Rheinland-Pfalz Obdachlosigkeit: Kampf ums Kleingeld

Übrigens: Weder Bettelei noch die Organisation derselben ist verboten. Aggressives Betteln dagegen wird in Ludwigshafen wie in v
Übrigens: Weder Bettelei noch die Organisation derselben ist verboten. Aggressives Betteln dagegen wird in Ludwigshafen wie in vielen anderen Kommunen vom Ordnungsamt verfolgt. Foto: Imago Images/Panthermedia

Über „Bettelbanden“ aus Osteuropa wird in vielen Städten diskutiert. Wer sich dem Thema nähert, betritt eine ganz eigene Welt. Und wer’s genau wissen will, frage Heinz. Der hat nämlich einen ganz anständigen Platz zum Betteln. Und muss gelegentlich um ihn kämpfen.

Ein anständiger Platz ist eben ein anständiger Platz – und so was weckt Begehrlichkeiten: Einmal ist einer gekommen, der hat Heinz* mit voller Wucht ans Knie getreten. „Der wollte hier seine Frau stellen“, sagt Heinz. „Hier“ ist ein Parkplatz irgendwo in Ludwigshafen, Heinz sitzt mit seiner Mütze in der Nähe des Kassenautomaten, manche, die ihr Parkticket bezahlen, lassen ihm das Kleingeld da. Der Typ also, dem Akzent nach Osteuropäer, hat Heinz mit voller Wucht gegen das Knie gesemmelt, es war das dritte oder vierte Mal, dass jemand versucht hat, seinen Platz zu übernehmen.

Heinz hat sie alle überlebt, bislang: den Typ, der ihn stundenlang stumm angestarrt hat, um ihn mit seinem Blick zu vertreiben. Die Frau, die ihn beim Ordnungsamt denunziert hat, weil er angeblich den Platz vermüllt. Den Typen vor zwei, drei Wochen, der laut Heinz wohl dachte „mit dem alten Mann kann er’s machen“, Heinz, 55 Jahre, hat ihn weggeschubst. „Das kommt auch so saisonal“, sagt Heinz, es weihnachtet bald, und dann werden wieder mehr kommen, und dann wird er vielleicht wieder seinen Platz verteidigen müssen.

Darüber, wer da kommt, darüber herrschen gleichzeitig Einigkeit und Meinungsverschiedenheiten. Die Zahl der Obdachlosen in Deutschland ist in den letzten Jahren massiv angestiegen, von geschätzten 39.000 Anfang der 2010er-Jahre auf momentan wohl über 50.000. Ursächlich für den Anstieg sind vor allem Obdachlose aus Osteuropa. Menschen also, die in ihren Heimatländern wohl oft unter so unsäglichen Bedingungen leben, dass selbst ein Leben auf der Straße in Deutschland dagegen attraktiv erscheint.

Gibt es eine „Bettelmafia“ überhaupt?

Es ist dieses Leben ohne Sicherheitsnetz: Sozialhilfe bekommt seit einer Gesetzesänderung 2017 nur, wer seit fünf Jahren in Deutschland gemeldet ist. Die Gruppe steht selten im Zentrum der Aufmerksamkeit, und wenn, spielt die Aufmerksamkeit oft in die Faszination fürs Desaströse: Wenn die osteuropäische Obdachlosenszene aus dem Berliner Tiergarten vertrieben wird beispielsweise, oder wenn sich ein Wohnsitzloser aus Bulgarien auf den Mannheimer Neckarwiesen umgebracht hat. Oder, wenn eben von organisiertem Betteln die Rede ist, von Bettelbanden oder einer „Bettelmafia“ – und da fangen dann die Meinungsverschiedenheiten an.

Für Paul Neupert, Referent bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) in Berlin, stellt der Begriff Bettelbanden schon „in der Wortwahl ein abwertendes Stereotyp“ dar. Dass es mitunter Konkurrenzkämpfe zwischen Obdachlosen gibt, sei bekannt, meint Neupert. Grund dafür seien häufig die knappen Ressourcen, die Obdachlosen zur Verfügung stehen. „Das können auch Plätze zum Schlafen oder Betteln sein. Betroffen davon sind grundsätzlich alle Obdachlosen, ungeachtet ihrer Herkunft“, sagt Neupert.

Steigt Peter Lehmann, der Leiter des Kaiserslauterer Förderzentrums St. Christophorus für Wohnungslose, am Stuttgarter Hauptbahnhof aus dem Zug, dann sieht er dort durchaus Strukturen, die auf einen gewissen Organisationsgrad mancher Bettler hinweisen: Er sieht einige, die betteln, er sieht andere, die abschirmen, „ich vergleich’ das oft mit Zuhälterei“, sagt Lehmann. Versucht er seinen Studenten an der Hochschule Stuttgart, wo er einen Lehrauftrag hat, das Gesehene zu vermitteln, stößt er oft auf Unverständnis. „Ich sage dann immer: Ihr seht das gar nicht“, sagt Lehmann.

