Donnersbergkreis „Nur das Weh blieb, das Heim ist fort“

ALSENBRÜCK. Welch hochaktuellen Bezug Werk und Leben der 1975 verstorbenen Dichterin Mascha Kaléko beinhalten, konnten die zahlreichen Zuhörer am Sonntag in der Protestantischen Kirche eindrucksvoll erfahren. Claudia Kettering, Pfarrerin der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft, erzählte in ihrem fesselnden Vortrag über die prägenden Lebensstationen der Lyrikerin, die Schauspielerin Barbara Seeliger trug eindrucksvoll Zitate aus dem Werk Kalékos vor.

Bereits im titelgebenden Zitat „Zur Heimat erkor ich mir die Liebe“ erscheinen die Hauptmotive ihres Leben: die Emigration von Berlin nach New York 1938 und von dort nach Jerusalem 1960 und die aufopfernde Liebe zu ihrem zweiten Ehemann und zu ihrem Sohn. Nicht erst die Emigration prägte ihren Lebensweg. Der Vater war russisch-jüdischer Emigrant, die Mutter Österreicherin. Geboren wurde sie 1907 im polnischen Galizien, die Familie floh aus Furcht vor Judenpogromen 1914 nach Frankfurt und Marburg. Verwurzelt war sie seit 1918 dort, wo ihre Schaffenskraft sich in den 20er Jahren entfaltete: in Berlin. Lebenshungrig und voller Lebenslust saugt sie auf, was sich ihr bietet. Sie drückt es in ihren Gedichten aus, die Kettering treffsicher beschreibt: Mit einer Zeile könne sie die schwierigsten Dinge so sagen, dass jeder es verstehen kann, schnoddrig, realistisch, pfiffig und mit tiefen Gefühlen, mit melancholischem Witz und leichter Schwermut. „Ich singe, wie der Vogel singt, gehöre keiner Schule an und bin nur ein Großstadtspatz“, schreibt Kaléko mit Selbstironie. Ihre Gefühlstiefe spricht aus den bekannten Zeilen: „Um meinen Tod ist mir nicht bang..., mit dem Tod der anderen muss ich leben.“ Hat Kaléko sich in Berlin in Leben und Kultur erfolgreich integriert, so bringt die Emigration in die USA einen Bruch mit dem Leben in der bisherigen Heimat. Sie verstummt als Lyrikerin, widmet sich ganz Sohn und Mann, ernährt die Familie mit Werbetexten. Sie bilanziert die Wendung zur inneren Verwurzelung in ihrer Liebe aber immer zwiespältig: „Ich bin sehr happy, doch glücklich bin ich nicht.“ Nach dem Tod ihres Sohnes 1968 und ihres Mannes 1973 findet sie wieder Worte, mit denen sie mit tiefgründiger Weisheit gerade zum Thema Emigration Verständnishilfe geben kann. „Nur das Weh blieb, das Heim ist fort.“ „Mir ist zuweilen so, als ob mein Herz zerbrach. Ich habe Sehnsucht, ich weiß nur nicht wonach.“ Seeliger trägt die Zitate mitreißend vor, mit lebhafter Mimik, den Text in stimmlich passenden Duktus fassend. Kettering wirft die Frage auf, ob Heimat ein Ort auf dem Globus sei. Für Kaléko sei sie eher die Sehnsucht nach einem selbst gestalteten Leben gewesen, wohl deshalb sei sie in New York heimatlos geblieben. In Jerusalem habe sie keine Kraft mehr gehabt, sich ins pulsierende Leben dieser Stadt zu begeben. „Du bist von jenem Baume, der ewig zweigte, aber niemals Wurzeln trieb“, besinnt sich die Dichterin ihrer jüdischen Wurzeln. Ebenso eindringlich flammt das Glück im Gedicht „Sozusagen grundlos vergnügt“ auf: „Ich freu mich, dass ich mich freu“. (liel/Foto: dpa)

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