Grünstadt Ein Abbild der göttlichen Liebe

Jean-Christoph de Araujo.
Jean-Christoph de Araujo.

„Das ist Liebe, das müssen Sie doch verstehen!“ Worte einer Siebenjährigen in der Sitzkreisrunde in der ersten Klasse der Grundschule. Unsere dienstägliche Religionsstunde beginnen wir mit einem Ritual, in dessen Verlauf jedes der Kinder von einem Erlebnis des vergangenen Wochenendes berichten darf – egal ob schöner oder trauriger Natur. Mir waren die Verwunderung und das Erstaunen wohl tatsächlich ins Gesicht geschrieben, als Nelli mir und all ihren Mitschülerinnen und Mitschülern von den Geschehnissen eines am Wochenende gefeierten Kindergeburtstags erzählte: Zuerst wurden Spielsachen versteckt, unter anderem eines von Nellies Kuscheltieren und der Lieblingsteddy des gerade sieben Jahre alt gewordenen Gastgebers, Lennart mit Namen. Als sich Lennart im Gerangel um die Rückgabe der Spielsachen weigerte, Nellis Kuscheltier rauszurücken, versuchte sie ihn zu überreden: durch einen Kuss auf den Mund. Nelli küsste und Lennart erwiderte den Kuss. Im Religionsunterricht erzählt Nelli von den Ereignissen des Wochenendes, als sei ein Kuss zwischen zwei Siebenjährigen auf einem Kindergeburtstag eben das Natürlichste auf der Welt. „Ihrem Blick entnehme ich, dass Sie noch gar nicht wussten, dass Lennart und ich seit dem Wochenende ein Paar sind“, setzt Nelli noch eins drauf. Nein, das wusste ich tatsächlich nicht. Was mich allerdings erstaunt dreinschauen lässt, ist nicht die Tatsache, dass Nelli und Lennart am Wochenende ihre Gefühle zueinander entdeckt haben und nun ein Paar sind, sondern wie offen eine Siebenjährige über das Thema Liebe und ihre ersten Erfahrungen in der Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht spricht. Dabei ist die Liebe doch eine der schönsten und natürlichsten Sachen der Welt – von Gott uns Menschen ins Herz gelegt. Unsere menschliche Liebe untereinander ist stets ein Abbild der göttlichen Liebe. Deshalb hat die Landessynode der Evangelischen Kirche der Pfalz vor einigen Wochen entschieden, dass kirchliche Trauungen zwischen homo- und heterosexuellen Paaren zukünftig vollends gleichgestellt sein sollen. Ein wichtiger und richtiger Schritt zur rechten Zeit. Der Verfasser des ersten Johannesbriefs schreibt: „Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1. Johannes 4, 16) Wenn wir unsere menschliche Liebe auf Erden als ein Abbild von Gottes grenzenloser Liebe zu uns Menschen verstehen, dann dürfte es ein Leichtes sein, auch die ersten zarten Annäherungen zweier Siebenjähriger als ein solches Abbild von Gottes Liebe zu begreifen. Als ich mich nach Ende der Schulstunde auf den Weg zum Parkplatz aufmachte, wurde mir dies bewusst. Und so kann ich die Gefühle der beiden Siebenjährigen als das verstehen, was sie sind: ein Geschenk, das Gott in ihre Herzen gelegt hat. Der Autor Jean-Christoph de Araujo ist evangelischer Pfarrer in Carlsberg.

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