Online-Kolumne Manchmal traue ich meinen Augen nicht

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Manchmal traue ich meinen Augen nicht.

An einer roten Ampel ist immer genug Zeit. Da ist der Blick mal gedankenversunken geradeaus gerichtet, mal taxiert er die nähere Umgebung. Es gibt immer etwas zu entdecken. Wie zum Beispiel diesen Typen, der schnurstracks auf eine Fußgängerampel mit Signalknopf zuläuft und zack das gestreckte Bein ausfährt und in Hüfthöhe mit dem Fuß ganz präzise den Schalter trifft. Das ist doch auch mal eine nette Form von Gymnastik. Da muss man nicht extra in die Turnhalle oder ins Studio. Nein, das Leben bietet genug Gelegenheiten, sich fit und in Form zu halten. Oder vielleicht ist es nur ein Mensch, der es in Zeiten von Corona um jeden Preis vermeiden möchte, einen Knopf zu drücken, den auch andere Menschen berühren. Welch nette Form von Rücksichtnahme. Bei welchem Arzt lässt sich ein solcher Dorn aus dem Auge entfernen?

Manchmal traue ich meinen Augen nicht.

Es ist ein Klassiker. Die arme Mutter, die im Park spazieren geht und dabei einen Triathlon bestreitet. Und zwar einen sehr speziellen, denn es gilt, Kinderwagen, Hund an der Leine und Handy am Ohr unter einen Hut zu bekommen. Auch bei dieser Sportart sind mit etwas Übung erstaunliche Erfolge zu erzielen. Die Ich-AG im Grünen, Homeoffice im Schatten von Trauerweiden und unter den herzförmigen Blättern der Linde. Doch Ausnahmen bestätigen auch diese Regel. Wie zum Beispiel die junge Frau, die zwar mit Hund und klassischem Kinderwagen unterwegs ist. Da liegt aber gar kein Baby drin! Die Kutsche ist für den alten Hund, der stehenbleibt und keinen Schritt weitergeht, wenn er nicht mehr kann. Also doch kein Sport, sondern eine Form von Weitblick.

Manchmal traue ich meinen Augen nicht.

Masken, so weit das Auge reicht. Es haben sich alle angewöhnt, die Dinger, die im Sommer noch unbequemer sind, an vielen Orten zu tragen. Es gibt einen Konsens. Doch hinter jedem Mundschutz verbirgt sich ein Kopf. Und jeder einzelne hat eine Haltung zu der nicht mehr ganz so neuen Pflichtübung in Geschäften, Bussen, Gaststätten, Büros und Ämtern. Die Dinger nicht zu tragen, würde bedeuten sehenden Auges ins Verderben zu laufen. So sehen es die einen. Aber eben nicht alle. Es ist auch nicht leicht, etwas Unsichtbares zu begreifen. Deutschland ist bisher in der Corona-Krise im Vergleich zu anderen Ländern mit einer Art blauem Auge davongekommen. In vielen Ländern dieser Erde haben sie hingegen schon den zweiten und dritten Lockdown oder sie haben noch gar keine Lockerungen erfahren und sehen immer noch kein Licht am Ende des Tunnels. Hier lässt sich aufatmen. Aber ein Blick in manche der weiter bei Masken- und Nichtmaskenträgern sehr gut sichtbaren Augen zeigt, dass die Angst mitunter groß ist. Oder sehe ich Gespenster und sollte meinen Augen nicht trauen?

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