Ludwigshafen Ausstellung „Street Life“: Lust und Frust auf dem Asphalt der Städte

Straßenszene aus der Zeit der Weimarer Republik: Rudolf Schlichters „Hausvogteiplatz“, um 1926.
Straßenszene aus der Zeit der Weimarer Republik: Rudolf Schlichters »Hausvogteiplatz«, um 1926.

Die Straße als Gegenstand und Raum der Kunst, das ist die Idee hinter der Ausstellung „Street Life“ des Wilhelm-Hack-Museums in Ludwigshafen. Ausgangspunkt sind Werke des Expressionismus. Aber auch moderne Performance-Kunst spielt eine Rolle.

Man hätte diese Schau, die noch bis 5. März zu sehen ist, auch mit den französischen Impressionisten beginnen lassen können, mit Monets und Pissarros Blicken auf das Gewusel in den Boulevards von Paris. Stattdessen startet das Wilhelm-Hack-Museum seinen Parcours durch die Kunst der Straße an jenem Punkt der Geschichte, da das Flanieren triebhafter wird, lüsterner, verzweifelter, depressiver – im Expressionismus.

Apokalyptisches Straßenbild

„Die Straßen komme ich entlang geweht ... so seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht“, reimte Ernst Blass um 1912. Sein lyrischer Erguss „An Gladys“ findet in der Ausstellung „Street Life“ seine bildnerische Entsprechung in Ludwig Meidners Tuschezeichnung „Betrunkene Straße mit Selbstbildnis“. Auch hier kommt einer „entlang geweht“, verfolgt von torkelnden Häusern und wackelnder Gaslaterne – ein rasend apokalyptisches Straßenbild, entstanden ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Passanten der Weimarer Republik

Futuristische Dynamik, verbunden mit existenzieller Verunsicherung, eröffnet die Schau in Ludwigshafen, die sodann zügig in die Zeit der Weimarer Republik voranschreitet: Nun drängen sich Kriegskrüppel, Dirnen, fette Industrielle und freudlose Arbeiter in den Straßen – auf Bildern von George Grosz und Rudolf Schlichter. Sachlicher, weniger ins Groteske überspitzt, dafür mit Blick für witzige Details oder unheimliche Schattenwirkungen dokumentieren Fotografien von Umbo, Brassaï, André Kertész und Friedrich Seidenstücker die urbane Passantenwelt der späten 20er- und frühen 30er-Jahre.

Graffiti und Art Brut

Brassaï, der eigentlich Gyula Halász hieß, war es auch, der zwischen 1935 und 1950 frühe Graffiti-Kunst mit der Kamera festhielt und damit zum Anreger der Art Brut wurde. Die betont flache, primitivistische Figur in Jean Dubuffets Gemälde „L’Albinos“ (1958) scheint jedenfalls unmittelbar verwandt zu sein mit jenen eingeritzten Kritzeleien, die Brassaï auf Pariser Hausfassaden aufspürte.

Politischer und künstlerischer Aktionsraum

Von hier aus verzweigt sich die Ausstellung zu Street Art und Performance. Die Straße als Bildträger und die Straße als politischer wie künstlerischer Aktionsraum treten in den Vordergrund. Hier tummeln sich Sprayer, Skateboarder, Street Dancer – auf Fotografien von Martha Cooper. Dort wird demonstriert: Studenten gehen auf die Straße, Schwulen und Lesben auch. Zur selben Zeit, um 1970, drängen Künstlerinnen und Künstler hinaus aufs Trottoir, um Spießermoral und bürgerliche Kunstvorstellungen zu sprengen. So sieht man zum Beispiel, wie Valie Export anno 1968 ihren auf allen Vieren kriechenden Kollegen Peter Weibel – heute Leiter des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien – vor den irritierten Blicken der Passanten an einer Hundeleine durch die Straßen zog. Ein historisches Dokument feministischer Selbstermächtigung.

Hin zum „Tiefpunkt des städtischen Milieus“

Im Bemühen, alle Facetten der „Straße in der Kunst“ zu erfassen, wird die von Astrid Ihle kuratierte Schau in ihrem zweiten, konzeptlastigen Teil stellenweise recht anämisch und trocken. Hängen bleibt man primär am Drastischen. Etwa an der Performance „The Great White Way“ des Afroamerikaners Pope.L, der über neun Jahre hin, zwischen 2001 und 2009, bäuchlings über den Broadway robbte, dabei stets in ein Superman-Kostüm gehüllt. Durch die andere Hautfarbe, so die plakative Botschaft, landet der hehre Held am „Tiefpunkt des städtischen Milieus“. Der über die Straße kriechende schwarze Superman entlarvt in ätzender Weise ethnische Codes der westlichen Welt.

Info

„Street Life: Die Straße in der Kunst von Kirchner bis Streuli“ – bis 5.3., Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum, Berliner Straße 23, geöffnet: Di, Mi, Fr 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Sa, So 10-18 Uhr; Katalog: 39 Euro (im Museum); Info: 0621 5043045, www.wilhelmhack-museum

Graffiti, um 1945 fotografiert von Brassaï: „Le Roi Soleil“.
Graffiti, um 1945 fotografiert von Brassaï: »Le Roi Soleil«.
Skandalöse Performance: Valie Export geht Gassi.
Skandalöse Performance: Valie Export geht Gassi.
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