Frankenthal „Nur googeln und Rotwein trinken reicht nicht“

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Interview: Viel zu schüchtern, um an Wettbewerben teilzunehmen, war Feridun Zaimoglu als junger Autor. In Worms sitzt der mit Preisen überhäufte Schriftsteller nun in der Jury eines Nachwuchswettbewerbs der Nibelungen-Festspiele. Wir sprachen mit Zaimoglu darüber, was ihn an eingesandten Texten ärgert, worüber er sich freut und was er von Hagen von Tronje aus dem Nibelungenlied hält.

Haben Sie selbst als junger Autor an Wettbewerben teilgenommen?

Nein. Ich träumte ja davon, als Maler weltberühmt zu werden. Außerdem war ich sehr schüchtern – und wohl auch zu verstrahlt. Erst während der späten Unizeit hier in Kiel – ich habe Medizin und freie und experimentelle Malerei studiert – habe ich Texte eingereicht, weil ich mich um ein Stipendium bemühte. Ich habe Verlage und literarische Gesellschaften angeschrieben, kreuz und quer, – und wurde überall abgelehnt. Der ganze Rummel kam später. Diejenigen, die Sie damals abgelehnt haben, dürften sich heute ärgern. (lacht) Vor allem habe ich mich geärgert. In welchem Alter haben Sie angefangen zu schreiben? Ja, was meint man mit Schreiben? Kurze Notizen, Geschreibsel, Tagebucheinträge: Wenn man das meint, dann fing das so mit zehn, elf Jahren an. Aber ich habe alles vernichtet. Es war schon am nächsten Tag peinlich. Ich habe gelesen, mich regelrecht aus der Welt herausgelesen und mich dabei so angereichert, dass es nicht nur beim Lesen bleiben konnte. Ich meinte das Schreiben mit Blick auf Veröffentlichung. So mit 28 Jahren, also zwei Jahre vor Veröffentlichung von „Kanak Sprak“. Das lief damals wie in einem schlechten Spielfilm. Ich hatte an einen einzigen Verlag ein Manuskript von 20 Seiten geschickt. Über Weihnachten war ich weg. Als ich wiederkam, lag da ein Brief von dem Verlag, in dem stand: Mit Interesse haben wir Ihr Exposé gelesen, schicken Sie uns den Rest. Da bin ich fast umgefallen. Es gab keinen Rest. Ich habe also mein erstes Buch in Tranchen geliefert. Für den Autorenwettbewerb in Worms wurden fünf aus 42 Einsendungen ausgewählt. Wie schwer fiel Ihnen diese Wahl? Sie müssen sich mit jedem Stück befassen. Einfach querlesen, das geht nicht. Das ist schon viel. Man sieht allerdings schnell Qualitätsunterschiede: logische Fehler, schiefe Bilder, abgelatschte Metaphern oder den Versuch, etwas Neues zu schaffen, und dabei zerstört man das Original. Man erkennt das schon, und dann ist es auch nicht schwierig, eine Auswahl zu treffen. Ich habe mich über Ideen gefreut – und über Schlampigkeit geärgert. Haben Sie einen Favoriten? Ja, sag’ ich aber nicht. Jetzt schreiben die Fünf weiter an ihren Stücken. Ich bin sehr gespannt, was uns dann im Juni vorliegt. Ein Stück kann auch totgeschrieben werden. Schreiben ist immer harte Arbeit, harte Recherche. Wenn man nur ein bisschen googelt, zwei Gläser Wein trinkt und alles runterschreibt, dann wird das nichts. Sie haben für die Nibelungen-Festspiele 2018 „Siegfrieds Erben“ geschrieben. Wie sind Sie selbst und Ihr Co-Autor Günter Senkel mit der Herausforderung umgegangen, den Stoff weiterzuentwickeln, ohne ihn zu zerstören? Wir wollten uns in der Zeit des Originalstücks bewegen und die Geschichte weitererzählen. Wir sind keine Freunde der postmodernen Nicht-Erzählung, die sich darin gefällt, mit den Rollen zu spielen, Verwirrung zu stiften. Aus dieser Trickkiste bedienen wir uns nicht. Es war allerdings schon ein Kampf, eine poetische, theatertaugliche Sprache zu finden und die Figuren nicht unter Wortgeröll zu begraben. Egal, welchen Zugang man zu dem Stück findet, man muss sich kaputt machen. Und das ist gut so. Der Wettbewerb fordert die jungen Autoren auf, sich mit Hagen zu beschäftigen. Wie würden Sie selbst diese Figur anpacken? Ich verbiete es mir, mit bestimmten Vorstellungen an die eingereichten Texte heranzugehen. Es wird oft von Hagens Treue zum Hause Burgund gesprochen. Ich kann nichts damit anfangen, wenn man Hagen so umdeutet, dass von seiner Heimtücke und Niedertracht nichts mehr übrig bleibt. Hagen ist für mich – wie alle Männer in dem Stück – eine furchtbare Figur. Welches ist für Sie die interessanteste Figur im Nibelungenlied? Ich mag Brunhilde sehr. Sie hat mit einer Selbstverständlichkeit den Prinzen und Minnesängern den Kopf abgerissen. (lacht) Eine rabiate Frau und eine Kriegerkönigin. Das gefällt mir. In meinem neuen Buch geht es um zehn Frauen, in die ich mich anverwandelt habe, von Zippora, der Frau Moses’, bis zu der militanten Feministin Valerie Solanas, die Andy Warhol niedergeschossen hat. Es ist ein feministisches Buch – geschrieben von einem Kerl. Und unter anderem geht es um Brunhilde. Inspiriert von Ihrer Arbeit für die Wormser Festspiele? Eindeutig ja. Die Brunhilde in Ihrem Stück ist eine gebrochene Frau. Ja. Großartig gespielt von Ursula Strauss. Zur Person Feridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu, lebt seit seinem sechsten Lebensmonat in Deutschland. Er studierte Kunst und Humanmedizin in Kiel, wo er immer noch lebt. Zaimoglu ist ein vielfach ausgezeichneter Autor und Ehrenprofessur des Landes Schleswig-Holstein. Bekannt wurde er 1995 als „Untergrundautor“ mit dem Buch „Kanak Sprak“ über verballhorntes Deutsch und im Jahr 2000 über den Film „Kanak Attack“, für den Zaimoglu die literarische Vorlage lieferte. Zuletzt veröffentlichte der 54-Jährige den großen Luther-Roman „Evangelio“. Im März erscheint Zaimoglus Roman „Die Geschichte der Frau“. | Interview: Sonja Weiher

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