Grünstadt Die Sehnsucht nach Geborgenheit

Eigentlich soll man sich beim Einkaufen ja nicht von Verpackungen leiten lassen – und für eine Musik-CD gilt dies wohl erst recht. Trotzdem fiel mir vor einiger Zeit eine CD ins Auge, deren Cover mich so in den Bann zog, dass ich sie spontan kaufte. Man sieht darauf das Gesicht eines etwa zehnjährigen Jungen, der den Betrachter mit traurigen, leeren Augen anschaut. Vor das Gesicht hält er eine Pistole, mit der er genau auf den Betrachter zielt. Unten rechts steht der Titel: „ungeliebt“. Der Blick des Jungen ging mir durch Mark und Bein – und erinnerte mich an manche Mädels und Jungs, die ich als Sonderpädagoge im Lauf der Zeit unterrichtet habe. Besonders erschütterte mich das Schicksal eines Schülers vor gut 15 Jahren: Sein geliebter Vater war gestorben, die Mutter zu einem neuen Partner weggezogen. Zurück blieb der Junge, offiziell bei der Tante, eigentlich aber auf der Straße lebend. Er war ein lieber Kerl und hätte nie eine Waffe auf jemanden gerichtet. Doch sein Blick war der des Jungen auf der CD. Wohl ein Extrem-, aber kein Einzelfall. Diesem Blick begegnet man als Lehrer immer mal wieder. Sicher: Ich bin überzeugt, dass es kaum ein Kind gibt, das von seinen Eltern nicht doch im Innersten geliebt wird. Allerdings sind jene manchmal so sehr mit eigenen Problemen beschäftigt oder stehen selbst so unter Druck, dass sie an ihre Grenzen stoßen und den Blick für andere verlieren: für das Kind, das im Scheidungskrieg zwischen den Fronten zerrieben wird, oder den Jugendlichen, dessen Eltern die Drogenprobleme nicht wahrhaben wollen, ihn damit allein lassen und sich stattdessen hinter der bürgerlichen Fassade verstecken. Zurück bleibt ein Häufchen Elend. Ob Kind, ob Greis: Es gibt wohl nichts, was wir Menschen mehr brauchen als das Gefühl, angenommen und geliebt zu sein. Viel mehr als nach Materiellem sehnen wir uns nach Wertschätzung und Geborgenheit – in jedem Alter und in jedem Lebensbereich, weit über die Familie hinaus. Dabei sind es gerade die Kleinigkeiten, die uns im Alltag gut tun und doch oft vergessen werden: ein kleines Lob hier, ein freundliches Lächeln da, ein wenig Zeit füreinander. Anlässe finden sich überall: Da ist die Mutter, die Tag für Tag die Familie bekocht, der Kollege, auf den ich mich stets verlassen kann, die Bedienung im Café, die seit Stunden auf den Beinen, aber trotzdem zu jedem Gast zuvorkommend ist. Da ist aber auch die alte Frau, die niemand besucht, der neue Klassenkamerad, mit dem keiner etwas zu tun haben will, der arbeitslose Nachbar, der sich nutz- und hoffnungslos fühlt. Es gibt unzählige Momente, an denen wir zeigen sollten: Du bist wertvoll, ich bin für dich da, ich habe dich gern! „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ So brachte Jesus einmal auf den Punkt, was für ihn das Christsein bedeutet. Niemand darf „ungeliebt“ sein. Autor Achim Stein, Katholische Pfarrei Heilige Elisabeth, Grünstadt.

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