Kultur Die Rattenfänger und der Hass auf die Eliten

Dem Front National nachempfunden: die Partei in Belvaux’ Film, deren blonde Vorsitzende er Agnès Dorgelle (Catherine Jacob) nenn
Dem Front National nachempfunden: die Partei in Belvaux’ Film, deren blonde Vorsitzende er Agnès Dorgelle (Catherine Jacob) nennt.

Der in Frankreich arbeitende, belgische Regisseur Lucas Belvaux hat mit seinem Film „Das ist unser Land“ („Chez Nous“) Marine Le Pen gegen sich aufgebracht – schon lange, bevor sein Film überhaupt dort im Kino lief. Schließlich handelt sein Politdrama von der beliebten Krankenschwester Pauline (Émilie Dequenne), die sich von der populistischen Partei von Agnès Dorgelle (Catherine Jacob) als Kandidatin für die Lokalwahlen aufstellen lässt.

Hat Marine Le Pen den Film mittlerweile gesehen?

Vielleicht hat sie ihn heimlich gesehen, aber öffentlich geäußert hat sie sich nie. Sie überließ die Kampagne ihren Funktionären, die den Film verteufelten, ohne ihn zu kennen. Der Front National überzog den Trailer mit einem riesigen Shitstorm. Das hat den Film über Nacht bekannt gemacht, die französische und internationale Presse hat über ihn berichtet. Dann ging die Kampagne der rechtsgerichteten Partei nach hinten los? Nein, sie hat verhindert, dass die Menschen, die ich ansprechen wollte, überhaupt ins Kino gingen. Bei ihnen kann er seine Wirkung erst später entfalten, wenn er im Fernsehen ausgestrahlt wird und sich die Zuschauer ihre eigene Meinung bilden. Wie nah ist Ihre Film-Spitzenkandidatin denn Marine Le Pen? Sie war das Modell für Agnès Dorgelle, wir haben dafür ihre Gestik, ihre Syntax und die öffentlichen Auftritte von Le Pen analysiert. Aber auch an Nadine Morano, einst enge Vertraute von Nicolas Sarkozy, die 2017 für die Rechten kandidieren wollte, und Marion Maréchal-Le Pen haben wir uns orientiert. Solche attraktiven, blonden Frauen sind die Gesichter der modernen Rechten, in Frankreich ebenso wie in Belgien, Schweden oder Dänemark. Auch die AfD hat jetzt eine junge, blonde Spitzenkandidatin. Sie alle signalisieren nach außen, wir sind gleichberechtigte, moderne Europäerinnen, die sich gegen die islamische Invasion stellen. Hatten Sie auch ein Vorbild für die Hauptfigur Pauline? Marie Da Silva aus Hayange hatte sich in einer Fabrik, die unter Hollande geschlossen wurde, in der Gewerkschaft engagiert. Anschließend sah sie im Front national den einzigen Vertreter der Arbeiter. Wenige Monate nach der Lokalwahl hat sie die Partei 2014 desillusioniert verlassen, sie war angeekelt von Rassismus und den autoritären Strukturen, die jede Diskussion über den politischen Kurs im Keim erstickten. Haben nicht auch in anderen Parteien Kandidaten für parlamentarische Vertretungen kaum Mitspracherechte? 28 Prozent der Kandidaten des FN, die bei den Kommunalwahlen 2014 siegten, hatten nach zwei Jahren hingeschmissen. Doch Häme liegt mir fern. Alle Parteien leiden unter ähnlichen Strukturen. Ich habe Wahlkämpfe erlebt, bei denen die Kandidaten quasi aus dem Nichts kamen. Sie waren zum Teil extrem inkompetent, die etablierten Wahlkämpfer hatten Angst, wenn sie den Mund aufmachten. Das ist auch das Spannende an En Marche. Viele Kandidaten hatten keinen Schimmer, was inhaltlich auf sie zukommt. Wobei der FN ebenso wie auch Macron davon profitierten, dass die Wähler von den etablierten Parteien nichts mehr erwarten? Der Erfolg von FN und jetzt La République en Marche basiert auf dem Versagen der anderen Parteien. Es wäre eine Katastrophe, wenn Macron etwa bei den Arbeitsmarktreformen versagt. Er sollte sich weder an Italien oder Spanien noch an Deutschland orientieren, das in Europa am stärksten von der Krise profitierte. Das Hoch wird irgendwann zu Ende gehen. Ein neues, gerechtes Modell der sozialen Marktwirtschaft kann nur auf europäischer Ebene entwickelt werden. Sonst schwindet auch die Akzeptanz der EU. War die Angst vor einem wieder aufkeimenden Nationalismus die Triebfeder für ihr Projekt? Ich drehte meinen Film „Pas son genre“ 2014 wenige Wochen vor den Kommunalwahlen in Arras, Département Pas-de-Calais. Die Umfragen sagten für den FN 30 bis 40 Prozent der Stimmen voraus, was mich aufschreckte. Ich konnte mir nicht erklären, warum die sympathischen Leute auf der Straße oder meine eigenen Mitarbeiter aus der Region diesen Rattenfängern auf den Leim gehen könnten. Welche Ursachen haben Sie ausgemacht? Viele Menschen fühlen sich abgehängt und vergessen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Minen, einst der größte Arbeitgeber, wurden geschlossen. Das reicht mir aber nicht als Erklärung, dass Menschen wie die engagierte Krankenschwester Pauline so wütend sind und sich dann für rechte Parteien begeistern und sogar engagieren. Deshalb haben Sie sich einen Koautor gesucht, der über das Phänomen bereits publiziert hatte? Jérôme Lerovs „Le Bloc“ ist ein viel gelesener Roman über den schleichenden Rechtsruck in den Köpfen und das Erstarken einer extrem rechten Partei. Er beschreibt präzise die Entwicklung des Hasses auf die Eliten und die politischen Parteien und wie die rechten Propagandisten geschickt diese Stimmung aufgreifen und sich als Retter präsentieren.

Lucas Belvaux
Lucas Belvaux
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