Rheinland-Pfalz Gutachter hat keine Zweifel

«Frankenthal.» Eine milchige Wolke schießt übers Gelände, schiebt das tonnenschwere Feuerwehrauto zur Seite, leuchtet plötzlich in grellen Gelb-rot-orange-Tönen auf: Der Gasnebel hat sich am Löschfahrzeug entzündet und ist zu einer Flammenwand geworden. Die schnellt dahin zurück, wo der gefährliche Dunst gerade hergekommen war. Und dort vereint sie sich mit einem weiteren Feuerball zu einer riesigen Explosion, so zeigen es die Bilder aus einer Überwachungskamera. Nun lässt der Gutachter Dirk Ley sie und weitere Aufnahmen über eine Leinwand im Frankenthaler Gerichtssaal flimmern. Eine Sequenz lässt aus größerer Entfernung erkennen, wie urplötzlich vom Ludwigshafener BASF-Gelände die gigantischen Feuerbälle aufsteigen. Und eine andere zeigt, wie die Flammenwand über ein Frachtschiff im Nordhafen hinwegfegt: ein Inferno, durch das vier Wehrleute und ein Matrose ums Leben kamen, während Dutzende weitere Menschen verletzt wurden. Die Justiz muss nun klären, wer diese Katastrophe verschuldet hat. Und Ley ist dabei ihr wichtigster Experte: Als Brandursachen-Forscher soll er sagen, wie das Verhängnis seinen Lauf nahm. Hilfreich ist für ihn dabei vor allem, was ein Lastwagenfahrer im nahen BASF-Kombiterminal mit seiner Handykamera kurz vorher aufgezeichnet hatte: Dieser Mann filmte, wie aus einem Graben voller Rohre eine meterhohe Flamme emporstieg. Ley sagt: Deren Hitze ließ das Metall einer Ethylen-Fernleitung schwach werden. Bis ihr hoher Innendruck von fast 90 bar sie bersten ließ: Ein wohl mehr als 100 Meter langer Abschnitt der Pipeline wurde emporgeschleudert und blies seinen Inhalt auf das eben angerückte Löschfahrzeug, sodass es zur Explosion kam. Ausgelöst haben soll all das der 63-jährige Schlosser einer Fremdfirma, dem deshalb nun der Prozess gemacht wird. Der Angeklagte sollte am 17. Oktober 2016 eine Leitung zerlegen, die dafür zuvor geleert und mit Stickstoff durchgespült worden war. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er versehentlich die Rohre verwechselte und eine andere Pipeline seitlich aufschlitzte. Deren ausströmender Inhalt habe sich dann an den Funken seiner Flex entzündet und so die Feuersäule genährt, die mit ihrer Gluthitze die fatale Kettenreaktion in Gang setzte. Der Angeklagte allerdings beteuert: Er könne sich an die entscheidenden Momente nicht erinnern, doch dass er so einen fatalen Fehler gemacht habe, sei für ihn undenkbar. Und das Handy-Video des Lastwagenfahrers verrät nur, dass die Flamme ungefähr dort loderte, wo der 63-Jährige flexen sollte. Doch aus welchem Rohr genau sie gefüttert wurde, ist nicht zu erkennen. Also haben einige Juristen im Prozess auch schon andere Erklärungen für das Inferno zur Debatte gestellt. Und nun fragen sie den Gutachter, ob an diesen Theorien nicht doch etwas dran sein könnte. Ley allerdings winkt ab: Undenkbar ist für ihn zum Beispiel, dass jemand versehentlich von irgendwoher etwas in das für die Demontage abgeschaltete Rohr gepumpt hätte. Denn dann wären Flammen auch dort herausgeschossen, wo es schon abgeschnitten war und deshalb eine große offene Mündung hatte. Ebenso schließt der Gutachter aus, dass Flex-Funken Altlasten entzündet haben könnten, die irgendwann einmal im Boden unter den Rohren versickert waren. Oder dass Chemikalien-Reste in der eigentlich geleerten Pipeline Feuer gefangen hätten. Der Fachmann erläutert: Er hält es für unwahrscheinlich, dass solche Überbleibsel überhaupt in Brand geraten wären. Und schon gar nicht hätten derartige Rückstände für ein Feuer gereicht, das minutenlang wütete und dessen Gluthitze schließlich die Ethylen-Leitung bersten ließ. Außerdem hätte für solche Szenarien jemand nach der Katastrophe noch schnell zum abgesperrten Unglücksort schleichen und dort in einer tollkühnen Vertuschungsaktion eine falsche Spur legen müssen: den verräterischen Flex-Schnitt an der Leitung neben dem Demontage-Rohr. Der wurde zwar erst ein paar Tage nach der Explosion entdeckt, weil die Unglücksstelle zuvor kaum zu betreten war. Doch Ley präsentiert eine Luftaufnahme, die schon gemacht wurde, als die Löscharbeiten noch liefen. An der Schnitt-Stelle waren die Flammen da schon erstickt. Auf dem Bild ist zu erkennen, dass genau dort aber weiter Gas ausströmt. Und zwar zweigeteilt: eine Wolke wabert eher in Boden-Richtung, die andere tritt eher waagrecht aus. Das passt perfekt zu dem Schlitz, den demnach eigentlich nur der Angeklagte gesetzt haben kann und der nun als Unglücksursache gilt. Denn in der Mitte dieses Spalts, das zeigten spätere Labor-Untersuchungen, war ein bisschen Rohrwand zurückgeblieben. Und dieses Metall-Stückchen lenkte den austretenden Stoff in zwei verschiedene Richtungen. Doch ausgerechnet dieser Hinweis lässt die Richter nun wieder stutzen. Sie sagen: Nachdem sich beim Flexen eine rotierende Scheibe ins Material frisst, müsste sie doch gerade im Schnitt-Zentrum am tiefsten eingedrungen sein. Ley entgegnet: Wahrscheinlich hat das druckvoll ausströmende Gas einen Wulst vom Schartenrand verbogen und das Leck so zum Teil wieder zugedrückt. Doch er räumt auch ein: Überprüft werden könne diese Erklärung nicht mehr. Denn das ausgebaute Rohr-Stück sei bei weiteren Untersuchungen im Bundeskriminalamt zerstört worden.

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