ein nur wenige Zentimeter großes Ölbildchen auf einer Miniaturstaffelei zeigt eine farbenfrohe Flusslandschaft. Der 91-jährige Vater einer Mitarbeiterin hat es für Annemarie Becker zum 82. Geburtstag gemalt. „Ich habe jeden Tag meinen Spaß daran, auf das Bildchen zu schauen. Am liebsten würde ich in das Wasser springen“, schwärmt sie von dem Motiv. Ein orangerotes Miniatur-Müllfahrzeug, getreu den Farben und dem Logo des Unternehmens Jakob Becker, hat ebenso seinen Platz auf dem Arbeitstisch der Chefin. Die Arbeiter auf dem Betriebsgelände in Mehlingen haben ihr das ebenfalls 2018 zum Geburtstag geschenkt. „Normalerweise stelle ich die Sachen von meinen Geburtstagen hier in den Glasschrank“, verweist sie auf eine Vitrine am anderen Ende des geräumigen, lichtdurchfluteten Büros in der oberen Etage des Verwaltungsgebäudes. Dort sammelt Annemarie Becker ihre Preziosen: Zahlreiche Geschenke von Mitarbeitern aus Deutschland und europaweiten Niederlassungen in Österreich, Italien, Kroatien, Serbien und Polen füllen den Schrank. Und natürlich dürfen auch die Andenken „an meinen besten Freund“, den Fußballer Fritz Walter aus Alsenborn, nicht fehlen. Ein Porträt und Bücher wahren die Erinnerung an den Kapitän des Weltmeister-Teams von 1954 und Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft. Die große Fensterfront gibt den Blick frei auf riesige Bauschutthalden, Dutzende von Entsorgungsfahrzeugen und Containern im typischen Becker-Orange. Wenige Kilometer Luftlinie entfernt liegt deutlich sichtbar der Sembacher Heuberg. „Von hier aus habe ich einen Blick auf den neuen Rettungshubschrauber der Johanniter“, verweist Annemarie Becker auf den seit Oktober vergangenen Jahres dort stationierten Helikopter. Was treibt diese Frau an? Becker sagt, ihr Motto laute: „Stillstand ist Rückschritt.“ Knappe Worte. Sie ist keine Frau weitschweifiger Erklärungen. Wie lange sie noch im Betrieb arbeiten wolle? „Das kann ich nicht sagen. So lange eben, wie ich es kann.“ Ein paar Einschränkungen macht sie dann doch. „Ich kümmere mich nicht mehr so um das Tagesgeschäft. Ausschreibungen oder ähnliches mache ich nicht mehr. Ich bin auch nicht mehr bis abends hier. In der Regel gehe ich so um 16 oder 16.30 Uhr nach Hause.“ Morgens sei sie zeitig im Betrieb. Und sie hat es gern sauber und ordentlich. „Ich habe eine Macke mit dem Aufräumen“, gesteht sie. „Wenn ich mich abends vor den Fernseher setze und in der Blumenvase hängt eine Blume schief, dann muss ich wieder aufstehen und sie gerade richten. Das ist vielleicht bekloppt, aber jetzt im Alter will ich mich auch nicht mehr ändern.“

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