Kultur Schrei nach Liebe

Liebeskampf vor expressionistischer Filmkulisse.
Liebeskampf vor expressionistischer Filmkulisse.

Es bleibt schwierig mit den Neuproduktionen bei den Salzburger Festspielen. Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs skandalumwitterter Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ greift zwar nicht wie die Mozart-Lesart von „La clemenza di Tito“ durch Peter Sellars in die Partitur ein. Aber der Regisseur legt auch keine tieferen Bedeutungsebenen frei. Dafür sorgen die Wiener Philharmoniker unter der großartigen musikalischen Leitung von Mariss Jansons.

Sagen wir es ganz offen: Es geht um Sex. Quasi den ganzen Abend lang. Ganz unverblümt. Ganz ungeschützt, damit ganz anders als etwa im berühmten Vorspiel von Richard Strauss` „Rosenkavalier“. Es geht zur Sache – bis hin zu einem postkoitalen Posaunen-Glissando. Diese Oper ist ein einziger Schrei nach Liebe. Nach körperlicher Berührung. Nach streicheln, küssen, liebkosen, umfangen, umarmen; nach Ausbruch. Aus einem goldenen Käfig. Darin gefangen: Die Titelheldin, Katerina Ismailowa. Eigentlich von der reichen Kaufmannsfamilie Ismailow nur als Gebärmaschine für den erwünschten Sohn Sinowis (etwas wenig Durchsetzungsvermögen in dem großen Haus: Maxim Paster) akzeptiert. Doch der Nachwuchs bleibt aus. Weshalb der Schwiegervater Boris (großartig: Dmitry Ulyanov) gerne nachhelfen würde. Notgeil, wie er ist, verreckt er im wahrsten Sinne des Wortes an einem vergifteten Pilzgericht. Katerina setzt sich zur Wehr... Harald B. Thor hat dem Regisseur Andreas Kriegenburg eine variable Bühne gebaut. Die Spielfläche der Reichen, Schönen, der Gewinner und Herrschenden wird mittels Kuben in einen Innenhof hineingeschoben. Dort vegetieren, existieren die Unterdrückten in einer Welt, die aussieht, als habe gerade ein Bürgerkrieg stattgefunden. Katerina aber lebt in einem Designer-Schlafzimmer. Ihr Mann in einem Großraumbüro. Verzweifelt am Computer sitzend, über seine Unfähigkeit, dieses „wilde Tier“ im ehelichen Doppelbett jemals befriedigen zu können. Wenn dann Stefan Bolliger Licht- und Videoprojektionen über dieses Bühnenbild legt, dann hat man ganz unvermittelt den Eindruck, einen Stummfilm aus der Zeit des Expressionismus zu sehen. Von Sergej Eisenstein zum Beispiel. Die Bühne wird zur Filmkulisse. Und Schostakowitschs Musik zur Filmmusik. Davon ist sie ohnehin nie so weit entfernt. Plastischer, direkter, realistischer geht es nirgends zu. Und Mariss Jansons macht daraus am Pult der Wiener Philharmoniker einen atemberaubenden Abend. Eine Zumutung auch, wenn es um die Lautstärke geht. Aber im besten Sinne des Wortes. Man könnte nämlich einfach auch nur die Augen schließen und erführe doch alles. Sowohl die thematische wie auch die rhythmische Komplexität dieser Partitur bewältigt Mariss Jansons souverän. Wie ein Fels in der Brandung steht der Dirigent, der Dmitri Schostakowitsch noch selbst kennengelernt hat, im sehr hoch gefahrenen Graben des Großen Festspielhauses. Jeden Beischlaf, jeden Mord, jede Tragödie, aber eben auch jede Satire zum Ausdruck bringend. Denn grotesker wurde nie ein Staat, repräsentiert durch Kirche und Polizei, von einem Komponisten bloßgestellt als in der „Lady Macbeth“. Schostakowitsch hat einen hohen Preis dafür bezahlt, als sogar Stalin bemerkte, was auf der Opernbühne vor sich ging. Ein wahrscheinlich vom Diktator selbst verfasster, zumindest aber initiierter Artikel in der „Prawda“ bedeutete 1936 das Aus für die Oper in der noch jungen Sowjetunion. Und für Schostakowitsch fast den Tod. Wörtlich. Der Komponist hat danach nie wieder zu seinem unverkrampften Ton der „Lady Macbeth“ zurückgefunden. Über ihm schwebte stets das Damoklesschwert der Deportation nach Sibirien. Oder Schlimmeres. Regisseur Andreas Kriegenburg fällt zu dieser Handlung nicht allzu viel ein, warum auch? Sie überwältigt ohnehin. Ist spannend wie ein Krimi. Und Kriegenburg bleibt ganz nahe dran am Libretto. Zeigt uns eine Katerina, die von Beginn an nach Luft ringt. Um ihren Atem ringt. Frische Luft braucht. Die schon in ihrer ersten Szene zwei Mal in den Schrank schaut, in dem sie später ihren Liebhaber verstecken wird. Die Luft brennt auf der Haut dieser Frau. Und Sergej (mit großem Ausdruck: Brandon Jovanovich) löscht dieses Feuer. Nina Stemme war schon, wenn so viel Nostalgie erlaubt ist, eine niederschmetternd großartige Isolde in Bayreuth. Einer der größten Opernabende im eigenen Erinnerungsregister. Und sie ist auch, trotz kleinerer Ausrutscher im Mezzavoce, eine unfassbar packende Katerina Ismailowa. Eine Frau, der man alles Unglück und alles Glück abnimmt. Ihr Begehren. Ihr Lieben. Ihr Leiden. Ihr Hassen. Immer authentisch, immer glaubwürdig. Sie ist immer Katerina. Es führt in dieser Oper kein Weg an ihr vorbei. Sprichwörtlich, weil sie quasi ständig auf der Bühne steht. Bis hin zum Finale, wenn es für Katerina nur noch einen Ausweg gibt: den Selbstmord. Termine 5., 10., 15., 21. August.

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