Kultur Am Beginn einer Abenteuerreise

Michael Francis bei seiner Vorstellung Anfang Dezember in der Ludwigshafener Philharmonie.
Michael Francis bei seiner Vorstellung Anfang Dezember in der Ludwigshafener Philharmonie.

Es waren die beiden ersten Konzerte mit „seinem“ Orchester nach seiner offiziellen Präsentation als künftiger Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz Anfang Dezember. Michael Francis, britischer Strahlemann und Sympathieträger, dirigierte das Orchester am Wochenende bei Auftritten in Worms und Ludwigshafen. Wer dabei war, nimmt vor allem die Erkenntnis mit: Da kann was Großes entstehen beim wichtigsten Sinfonieorchester des Landes.

Der 42-jährige Michael Francis ist wie sein Vorgänger Karl-Heinz Steffens ein Dirigent, der sein Handwerk quasi auf dem zweiten Bildungsweg erlernt hat. Er hat sich das Dirigieren im Grunde selbst beigebracht, nachdem er jahrelang als Kontrabassist beim London Symphony Orchestra gespielt hat - einem der besten Sinfonieorchester der Welt. Vielleicht erklärt das seine eher joviale, verbindliche Art. Francis braucht keine übertriebene Geste, kein Maestro-Gehabe. Das Team, also das Orchester, ist der Star, nicht er. Er geht voran, das schon, ist Teamführer, begeistert, reißt die Musikerinnen und Musiker mit. Geht mit ihnen auf Abenteuerreise, auf Entdeckertour – und das Publikum sitzt staunend vor der Bühne und hat fürs Erste vor allem den Eindruck, hier haben sich zwei gesucht und gefunden. Das Konzert in Ludwigshafen jedenfalls macht Lust auf die aktuelle Saison, in der Michael Francis noch bei einigen Konzerten am Pult der Staatsphilharmonie stehen wird. Und natürlich auf die Zukunft, wenn der Brite in seiner ersten Saison als Chef dann auch gleich den 100. Geburtstag des Orchesters feiern und vor allem mitgestalten wird. Im Ludwigshafener Pfalzbau war die positive Angespanntheit allenthalben zu spüren. Die Menschen waren neugierig, wollten wissen, wie er denn nun so ist, der „Neue“ an der Spitze ihres Orchesters, ihrer Staatsphilharmonie. Und Francis nutzte das Heimspiel für eine beeindruckende Demonstration dessen, was er bereits zusammen mit dem Orchester erarbeitet hat. Dabei war das Programm alles andere als weich gespült, keine bestens bekannte Brahms-, Beethoven- oder Brucknersinfonie, mit der man sich quasi dem Publikum an den Hals hätte werfen können. Stattdessen: Benjamin Brittens tiefernste „Sinfonia da Requiem“ aus dem Jahr 1940 und Sergej Rachmaninows im selben Jahr entstandene letzte Komposition, die „Sinfonischen Tänze“, eine Art Weltabschiedswerk. Und dazwischen, ein Kunstprodukt, der Versuch, eine vergangene Epoche, den Geist des 18. Jahrhunderts, eigentlich die Heiterkeit Mozarts wiederzubeleben: Peter Tschaikowskys „Variationen über ein Rokokothema“ für Cello und Orchester mit dem großartigen Maximilian Hornung als Solisten, der als Zugabe noch einen Satz aus der dritten Cello-Suite von Johann Sebastian Bach im Gepäck hatte. Ein Orchester, auf der Stuhlkante sitzend. So könnte man das Konzert am Samstagabend auch beschreiben. Es war von Beginn an spürbar, dass sowohl die Musiker als auch der Dirigent etwas beweisen wollten. Den Nachweis erbringen wollten, dass der Neustart bei der Staatsphilharmonie mit neuem Chefdirigenten und neuem Intendanten nun wirklich auf die Spur gebracht worden ist. Hier freut sich ein Orchester auf seinen neuen Chef, und das war deutlich hörbar im Pfalzbau. Vor allem im zweiten Teil des Konzertes. Schon unter Francis` Vorgänger Karl-Heinz Steffens hat die Staatsphilharmonie einen Riesenschritt in Richtung eines eigenen, wenn man so will unverwechselbaren Orchesterklangs gemacht. Aber so homogen, so glanzvoll strahlend wie in den „Sinfonischen Tänzen“ von Rachmaninow hat man die Staatsphilharmonie jetzt dann doch schon länger nicht mehr gehört. Das klingt, wenn der Vergleich erlaubt ist, wie der Motor einer Luxuslimousine, sehr edel, ohne Stottern, ohne Ausfälle, ein wunderbar aufeinander abgestimmter Orchesterorganismus, aus dem immer wieder einzelne Solisten hervortreten. Michael Francis muss gar nicht viel tun, um das zu erreichen. Bei den Tschaikowsky-Variationen beispielsweise stellt er die Arbeit zwischenzeitlich quasi komplett ein. Er kann sich auf sein Orchester verlassen, und er überlässt dem wunderbaren Solisten Maximilian Hornung das Feld. Aber auch wenn es in dem gleichermaßen wild aufstürmenden wie makaber als Totentanz klappernden „Dies Irae“ der Britten-Sinfonie richtig hoch hergeht im groß besetzen Orchester, bewahrt Francis die Ruhe. Er dirigiert mit einer gleichsam stoischen Unaufgeregtheit weiter, behält stets die Kontrolle über das Geschehen, auch im fast schon ekstatischen Finale der „Sinfonischen Tänze“ Rachmaninows. Ganz am Ende, nachdem der letzte Akkord im furiosen Finale der Rachmaninow-Tänze verklungen ist, erlaubt sich Michael Francis dann doch noch eine, wenn man so will, Pose. Er dreht sich zum Publikum um, mit ausgebreiteten Armen, ein Strahlen im Gesicht präsentiert er „sein“ Orchester, die Deutsche Staatsphilharmonie. Die Menschen im Pfalzbau haben verstanden und feiern „ihr“ Orchester und seinen zukünftigen Chefdirigenten.

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