Kultur Ratlos im Mädchenzimmer

Darsteller mit Masken und fremden Stimmen, ein knallbuntes Bühnenbild, Texte, die von Tod und Drogentrip raunen: Susanne Kennedys Theaterinstallation „Die Selbstmord-Schwestern“ bietet viele Deutungsmöglichkeiten und wenig klare Antworten. Die Koproduktion der Münchner Kammerspiele und der Volksbühne Berlin gastierte bei den Festspielen Ludwigshafen auf der Hinterbühne des Pfalzbaus.

Das Romandebüt des US-amerikanischen Autors Jeffrey Eugenides handelt von den fünf Töchtern der Familie Lisbon, die sich innerhalb eines Jahres das Leben nehmen. Es ist eine unauffällige Mittelstandsfamilie in irgendeiner Vorstadtsiedlung, die Eltern streng und ohne Verständnis für die Gefühlswelt ihrer pubertierenden Töchter. Als sich die jüngste Tochter aus dem Fenster stürzt und stirbt, versuchen sie, die anderen noch stärker abzuschirmen und lösen damit eine Katastrophe aus. Im Roman wird dies aus der Sicht der Nachbarjungen erzählt, die die geheimnisvollen Schwestern beobachten, sie zum Objekt ihrer eigenen Teenager-Fantasien machen und sie nach ihren Selbstmorden wie Heilige verehren. Diese Geschichte auch nur ansatzweise zu erzählen, ist nicht das Anliegen von Susanne Kennedy. Es finden sich neben ein paar Textfragmenten nur assoziative Bezüge. Die vier Figuren auf der Bühne wirken in ihren weißen Nachthemdchen, den bunten Ketten und blumengeschmückten Kopfmasken mit den riesigen Kulleraugen wie eine Mischung aus Schwarzwaldmädel, Südseeschönheit und Manga-Girl (Kostüme von Teresa Vergho). Man weiß aber nicht, ob die verfremdeten Stimmen nun von den Mädchen kommen, ob die voyeuristischen Jungs sprechen, oder ganz andere Personen hier eine sonderbare Totenfeier abhalten. In den Kostümen und Masken stecken jedenfalls vier männliche Schauspieler. Die Inszenierung wirft, wie gesagt, viele Fragen auf und verweigert ziemlich konsequent die Antworten. Im Mittelpunkt stehen auch nicht die vier Figuren, zu denen sich später noch eine fünfte ohne Maske hinzugesellt, sondern das von Lena Newton geschaffene Bühnenbild. Das ist eine wilde Mischung aus Flügelaltar, mexikanischem Totenschrein, Kirmesbude und kitschigem Mädchenzimmer. Im Inneren ist eine Tote aufgebahrt, die Decke flackert bunt wie in der Disco und an den Seitenflügeln laufen Youtube-Videos mit Schminktipps, Kamerafahrten um ein einsames Vorstadthaus oder Filmszenen mit Kirsten Dunst, die in Sofia Coppolas Verfilmung des Romans von Eugenides eine der Töchter spielte. Immer wieder taucht ein Avatar auf und zitiert Texte des Drogengurus Timothy Leary. Und Texte aus dem Tibetanischen Totenbuch bereiten auf den Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt vor. Das Ganze hat den trancehaften Charakter eines Rituals, es gibt sphärische Musik, es wird gesummt und getanzt, die Bewegungen sind zeitlupenhaft, die eingespielte Stimme, die von keinem der Darsteller auf der Bühne stammt, hat die beruhigende Aura eines Narkosearztes. Man hat viel Zeit, darüber nachzudenken, ob hier die hermetische Verzweiflungswelt Halbwüchsiger dargestellt wird oder eher ein aus dem Ruder laufender LSD-Trip. Und auch der Tod, auf den das alles zusteuert oder vor langer Zeit zugesteuert ist, kann hier gleichermaßen Schrecken oder Erlösungsglück bedeuten. Die 41-jährige Regisseurin, an der Kunsthochschule in Amsterdam ausgebildet und bereits zweimal zum Berliner Theatertreffen eingeladen, bewegt sich im Grenzbereich von Schauspiel, Performance und Kunstinstallation. Schon in ihrer Münchner Inszenierung von Marielouise Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“, mit der sie vor fünf Jahren bekannt wurde, ließ sie die Schauspieler zu ihren eingespielten Texten nur noch die Lippen bewegen. In Fassbinders „Warum läuft Herr R. Amok“ wurden die Texte von Laien eingesprochen und die Schauspieler trugen zudem Gesichtsmasken. Inzwischen sind Darsteller, Figur und Text völlig getrennt, was grundsätzliche Fragen nach Identität aufwirft. Was heutzutage ein Ich ausmacht in einer medial überfluteten Welt voller Informationen und Optionen, Werbetipps und Rollenbildern, das ist eine durchaus spannende Frage. Die Fragmentierung eines spannenden und überdies hochdramatischen Romangeschehens in einer zugegeben optisch eindrucksvollen Bühneninstallation hilft da wenig weiter. Rätselhaftigkeit als Botschaft eines Theaterabends ist vielleicht doch zu wenig.

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