Bad Dürkheim Graue Töne und gleiche Tage

Die Palette ihrer Lebenstage besteht aus grauen Tönen wie ihre gebleichten Haare: Einer alten, armseligen Bauersfrau erweist Anja Kleinhans mit der Inszenierung „Mein Lebtag“ von Fitzgerald Kusz besondere Ehre, indem sie buchstäblich mit Haut und Haar in ihre Rolle schlüpft. Am Freitag feierte das „Theader Freinsheim“ im Casinoturm Premiere.

„Mein Lebtag“ beginnt am Anfang des 20. Jahrhunderts. Wenn die zurückblickende alte Frau einen Bogen bis in die Nachkriegszeit schlägt, ihr karges Leben schildert, dann erlebt das Publikum eine persönliche Geschichtslektion, deren Bilder schon fast vergilbt sind: Menschen wie diese bodenständige, barfuß auf dem Acker stehende Spargelbäuerin gehören in unserer modernen, unersättlichen Gesellschaft zu einer aussterbenden Spezies. Umso deutlicher wird spürbar, mit wie viel Herzblut die Schauspielerin agiert: Die „Kleinen“ sollen nicht vergessen werden. Ohne schwülstiges Pathos haben sie es verdient, dass man sich an sie erinnert. Ursprünglich wurde das Stück des 1944 in Nürnberg geborenen Schriftstellers Fitzgerald Kusz im fränkischen Dialekt verfasst. Die „Theader“-Inszenierung, gefördert durch den Kultur-sommer Rheinland Pfalz, holt es getreu dem diesjährigen Motto „Mit allen Sinnen“ in die erdverbundene, deftige Welt pfälzischer Gemüsefelder und Bauerndörfer. Da Handlung fehlt, lebt die Szenerie ganz und gar von der Gestaltung durch die Darstellerin. Mit mundartlich urwüchsiger Kraft und wechselvollem Mienenspiel ihres um Jahrzehnte gealterten Gesichts beeindruckt Anja Kleinhans ihre Zuschauer: Die Anzahl der Lebtage und die Gebrechlichkeit nimmt man ihr nicht nur wegen der hervorragenden Maske ab. Mal wirken ihre Züge streng konturiert, mal erhellen sie sich durch den Anflug eines erinnernden Lächelns. In schmerzlichen Momenten verzerren sie sich tränenvoll und nur zu oft welken sie zu harter Verbitterung. Distanz ist im kleinen Theaterraum des Casinoturms für das Publikum kaum möglich, der Zuschauer erlebt Schmerz wie auch komische Momente aus direkter Nähe mit. Unweigerlich fragt er sich, woher die Stimme kommt, die dem Erinnern der alten Frau permanent und fast gebieterisch auf die Sprünge hilft. Welche Instanz da spricht, lässt aber auch der Textautor offen. Regisseur Uli Hoch stellt der zermürbenden und kräftezehrenden Lebenswirklichkeit eine andere Welt gegenüber: Die Spielpartnerin von Anja Kleinhans ist die ebenfalls in Freinsheim lebende Musikerin Ulrike Albeseder, die auf der anderen Seite von Leben und Bühne agiert: Indem sie auf der Oboe Telemann-Fantasien vorträgt, versinnbildlicht sie das Dasein als glanzvolles Festspiel mit barocken Klängen, feiner Kleidung und dem Hauch von Rosenduft. Freudloser, geradezu trist geht der Takt in einem Leben, das auf Mühe und Arbeit gebaut ist. Das Glück schmeckt die alte Spargelbäuerin höchstens in knappen Bröckchen kostbarer Schokolade, in winzig bemessenen Portionen. Da ist kein leidenschaftliches Greifen nach Genuss – stattdessen herrschen Armut und Alltäglichkeit in einer eng begrenzten Welt, eingekeilt in gewohnte Abläufe. Der ein Lebtag anhaltende Gleichklang wird wirksam herausgearbeitet. Gleichzeitig erweist er sich als Sicherheit und Halt und sei es nur mit dem Pfeifen des täglich vorübereilenden Zuges. So kreist es weiter bis zuletzt, das Leben wie die Drehbühne, mühsam angeschoben von der Bauersfrau, der am Ende nicht mehr bleibt als ihr kleines Spargelgeld und das einseitige Gespräch mit dem leblosen Hund Prinz. Die Darbietung im „Theader“ holt diese Frau stellvertretend für so viele aus der Bedeutungslosigkeit und schafft ihr ein sehenswertes Denkmal.

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