Grünstadt Vor 70 Jahren endet die Naziherrschaft

91-64988182.jpg

Am 20. März marschieren die Amerikaner in Grünstadt ein. Im Tagesbericht der 3. US-Armee werden leichte Gefechte gemeldet. Johannes Nauerz wird am 21. März vom Stadtkommandanten Oberst Sinclair als Bürgermeister bestellt. Er übernimmt ein schweres Amt, das er bis zur Wahl des Stadtrates im September 1946 mit Geschick und großer Geduld ausübt.

GRÜNSTADT. „Mit zauberhaften Frühlingstagen hatte der März 1945 begonnen“, schreibt Stadtchronist Walter Lampert in seinem Buch „Bewegte Jahre“. Krokusse, Narzissen und Mandelbäume blühten bereits, die Luft war „lind und leicht“. Obwohl es mehrmals am Tag Fliegeralarm gab, „alles drunter und drüber ging“, war es doch so, „als verharrten die Menschen in Erwartung der Dinge, die bevorstanden“, heißt es weiter in dem Buch. Trotz aller Angst „sehnten die meisten das Ende herbei“. Am 20. März ist es soweit: „Die Vorhut der amerikanischen Truppen hatte nachmittags gegen 5 Uhr unsere Stadt ohne Kampfhandlungen besetzt. Beim Einmarsch kommen zwei Zivilisten ums Leben, die Villa Schäffer wurde in Brand geschossen, und einige Häuschen der Südsiedlung wurden beschädigt“, so schildert Bürgermeister Johannes Nauerz im Oktober 1946 in seinem Rechenschaftsbericht vor dem Stadtrat das Ende der Naziherrschaft in der Stadt. Aber ganz ohne Gegenwehr konnten die Amerikaner doch nicht einrücken. Bei Lampert ist zu lesen, dass sich zwar der Volkssturm zerstreut hat und die meisten Panzersperren geöffnet sind, aber die „anwesenden bunt zusammengewürfelten deutschen Truppen“ Widerstand leisten. Und die „US-Infanterie schoss auf alles, was sich bewegte“. Im Tagesbericht der 3. US-Armee werden leichte Gefechte gemeldet. Sieben deutsche Soldaten sterben, die am 25. März auf dem Ehrenfeld des Grünstadter Friedhofs beigesetzt werden. Am Tag nach der Befreiung der Stadt wird Nauerz, bislang Kreis-Bauführer beim Landratsamt Frankenthal, als Bürgermeister von Stadtkommandant Oberst Sinclair eingesetzt. Auf Vorschlag von Kaplan Martin Nieder, schreibt Stadtchronist Lampert. Nauerz, 1882 in Hohenecken bei Kaiserslautern geboren, hatte nicht der Partei angehört und stammte, wie sich Lampert erinnert, aus einer „gut katholischen Familie“. Sein Sohn Theodor, der als Priester immer wieder Konflikte mit dem Naziregime hatte, war ab 1953 27 Jahre Stadtpfarrer in Grünstadt. Der neue Bürgermeister übernimmt ein schweres Amt, das er mit „Geschick und großer Geduld (...) im Interesse der Bevölkerung“ ausgeübt hat, schreibt Lampert. Etwa 100 Gebäude sind zerstört, darunter die Martinskirche, das Rathaus und der Schlachthof. Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser funktioniert nicht, da die Leitungen beschädigt sind. „Eisenbahn- und Postverkehr lagen lahm, sämtliche Betriebe standen still, alle Geschäfte waren und mussten geschlossen bleiben; Lebensmittelgeschäfte durften nach Abgabe ihrer Bestandsaufnahme wieder geöffnet werden. Die Gesamtverpflegung war für höchstens 14 Tage gewährleistet“, heißt es im Bericht des Bürgermeisters, der im Stadtarchiv aufbewahrt wird. Plünderungen der Lebensmittelvorräte, die zum Beispiel von der Wehrmacht noch vorhanden waren, „setzten sofort ein“. „Der Verkehr mit der Außenwelt“ ist anfangs ganz untersagt, wird dann mit Ausweispflicht auf sechs Kilometer erweitert. Die Bauern müssen Kennkarten dabei haben, wenn sie die Felder bestellen. Zudem gibt es eine Ausgangssperre von 17 Uhr bis 8 Uhr morgens, listet der Bürgermeister die Beschränkungen auf. Nach und nach wird die Ausgangssperre gelockert, „Die Besatzung wechselte sehr rasch, sodass wir von März bis 7. Juli 45 - dem Einzugstag der französischen Truppen - allein sieben amerikanische Stadtkommandanten hatten“, so Nauerz über die ersten Wochen seiner Amtszeit. Im Mai 1945 darf er einen Beirat aus acht Personen berufen, ehemaligen Mitgliedern der Parteien vor 1933. Der Bürgermeister bestellt Ludwig Maier zu seinem Stellvertreter. Maier hatte diese Funktion schon vor 1933 ausgeübt. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist schlecht, die Stadtverwaltung hat kaum Möglichkeiten, dies zu ändern. Im Oktober 1945 wird im Schulhaus (Neugasse) eine Volksküche eingerichtet, die Innere Mission und Caritas betreiben. Für zehn Pfennig gibt es einen Liter Suppe, 300 Liter werden täglich ausgegeben. Auch an Heizmaterial und vielen Dingen des täglichen Lebens mangelt es. Manches, was trotz Krieg noch vorhanden war, hatten die Besatzungstruppen beschlagnahmt. Probleme gibt es auch mit dem früheren Arbeitsdienstlager, in das die Amerikaner 700 Zwangsarbeiter aus dem Osten einquartiert haben. Plünderungen, Diebstähle und Überfälle werden den Männern angelastet: Sie „hausten wie die Wilden“, so der Bürgermeister. „Auch bei den amerikanischen Truppen waren etliche Unholde, die sich an Frauen vergriffen.“ Elend und Not sind groß, doch sie hindern die Bürger nicht, an den ersten demokratischen Wahlen nach dem Krieg teilzunehmen. Bei der Stadtratswahl am 15. September 1946 beträgt die Wahlbeteiligung fast unglaubliche 92,5 Prozent. Die SPD holt mit 55 Prozent die absolute Mehrheit, die CDU kommt auf 33,4 und die KPD auf 11,6 Prozent. Eine Woche später wird die neue Stadtspitze gewählt: Bürgermeister Georg Born (SPD), Erster Beigeordneter Johannes Nauerz (CDU) und Zweiter Beigeordneter Ludwig Maier (SPD). QUELLEN: Walter Lampert „1100 Jahre Grünstadt“ „Bewegte Jahre“ und „Grünstadt - einst und jetzt“; Rechenschaftsbericht von Bürgermeister Johannes Nauerz, Stadtarchiv.  Die Bilder wurden mit freundlicher Genehmigung von Walter Lampert seinem Buch „Geschichte von Grünstadt“ entnommen.

x