Frankenthal Von Burggrafen und Frauenzimmern

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Am Ende feiert sich die ganze Affenbande selbst, weil sie gut zwei Stunden lang über den Wolken vor Madagaskar rote Lippen geküsst hat und hoch auf dem gelben Wagen die bunten Fahnen hat wehen lassen. Damit wäre eigentlich alles gesagt über „Mundorgel reloaded“ am Mittwochabend im Gleis 4. Doch zur Premiere eines neuen Formats in dem Frankenthaler Kulturzentrum sollten ein paar Worte mehr verloren werden.

Eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist Willi Brausch positiv überrascht, dass sich schon Leute einen Sitzplatz sichern wollen. Er selbst fand die Idee von Gleis-4-Managerin Beate Vogel, Menschen zum Liedersingen einzuladen, auf Anhieb klasse, doch würde die gute Idee Zuspruch finden? Als es losgeht, hat der Vorsitzende des 1. Frankenthaler Männerchors die Antwort, und er ist „geplättelt“, wie er sagt. Denn die Bude ist gerammelt voll, und die allermeisten haben tatsächlich die „Mundorgel“ dabei, jenes erstmals 1953 erschienene „Liederbuch für Fahrt und Lager“. Von 1982 stammt zum Beispiel das mit der Aufschrift „Neu“ versehene Exemplar von Walter Zipp. Der Männerchor-Dirigent, der sich an diesem Abend in die Schar der singenden Gäste einreiht, besitzt eine Version mit Noten. Andere haben die kleingedruckte Textausgabe aus ihrer Jugend mitgebracht, wieder andere haben sich extra für diesen Anlass die großformatige Ausgabe gekauft, in der man die Liedtexte ohne Brille lesen kann. Und im Smartphone von Willi Brausch steckt das Foto eines Mundorgel-Fans, der noch ein Exemplar aus den Fünfzigern besitzt. Als Brausch mit der Gitarre auf der Bühne Platz nimmt, scheint er immer noch skeptisch zu sein. „Wer nur gucke will, kann glei widder gehe“, scherzt er. Doch fast alle wollen wirklich singen und trauen sich das sogar gleich beim ersten Lied, dem gar nicht so einfachen „Heute hier, morgen dort“ von Hannes Wader. Unterstützt wird der Laienchor von ein paar Herren in roten T-Shirts, die hinter dem Gitarristen, sozusagen als dekorative Rückendeckung, auf dem Sofa sitzen: Mitglieder des Frankenthaler Männerchors. Schon beim zweiten Lied wird Willi Brausch dem Motto untreu. „Stand by me“ steht nicht in der Mundorgel. Egal, der Refrain lässt sich ebenso gut grölen wie summen und macht locker. Im Laufe des Abends erklingen noch mehr Pop-Oldies. Dagegen gehört „Der alte Burggraf war ein Schuft“ zum Klassenfahrt-Liedgut, ebenso wie die Kokosnuss suchende Affenbande und die im Hühnerstall Motorrad fahrende Oma. In der Pause nehmen offenbar etliche Feierabendsänger die Aufforderung von „Chorleiter“ Brausch ernst und geben Tipps, was man beim zweiten Mundorgel-Termin Anfang Februar, nein eigentlich jetzt schon, besser machen könnte: weniger Kinder-, mehr Volkslieder. „Ahoi, Kameraden, ahoi, ahoi.“ Beim gewünschten Kurs auf Madagaskar zu Beginn des zweiten Sets beschränkt sich Brausch mangels Textsicherheit aufs Akkordespielen, und der Seemannschor dreht mächtig auf. „Sag mir, wo die Blumen sind“ und „Sabinchen war ein Frauenzimmer“: Der Mann an der Gitarre reagiert flexibel auf die Wünsche im Saal, und gemeinsam wird „de scheene Karl vun Frankedahl“ besungen. An diesem Punkt des Programms sind alle Stimmen gut geölt und somit vorbereitet auf weitere Volkslied-Klassiker. Mit absoluter Hingabe werden jetzt „Hoch auf dem gelben Wagen“ und „Wenn die bunten Fahnen wehen“ geschmettert. Spätestens hier zeigt sich der Vorteil des alten Liedguts gegenüber Schlager-, Folk- und Country-Hymnen. Während Letztere in der Regel für die Stimmlage ihrer berühmten, meist männlichen Interpreten komponiert wurden und deshalb vielen Frauen beim Mitsingen Probleme bereiten, sind die traditionellen Melodien für alle gleichermaßen geschmeidig. Zum Abschluss des wahrlich gelungenen Experiments im Gleis 4 darf es dann aber noch mal etwas rauer im Sinne eines Fangesangs zugehen. Und dafür bietet sich nichts besser an als das Pfalzlied der Anonyme Giddarischde. Termin „Mundorgel reloaded – Sing mit de Buwe vum Frankenthaler Männerchor“ am Mittwoch, 2. Februar, um 20 Uhr im Kulturzentrum Gleis 4. Der Eintritt ist frei.

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