Rheinland-Pfalz Bluttat von Kandel: Beschuldigter wahrscheinlich 20, mindestens 17,5 Jahre

Kandel. Wie alt ist der Beschuldigte, der am 27. Dezember in einer Kandeler Drogerie eine 15-Jährige niedergestochen haben soll? Auf diese Frage der Staatsanwaltschaft Landau hat der Sachverständige eine zweigeteilte Antwort gegeben: Er sei mindestens 17einhalb, wahrscheinlich aber circa 20 Jahre alt. Danach wäre der Beschuldigte in jedem Fall deutlich älter, als die Behörden bisher angenommen haben.

KANDEL. Wie alt ist der Beschuldigte, der am 27. Dezember in einer Kandeler Drogerie eine 15-Jährige niedergestochen haben soll? Auf diese Frage der Staatsanwaltschaft Landau hat der Sachverständige eine zweigeteilte Antwort gegeben: Er sei mindestens 17einhalb, wahrscheinlich aber circa 20 Jahre alt. Danach wäre der Beschuldigte in jedem Fall deutlich älter, als die Behörden bisher angenommen haben.Die Altersfrage ist von erheblicher Bedeutung: Allein nach Deutschland einreisende Flüchtlinge, die als Minderjährige anerkannt werden, werden in Schulen zusammen mit Gleichaltrigen unterrichtet, personalintensiver und damit deutlich kostspieliger betreut und in komfortableren Einrichtungen untergebracht als Erwachsene. Außerdem unterliegen Minderjährige, wenn sie Straftaten begehen, dem deutlich milderen Jugendstrafrecht. In Rheinland-Pfalz wird das Alter von jungen Flüchtlingen, die behaupten, keine Ausweispapiere bei ihrer Einreise besessen zu haben, fast ausschließlich per „qualifizierter Inaugenscheinnahme“ festgestellt. Dabei versuchen Mitarbeiter von Jugendämtern in einem Gespräch zu klären, wie alt eine Person ist. Im Saarland geschieht dies in einer zentralen „Vorclearingstelle“, also noch bevor die Flüchtlinge auf die einzelnen Jugendämter verteilt werden. In dieser Vorclearingstelle wird das Alter ganz überwiegend durch eine medizinische Untersuchung ermittelt. Bei dieser Methode werden die Handgelenke und deutlich seltener – so jetzt auch im Fall Kandel – zusätzlich die Schlüsselbeine sowie das Gebiss geröntgt. Auf diese Weise wurden im letzten Jahr im Saarland in 37 Prozent der Fälle junge Flüchtlinge als volljährig eingestuft, die zuvor behauptet hatten, noch minderjährig zu sein. Mit der Gesprächs-Methode in Rheinland-Pfalz wurden dagegen nur 16 Prozent der jungen Flüchtlinge bei falschen Altersangaben ertappt. Dass der erhebliche Unterschied bei diesen Prozent-Zahlen in beiden Ländern nur auf Zufall beruht, wurde im rheinland-pfälzischen Landtag bezweifelt. Die Mainzer Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) hat eine ähnliche Vorgehensweise wie im Nachbarland bisher abgelehnt. Ihre Begründung: Medizinische Untersuchungen seien „nicht genauer als eine qualifizierte Inaugenscheinnahme“. Mit dem Thema hat sich gestern auch der rheinland-pfälzische Ministerrat befasst. Anschließend sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), es werde geprüft, ob angesichts der rückläufigen Anzahl der Flüchtlinge künftig in Rheinland-Pfalz nur noch Schwerpunktjugendämter das Alter feststellen sollten. Solche Behörden, die die Aufgabe der Altersbestimmung im Auftrag einzelner Jugendämter übernehmen, gibt es in der Stadt Trier und in den Landkreisen Kreis Mainz-Bingen und Kusel. Darüber hinaus soll konkretisiert werden, „was ein Zweifelsfall ist, der eine medizinische Untersuchung zur Altersfeststellung rechtfertigt und erfordert“, fügte ein Sprecher des Integrationsministeriums hinzu. Außerdem sollen mit medizinischen Einrichtungen Vereinbarungen geschlossen werden, damit bei Bedarf das Alter schnell und verlässlich medizinisch festgestellt werden kann. Nicht gerüttelt werden soll an der Zuständigkeit der Kommunen und damit der Jugendämter für die Altersfeststellung. Das Landesjugendamt soll laut Ministerpräsidentin Dreyer zudem der Frage nachgehen, ob Jugendliche, deren Alter bereits in einem anderen Bundesland geschätzt wurde, noch einmal überprüft werden sollen. Im Falle des Kandeler Beschuldigten hatte das Frankfurter Jugendamt das Geburtsdatum auf 1. Januar 2002 festgelegt. Aber auch das Germersheimer Jugendamt, dem das Landesjugendamt den jungen Flüchtling zugewiesen hatte, ging von einer Abweichung von höchstens einem Jahr von diesem Datum aus. Und es betonte mehrfach: „Eine Volljährigkeit wird derzeit von allen Beteiligten ausgeschlossen.