Bad Dürkheim Mit Melone ins Kino

Der wohl einflussreichste Komiker aller Zeiten: Charlie Chaplin mit der charakteristischen Melone.
Der wohl einflussreichste Komiker aller Zeiten: Charlie Chaplin mit der charakteristischen Melone.

Rund 100 Filmfreunde haben am Sonntagabend in der Scheune des Von-Busch-Hofes den Stummfilm-Klassiker „Moderne Zeiten“, live am Klavier begleitet von Kai Schreiber erlebt. Der besondere Filmabend war einer der Höhepunkte des diesjährigen Sommerkinos Freinsheim.

„Der Film wirkt wie aus der Zeit gefallen“, betonte Organisator Wolfgang Bruch vom Büro für Filmkunst Oldenburg. Doch selbst rund 80 Jahre nach Erscheinen wirkt Chaplins Meisterwerk inhaltlich in weiten Teilen überraschend zeitgemäß. In 87 schwarz-weißen Minuten setzt Chaplin die Schattenseiten des Kapitalismus in Szene: Automatisierung und Überwachung, die Entfremdung des Menschen durch Effizienzdruck, Massenarbeitslosigkeit und Verelendung. Im Hinblick auf das diesjährige Kultursommerthema „Industriekultur“ war der Stummfilm erste Wahl. Einzelne Bilder aus dem Film, etwa das des Arbeiters, der buchstäblich unter das Räderwerk einer absurden Maschine gerät und der als menschliches Versuchskaninchen in einen Fütterungsapparat eingespannt ist, sind längst Teil des cineastischen Kollektivgedächtnisses. „Moderne Zeiten“ ist ganz großes Kino, das – zum letzten Mal – ohne Worte auskommt, ein vielschichtiges Werk pantomimischer Darstellungskunst, Satire, Tragikomödie und Persiflage zugleich. Symbolische Massenszenen wie die der Schafherde und der Masse Werktägiger, die der U-Bahn-Schacht allmorgendlich ausspuckt, wirken nachmals fast existenzialistisch. Chaplin-Fans – unter den Kinobesuchern gab es sogar vereinzelt Melonenträger – erlebten den Mimen ein letztes Mal in der Figur des Tramps, die dem Hobo, dem nordamerikanischen Wanderarbeiter, nachempfunden ist. An dessen Seite Paulette Goddard als hungriges Straßenmädchen. Beide, Chaplin und Goddard, zogen in den Bann mit beredeter Mimik und Körpersprache, ihre darstellerische Kunst vom pantomimischen Augenaufschlag über die Balletteinlage bis zur Rollschuh-Akrobatik, sparte auch Slapstick nicht aus. Und so machten etliche Lacher die Runde bei klassischen Kintopp-Motiven wie dem Tortengesicht, der Kellnerszene mit Bratenten-Balance oder Akkordschraubern am Fließband und man schmunzelte bei der Paarszene in der Bretterhütte, die die Karikatur kleinbürgerlichen Lebens zelebrierte. Dramaturgisch untermalt wurde „Modern Times“ wie ehedem üblich durch live gespielte Filmmusik. Dazu konnte – wie in den Vorjahren – der studierte Organist und Freinsheimer Bach-Chor-Leiter Kai Schreiber gewonnen werden. Einen Stummfilm in Echtzeit live zu vertonen, sei eine Herausforderung, die zugleich einen Riesenspaß mache, so der Musiker. Die Begleitmusik solle den Film dramaturgisch untermalen, Stimmungen und Gefühle transportieren ohne dabei Pointen vorwegzunehmen. Eine komplexe Aufgabe, die neben Einfühlungsvermögen genaue Detailkenntnis erfordere: Seit April hat Schreiber den Film rund ein Dutzend Mal gesehen, Schlüsselszenen analysiert und sich in die Tiefenstruktur des Streifens eingearbeitet. Ähnlich wie Filmmusik-Komponisten arbeitete Schreiber mit der Leitmotivtechnik, setzte auf figurengebundene Elemente und deren Variationen und reicherte diese mit Improvisationen an, die dem ständigen Changieren der Filmaussage zwischen Komik und Ernst voll gerecht wurden. Nicht zuletzt ist „Modern Times“ eine Satire auf den Tonfilm, in dem Chaplin den Untergang der Schauspielkunst verortete. Und bezeichnenderweise der einzige Streifen, in dem Chaplin zu hören ist: Als singend tanzender Kellner, der den Liedtext vergisst und in einer pseudofranzösisch-italienischen Fantasiesprache weitersingt. Nebenbei: In Chaplins Version von Léo Daniderffs „Je cherche après Titine (1917)“ erscheint Michael Jacksons späterer Moonwalk angelegt. Letzte Szene: Gemeinsam tippeln der Tramp und das Mädchen der Morgensonne entgegen, Schreiber trillert ein finales Crescendo und Bravo-Rufe feiern das stimmige Gesamtkunstwerk.

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