Mein Abenteuer 2023 Ein Grünstadter Viertelgrieche bei der Olivenernte

„Vorsichtig“: Mit den langstieligen Rechen werden die Oliven aus den Ästen gestrichen.
»Vorsichtig«: Mit den langstieligen Rechen werden die Oliven aus den Ästen gestrichen.

Ein farbiger Deutscher, der ihre Sprache spricht: So jemand kann Griechen überraschen. Der Grünstadter Elias Jones hat ein halbes Jahr im Heimatland seines Opas verbracht, dort auch bei der Olivenernte geholfen. Und dabei gelernt, dass „vorsichtig“ ein flexibles Wort ist.

Der gebürtige Albaner ist breit gebaut. Giorgos’ Schultern sind wie die eines Türstehers, seine Pranken wie die eines Braunbären. Als er mir zur Begrüßung die Hand gibt, fühlt es sich an, als wollte er sie mir brechen. „Das gehört bei uns dazu, sonst wird es keine gute Arbeit“, erklärt er mir stolz. Es ist noch dunkel an diesem Wintermorgen Anfang 2023, schon um 6 Uhr sind wir zur Ernte in einen Olivenhain auf der Halbinsel Peloponnes gefahren.

Es riecht nach Motoröl

In der Luft liegt eine Mischung aus Motoröl und dem holzig-nussigen Duft der angeschnittenen Äste. Denn Giorgos hat schon losgelegt, und auch der 21-jährige Sotiris ist bereits vor Ort. „Super“, denke ich mir. „Ein Genosse in meinem Alter, bei dem ich mir sicherlich Tipps abholen und Tricks abschauen kann.“ Zunächst erklärt er mir die genauen Abläufe und Rollenverteilungen bei der Arbeit. Da er von Kindheit an mit seinen drei Geschwistern fest integriert ist bei den Ernten, beherrscht er das alles wie im Schlaf.

Machen Pause und stoßen an: der Grünstadter Elias Jones mit dem albanischen Erntearbeiter Giorgos.
Machen Pause und stoßen an: der Grünstadter Elias Jones mit dem albanischen Erntearbeiter Giorgos.

Im ersten Schritt werden große, grobmaschige Netze rund um den Baum ausgelegt. Sie fangen die herunterfallenden Oliven auf und erleichtern es am Ende, die Ernte in Säcke zu füllen. Die Aufgabe, mit laufender Kettensäge durch die Baumkrone der Bäume zu klettern und größere Äste abzuschneiden, übernimmt der erfahrene Giorgos. Gleichzeitig werden dabei die Bäume so zurückgeschnitten, dass sie auch im nächsten Jahr wieder kräftig austreiben und viele Oliven tragen.

So macht’s Giorgos

Die übrigen Helfer arbeiten mit langstieligen Handrechen, mittels derer man die Oliven „vorsichtig“ aus den Ästen streicht. Dabei sei die Balance zwischen genügend Kraft und Feingefühl wichtig, erklärt mir Sotiris. Wie flexibel das Wort „vorsichtig“ ist, merke ich, als ich Giorgos dabei beobachte, wie er denselben Arbeitsschritt auf seine Art und Weise erledigt: Mit einem gezielten und kräftigen Schlag mit dem Handrechen auf die dickeren Äste bringt er den ganzen Baum zum Beben. „Sehr vorsichtig“, denke ich mir verwundert.

Nach Griechenland gezogen bin ich bereits im Oktober 2022. Ich mache in Athen ein journalistisches Praktikum bei der „Griechenland-Zeitung“. Deren Motto: Griechenland, aber auf Deutsch. Mit einer wöchentlichen Ausgabe, jährlichen Journalen, Reisetipps, Social-Media-Kanälen sowie einem Onlineshop für Olivenöl, Bergtee, Fotokalender und Bücher versorgt sie Griechenland-Liebhaber. Das Leben in der Millionenstadt sieht schon anders aus, als ich es aus Grünstadt gewohnt bin. Aber immerhin kann ich beim Bäcker oder am Ticketschalter der Fähre auf Griechisch sagen, was ich möchte.

Schwerarbeit: der 22-jährige Sotiris schleppt Oliven.
Schwerarbeit: der 22-jährige Sotiris schleppt Oliven.

