Frankenthal Schmierfink und „Ungläubiges Staunen“

Roger Willemsen, Schirmherr des Mannheimer Literaturfestivals, hat es sich trotz Erkrankung nicht nehmen lassen, Vorschläge zu unterbreiten. Die Programmleitung hat er jedoch der befreundeten Insa Wilke, die in den Vorjahren schon des Öfteren als Moderatorin auf dem Festival zu erleben war, übertragen. Zusammen mit der Festival-Organisatorin in der Alten Feuerwache, Katharina Tremmel, haben sie ein buntes Programm auf die Beine gestellt. Die meisten Veranstaltungen finden in der Halle der Alten Feuerwache statt. Das Festival eröffnet der Schriftsteller und Islamwissenschaftler Navid Kermani, der in diesem Jahr mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden ist. Mit seiner Kritik an der Aushöhlung des Asylrechts hat er im vergangenen Jahr als Redner auf dem Festakt 65 Jahre Grundgesetz im Bundestag nicht nur Beifall geerntet. Vor sechs Jahren wollte Kardinal Lehmann sogar zunächst auf die Entgegennahme des Hessischen Kulturpreises an der Seite Kermanis verzichten, weil der in einem Zeitungsartikel seine Ablehnung der Kreuzestheologie zum Ausdruck gebracht hatte. Mit Insa Wilke als Moderatorin blickt er nun bei der Eröffnungsveranstaltung auf seine stattliche Anzahl von Buchveröffentlichungen zurück: vom frühen Essay „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ bis zu dem neu erschienenen Bestseller „Ungläubiges Staunen“. Die Lesungen in der bereits ausverkauften Veranstaltung übernehmen zwei Schauspieler aus Frankfurt. Den Islam als eine Religion, die mit Demokratie, Freiheit, Toleranz und Gleichberechtigung der Geschlechter verträglich ist, stellt Katajun Amirpur vor. Sie ist die stellvertretende Direktorin der Hamburger Akademie der Weltreligionen und Navid Kermanis Ehefrau. Die Koranstellen trägt in ihrer Veranstaltung, die im Goethe-Institut stattfindet, ein professioneller Rezitator auf Arabisch vor. Einen Beitrag zu Flucht und Vertreibung leistet Abbas Khider. 1973 in Bagdad geboren, wurde er in seiner irakischen Heimat unter Saddam Hussein inhaftiert und gefoltert, floh über Jordanien und Libyen und fand 2000 in Berlin Asyl. In seinen Büchern gelingt es ihm, selbst dem Grauen von Diktaturen noch humorvolle Seiten abzugewinnen. Nach Mannheim in die Universität bringt er sein neuestes Buch „Ohrfeige“ mit. Darin schildert er mit den Kampf eines Asylsuchenden mit der deutschen Bürokratie. Katja Riemann ist bekannt als Schauspielerin auf Theaterbühnen und im Film. Weniger bekannt ist, dass sie auf der ganzen Welt unterwegs ist, um sich gegen die Beschneidung von Mädchen, gegen Sklaverei und Hunger, für Aids-Hilfe, Frieden und Menschenrechte einzusetzen. In der Alten Feuerwache wird sie von ihrer Arbeit für Amnesty International und Cinema for Peace erzählen und Texte von Vorbildern wie Rosa Luxemburg lesen. „Engagement“ ist ihr Abend überschrieben. „Sehr geehrter Schmierfink!“ heißt ein gegen Hass und Ressentiments gerichteter Abend. Redakteure des „Mannheimer Morgen“ tragen Leserbriefe vor, die von der Zeitung für nicht publizierbar gehalten worden sind. Die Veranstaltung wird moderiert von dem Poetry Slammer Jens Wienand, die Vorträge der Schimpfkanonaden, Stillosigkeiten und Kuriositäten werden ergänzt von Leo Fischer, dem ehemaligen Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“. Angela Steidele gilt mit ihrem Debütroman „Rosenstengel“ als Geheimtipp der Saison. Schon gestandene Literaten sind dagegen Monika Rinck, die ihren Essay „Risiko und Idiotie“ mitbringt, und Thomas Glavinic, der nicht zum ersten Mal nach Mannheim zum Literaturfestival kommt und sich jetzt mit Peter Stamm über das Schreiben, das Leben und die Frauen unterhalten wird. Ebenfalls nicht zum ersten Mal ist Marion Brasch auf dem Festival, und Franz Hohler, der vor zwei Jahren das Publikum mit seiner humoristischen Schauerlyrik entzückt hat, tritt auf vielfachen Wunsch wieder auf. Regionale Atmosphäre bringen der Ludwigshafener Billy Hutter und der Mannheimer Claus Boesser-Ferrari in das Festival. Billy Hutter feiert mit „Karlheinz“, einem halbdokumentarischen Roman über einen Durchschnittsmenschen, auch überregional Erfolge. Und der Gitarrist Claus Boesser-Ferrari hat sich mit dem Schauspieler Hansa Czypionka und dem Zeichner Mehrdad Zaeri zusammengetan, um sich Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“ zu widmen. Jan Weiler bringt die Fortsetzung seines Bestsellers „Das Pubertier“ mit, und Joachim Król, bekannt als „Tatort“-Ermittler, trägt Lieder und Gedichte vor. Das Publikum ist eingeladen, am 4. März im Atlantis-Kino über scharfe Sex-Stellen in „Hoch“- und „Schund“-Literatur abzustimmen. Ein Überraschungsgast wird „Die Bücher meines Lebens“ vorstellen und eine Kritikerrunde sich zum Abschluss wieder über Bücher streiten. Termine —Festival „lesen.hören“, Auftakt am 19. Februar, 20 Uhr, mit Navid Kermani in der Alten Feuerwache Mannheim (ausverkauft). —Weitere Termine und Infos zum Kinderprogramm: www.altefeuerwache.com. —Tickets online und unter Telefon 0180 6050400 (gebührenpflichtig).

x