„Manche kriegen Gewalt zugefügt“

Womit er amüsanterweise einen Satz sagt, den auch Heinz wörtlich so gesagt hat. „Es kriegen nur die Leute mit, die auf der Straße leben“, ergänzt Heinz. Was er persönlich mitkriegt, sieht dann beispielsweise so aus: „Es gibt Gruppen, die suchen Plätze – und dann werden da Leute aus Bussen abgesetzt.“ Die Frau, die ihn denunziert und die den Platz selbst vermüllt hat, ist so auf seinem Platz gelandet, und der Frau, sie hatte eine offene Wunde am Kehlkopf, war ihr Elend ziemlich deutlich anzusehen. „Manche kriegen auch Gewalt zugefügt, weil sie nicht genug bringen“, sagt Heinz, „die Leute tun mir auch leid...“

Ein anständiger Platz ist allerdings ein anständiger Platz – und „dass mehr Menschen um die wenigen Ressourcen konkurrieren, verschärft Verteilungskämpfe“, sagt Neupert. Manches regelt sich allerdings auch kollegial. Den Platz am Kassenautomaten teilt sich Heinz mit seiner Lebensgefährtin. Manchmal übernimmt einer von Heinz’ guten Bekannten, einer, dem er vertraut, der den Platz nicht vermüllt und die Passanten nicht belästigt, „dem geht’s genauso dreckig wie mir“, sagt er. Einmal hat jemand versucht, den Platz zu übernehmen und unterzuvermieten, für zehn Euro am Tag, die Frau hat inzwischen Platzverbot.

Heinz und seine Frau sind hier geduldet, vom Betreiber des Parkplatzes, und sie sorgen wohl auch dafür, dass das so bleibt: Heinz kann Geld für den Automaten wechseln, er hat schon das eine oder andere Auto angeschoben, sich die Kennzeichen von Fahrerflüchtigen aufgeschrieben. „Seit ich hier sitze, werden auch keine Autos mehr aufgebrochen“, sagt er. Für Heinz und seine Frau hat der Platz einen unschätzbaren Mehrwert: Am Kassenautomaten steht eine Kamera. „Ist unser Vorteil“, wenn wieder mal jemand schubst oder ihm ans Knie tritt, sagt Heinz.

Das Thema ist ein Minenfeld

Schön, dass überhaupt mal jemand hinguckt, und sei es eine Kamera: Obdachlosigkeit im Allgemeinen und organisiertes Betteln im Speziellen stehen nicht eben im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Weder Bettelei noch die Organisation derselben ist im Übrigen verboten. Aggressives Betteln dagegen wird in Ludwigshafen wie in vielen anderen Kommunen vom Ordnungsamt verfolgt. Das Bundeskriminalamt schaut zudem inzwischen ein wenig genauer aufs Dunkelfeld: Seit 2016 gibt es den Straftatbestand der „Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei“ als Form des Menschenhandels. Zwei Fälle hat man dabei laut BKA-Lagebild 2018 feststellen können, keiner davon laut Landeskriminalamt aus Rheinland-Pfalz.

Beim Ludwigshafener Ordnungsamt schlagen gelegentlich Fälle auf, die nahelegen, dass da durchaus etwas sein könnte: Fälle, bei denen Gruppen von Menschen mit identischen Bildern von Kindern Geld erbetteln wollen, laut Stadt stammen die Bilder wahrscheinlich aus dem Internet. Ansonsten gibt’s zum Thema wenig Erkenntnisse, Heinz wundert’s nicht: „Die Polizei hat was anderes zu tun“, vermutet er, „die gucken da nicht so genau hin.“

Ist natürlich auch ein ideologisches Minenfeld, das Thema, wie eigentlich fast alles in einer tief gespaltenen Republik: Manchen Gesprächspartnern ist deutlich das Bemühen abzulauschen, nicht die Vorurteile und Ressentiments der falschen Leute zu bedienen. Die vom Typus „deutsches Geld für deutsche Obdachlose“, artikuliert mutmaßlich oft von Menschen, die sich eigentlich nicht im Geringsten für das Thema Obdachlosigkeit interessieren. Wer Stereotype bedient, bedient Populismus – wer real existierende Phänomene verschweigt, befeuert Populismus allerdings auch. Und deshalb ist es gut, mit Peter Lehmann zu sprechen – der ist nämlich jemand, der erkennbar mit Herzblut an seiner Arbeit hängt und dabei hörbar ein offenes Wort schätzt.

Bettelarm und dankbar

„Bettelarm und sehr, sehr dankbar“, seien die osteuropäischen Obdachlosen, die sich in der Kaiserslauterer Caritas-Einrichtung meldeten, Menschen, die oft alles verloren haben, sogar ganz wörtlich ihren Platz im Leben. „Wer geht schon 2000 Kilometer von seiner Heimat weg, ins Ungewisse?“, fragt Lehmann. Auch in Kaiserslautern gab es neben alleinreisenden osteuropäischen Obdachlosen zeitweise allerdings ganze Familien, die versucht haben, die gebotene Hilfe systematisch auszunutzen. „Das haben wir dann schnell unterbunden – weil sich das extrem schnell rumspricht“, sagt Lehmann, „auch Kaiserslautern will den Tourismus natürlich nicht haben.“ Das „auch“ in jenem Satz ist ein wichtiger Zusatz: Die Stadt Kaiserslautern ist eine der wenigen Kommunen, die die Übernachtung auch von Osteuropäern im örtlichen Caritas-Zentrum bezuschusst. Man kann offensichtlich ziemlich pleite sein, ohne hartherzig zu werden.

Mit der Frau , die was am Kehlkopf und seinen Platz zeitweise besetzt hatte, mit der hatte Heinz zunächst wohl eher Mitleid. „Ich hab’ nichts gegen die Frau gehabt“, sagt er, „bis ich gemerkt habe, dass sie gestellt wird.“ Dann hat er sie vertrieben. Ein anständiger Platz ist eben ein anständiger Platz.

*Name geändert

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