Viele Einheimische reagieren darauf mit neugierigen Blicken und interessierten Nachfragen. Dass ein farbiger Deutscher mit einem ausgesprochen nicht-griechischen Nachnamen ihre Sprache beherrscht, überrascht sie. Also erkläre ich immer wieder meine komplexen Verwandtschaftsverhältnisse: Ich habe zu je einem Viertel deutsche, griechische, amerikanische und nigerianische Wurzeln. Der Vater der Bäckerin Eléni – bei ihr kaufe ich morgens auf dem Weg zur Arbeit gern eine Blätterteigtasche mit Spinat – kommentiert das so: „Wenn du Hellas im Blut hast, hast du Hellas im Blut. Egal, wie viel es ist. Es ist wie mit einem Tropfen Blut in einem Eimer Wasser. Selbst wenn es nur ein kleiner Tropfen ist, färbt er das gesamte Wasser ein.“

Im Hain des Zeitungschefs

Zur Olivenernte verschlägt es mich schließlich, weil mein Chef bei der Zeitung einen eigenen Hain hat und mich zum Helfen einlädt. Bis heute ist das alles größtenteils Handarbeit. Und gegen Mittag treten Ermüdungserscheinungen auf. Für einen Moment kehrt Ruhe ein. Die Motorsägen schweigen, wir setzen uns im Kreis auf Olivensäcke. Vor uns auf einem Tuch ausgebreitet gibt es reichlich Käse, Brot, Tomaten, Ei und Süßes, dazu Wein aus kleinen Plastikbechern. Außerdem stoßen wir mit dem Schnapsbrand Tzípouro an. Und Giorgos erzählt mir von seiner harten Arbeit in der Erntezeit.

Wenn das Wetter mitspielt, ist er in diesen Wochen fast jeden Tag im Einsatz. Seine eigene Familie mit Frau und Kind sieht er nur wenige Wochen im Jahr, wenn er mit seinem Auto wieder ins Nachbarland Albanien fährt. Den Rest der Zeit verbringt er in Griechenland, das in 25 Jahren zu einer Art von Zweitheimat für ihn geworden ist. Sein Landarbeiter-Fachwissen ist begehrt bei vielen Einheimischen, weshalb Giorgos hoch im Kurs steht. Dass er trotz schwieriger Umstände voller Lebensfreude und Warmherzigkeit ist, beeindruckt mich um so mehr.

Beladen: Pick-up mit Olivensäcken.
Beladen: Pick-up mit Olivensäcken.

Doch nun müssen wir wieder an die Arbeit – mit gefüllten Mägen, das macht uns schwerfällig. Die prall gefüllten Säcke fühlen sich auf einmal doppelt so schwer an, und auch die Handrechen scheinen sich weniger leicht bedienen zu lassen. Doch wir müssen durchhalten, bis es dunkel wird. Dann fahren wir zur Ölmühle. Dort treffen schwer beladene Pick-ups im Minutentakt ein. Manchem kann man ansehen, dass er schon Dutzende Ernten auf dem Keilriemen hat. Und auch ich bin gezeichnet: Anfangs hatte ich mich fast geschämt, weil ich in völlig verdreckter Kleidung auf andere Menschen treffe.

Eine zimtige Tradition

Aber schnell merke ich: Die sehen genauso aus. Zurück im Dorf füllen wir unser „flüssiges Gold“ vorsichtig aus den Transportbehältern in Edelstahltanks – und fallen nach dem Abendessen hundemüde ins Bett. Am nächsten Morgen überrascht uns das Frühstück mit einer zimtigen Tradition: Auf den Tisch kommen Tiganítes. Die im ersten Öl der Ernte goldbraun gebackenen Teiglinge werden mit Honig beträufelt und mit etwas Zimt verfeinert. Nachdem ich nun weiß, wie viel Mühe in einem Tropfen Olivenöl steckt, schmeckt jeder Happen umso köstlicher.

Der Autor

Elias Jones ist 2003 in Grünstadt geboren und hier aufgewachsen. Nach dem Abitur im März 2022 an der IGS (Integrierter Gesamtschule) hat er ein halbes Jahr lang in Griechenland gelebt, dem Heimatland seines Großvaters. Derzeit arbeitet er als Integrationskraft an der Grundschule in Hettenleidelheim.

Die Serie

Manche haben Aufregendes in weiter Ferne erlebt, andere haben sich in unserer Region einer Herausforderung gestellt: RHEINPFALZ-Reporter und Gastautoren aus dem Leinigerland berichten von ihrem Abenteuer im Jahr 2023. Bisher erschienen: Reifenpanne im Angesicht der Löwen. Sowie: Journalist als Stall-Praktikant bei der Lebenshilfe: In der fäkalen Gefahrenzone.

Hat ein halbes Jahr in Griechenland gelebt: Elias Jones.
Hat ein halbes Jahr in Griechenland gelebt: Elias Jones.
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