Donnersbergkreis Schon zu viele Tote gesehen

Das Werk eines treffsicheren Todesschützen hat er mit eigenen Augen verfolgen müssen. Tote – auch Kinder – hat Mustafa schon viel zu viele gesehen. Fast emotionslos spricht der Zwölfjährige darüber, dabei ist seither erst ein Jahr vergangen. Mustafa ist Syrer, lebt nun in Kaiserslautern. Derzeit wohlbehütet und in Sicherheit, hat er zuvor Kriegsgräuel erlebt. Davon hat der Junge jetzt vor Publikum berichtet. Auf Einladung der Lauterer Unicef-Hochschulgruppe.

Später Sommernachmittag, beinahe noch Badewetter. In einem angenehm kühlen Hörsaal des Fachbereichs Physik mag so manchem der gebannten Zuhörer frösteln. Ein bisschen verloren wirkt der kleine Junge, der vorn am Tisch vor der großen Tafel sitzt, mit hängenden Schultern. Sein Körper scheint zu versinken, sein Blick aber geht fest nach vorn, fixiert abwechselnd die Zuhörer und seinen Landsmann, der neben ihm am Rednerpult steht: Hussam Romeiah ist der eigentliche Referent. Seit acht Jahren in der Pfalz, Absolvent der Technischen Universität, mittlerweile heimisch in Deutschland. Doch Romeiah liegt immens am Herzen, den in Syrien wütenden Bürgerkrieg nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Deshalb war er bereit, sich auf Einladung der Unicef-Hochschulgruppe an der TU des Themas anzunehmen. Seinen Vortrag hat er als Frage-Antwort-„Spiel“ aufbereitet. Was dabei zur Sprache kommt, ist allerdings im wahrsten Sinne des Wortes blutiger Ernst. Romeiah stellt Fragen zum Leben eines Kindes in Syrien. Wie funktioniert der Alltag? Wie sieht die Schule aus? Freizeit? Mustafa antwortet. Ruhig, scheinbar gelassen. Sein Landsmann übersetzt. Das Frösteln ergreift weitere der rund 50 Zuhörer. Das Referat tastet sich keineswegs an härteren Kapiteln vorbei. Wie Mustafa denn Gewalt erlebt habe, fragt Romeiah. Ein Projektor wirft Bilder an die Wand, die sich per Klick nach und nach unter den Titelzeilen anordnen. „Gewalt“ steht in der Überschrift, ein andermal ist „Schule“ zu lesen. Fotos zeugen von Zerstörung. Ein Bild ist drastischer kaum denkbar: Es zeigt die Leichen von Kindern. Mehr als zweieinhalb Jahre seiner Kindheit sind Mustafa vom Krieg geraubt worden. Sein schlimmstes Erlebnis? Der Ramadan 2013 war zu Ende, mündete in ein Fest. Auch in der rund 40.000 Einwohner zählenden Stadt im Norden Syriens, die Mustafas Heimat ist. Eine Art kleiner Rummel ist aufgebaut, Kinder spielen, eine kurze Weile abgelenkt vom manchmal grauenvollen Alltag. Ein Scharfschütze, einer der regierungstreuen Truppen, spielt nicht. Er legt an. Vor Mustafas Augen schlägt eine Kugel in den Kopf eines Betreuers ein ... Fast ein Jahr ist das her. Vier Monate trug der Zwölfjährige das Bild in seinem Kopf noch in seiner Heimat mit sich. Dann bestieg er mit seinen Eltern ein Flugzeug. Seit November lebt die Familie hier bei Mustafas Bruder. Die Aufenthaltsgenehmigung gelte zwei Jahre, sagte Anas Crakpe. Er habe eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, seine Eltern und den kleinen Bruder bei sich aufgenommen. Eine Wohnung zu finden, sei schwierig. Anas Crakpe ist vor neun Jahren nach Deutschland gekommen. Ein Stipendium hat ihn an die TU geführt. Als Ingenieur der Informationstechnologie hat der 31-Jährige rasch Arbeit gefunden. Sein kleiner Bruder war daheim ein sehr guter Schüler. Die Noten haben ihm einen Weg geebnet: Seit Februar besucht Mustafa nun das Heinrich-Heine-Gymnasium. Stimmt die Leistung, hat er gute Aussichten, bleiben zu dürfen. Sein Bruder sitzt ihm im Genick, wenn’s ums Erlernen der Sprache geht. Wie gut er schon deutsch spricht, bewies der Zwölfjährige eindrucksvoll. Beim Themenabend der Hochschulgruppe hat das Kriegsgrauen in Syrien ein Gesicht bekommen. Mustafas schlimme Schilderungen vertieften die Eindrücke dessen, was zuvor Maria Larissa Stoy skizziert hatte: Die Südwest-Regionalbeauftragte des Kinderhilfswerks hatte nämlich von der Unicef-Arbeit in Syrien erzählt, die Notwendigkeit der Unterstützung mit drastischen Zahlen untermauert: Rund 5,5 Millionen Kinder sind ihren Worten nach vom Krieg direkt betroffen, mehr als 100.000 Kinder hätten den Tod gefunden. Fast zwei Drittel aller Krankenhäuser lägen in Trümmern. 1,5 Millionen Menschen seien auf der Flucht. Alles Zahlen, die von der nach Stoys Einschätzung „größten humanitären Katastrophe unserer Generation“ zeugen.

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