“ Als Konsequenz aus dem Altersgutachten hat der Germersheimer Landrat Fritz Brechtel (CDU) angeordnet, dass in seinem Landkreis bei allen allein eingereisten minderjährigen Flüchtlingen das Alter noch einmal überprüft wird. Und zwar „in Zweifelsfällen auch mit medizinischen Methoden“. Letzteres entsprach allerdings auch bisher schon der bundesweit geltenden Rechtslage – nur hatten die Jugendämter in Rheinland-Pfalz kaum Zweifel an ihren Altersbestimmungen auf Gesprächsbasis. Zweifel hin oder her, für den Sprecher des Integrationsministeriums steht in jedem Fall fest: Nach dem Ergebnis des gestern veröffentlichten Altersgutachtens war der junge Afghane bei seiner Zuweisung zum Kreis Germersheim zwischen 15,5 und 18 Jahre alt. Damit, so der Sprecher, „wäre in jedem Fall die Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe erfolgt“. Auch in strafrechtlicher Hinsicht hat die Altersfrage Bedeutung: Bei Minderjährigen ist zwingend das mildere Jugendrecht, bei Erwachsenen zwingend das allgemeine Strafrecht anzuwenden. Bei ersteren steht auf Mord eine Höchststrafe von zehn Jahren, bei letzteren muss ein Mord mit lebenslanger Haft geahndet werden. Nur wenn die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt, kann die Höchststrafe bei einem Jugendlichen auf 15 Jahre angehoben werden. Zwischen Minderjährigen und Erwachsenen steht im Strafrecht noch die Gruppe der Heranwachsenden. Die sind schon 18, aber noch nicht 21 Jahre alt. Hier muss das Gericht prüfen, ob ein Angeklagter aufgrund seiner Reife eher noch als Jugendlicher oder doch schon als Erwachsener zu behandeln ist. Sicher ist, dass der Beschuldigte im Fall Kandel – sofern es zu einer Anklage kommt – sich vor der Jugendkammer und nicht vor dem Schwurgericht des Landgerichtes Landau wird verantworten müssen. Da der Gutachter das wahrscheinlichste Alter des Beschuldigten mit circa 20 Jahren angegeben hat, kann für ihn nicht das Schwurgericht zuständig sein. Denn das ist Erwachsenen vorbehalten. Möglich ist aber, dass die Jugendkammer das Alter des Afghanen doch eher bei 18 als bei 17einhalb sieht. Nur in diesem Fall würde sich die Frage nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung stellen. Wäre er aufgrund seiner Reife nicht mehr als Jugendlicher anzusehen, dann könnte wie bei einem Erwachsenen auch ein Lebenslänglich verhängt werden.  Zur Sache: Solidarisch Die im Verbandsgemeinderat Kandel vertretenen Parteien haben eine Solidaritätserklärung für Verbandsbürgermeister Volker Poß (SPD) abgegeben. Er ist von Amts wegen für die Unterbringung von Flüchtlingen in der Verbandsgemeinde zuständig. Poß hatte sich nach der Kandeler Bluttat öffentlich gegen eine pauschale Verurteilung von Flüchtlingen ausgesprochen. Seitdem wird der Verbandsbürgermeister in Hass-Mails bedroht, in den sozialen Medien und bei Demonstrationen in Kandel immer wieder sein Rücktritt gefordert. In der „Solidaritätserklärung“ des Rates heißt es unter anderem: „Forderungen zum Rücktritt unseres Verbandsbürgermeisters sind haltlos und unbegründet. Als Verwaltungschef haben er und seine Mitarbeiter den Verbandsgemeinderat im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen in unserer Verbandsgemeinde in jeder Phase zeitnah und umfassend informiert.“ Für die Demonstrationen finden die Unterzeichner des Schreibens kritische Worte: „Die im Verbandsgemeinderat vertretenen Parteien missbilligen, dass versucht wird, Kandel zum Laufsteg von Extremisten zu machen. Ein kapitales Gewaltverbrechen darf nicht für Propagandazwecke missbraucht werden.“ tnc

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