Rheinpfalz Krieg und Ornament: »Trauma Transfer« in Mannheim

Ein „Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs“ als afghanischer Teppich: „Der unerwartete Überfall“.
Ein »Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs« als afghanischer Teppich: »Der unerwartete Überfall«.

Die Ausgangsidee dieser Schau des Mannheimer Kunstvereins findet sich bei Ovid.

Im sechsten Buch seiner „Metamorphosen“, einem aus Verwandlungssagen collagierten Epos über den Zivilisationsprozess, erzählt der römische Dichter, wie Philomela von Tereus, dem Gemahl ihrer Schwester Procne, erst grausam vergewaltigt und dann ihrer Zunge beraubt wird, damit sie keinem von den Gräueln berichten kann. Doch das Mädchen ist findig. In ihrem Gefängnis webt sie ein Gewand, das schildert, was Tereus ihr angetan hat. Diesen Stoff lässt sie der Schwester bringen, und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf … Als Philomela unserer globalisierten Tage betätigt sich der Dresdner Konzeptkünstler Till Ansgar Baumhauer, indem er Bilder aktueller wie vergangener Kriege und Gräueltaten an Kunstproduzenten in fernen Ländern versendet, damit diese sie auf ihre Weise reproduzieren und interpretieren. Beteiligt an diesem „Trauma Transfer“ sind ein afghanischer Teppichknüpfer, LKW-Bemaler in Pakistan, ein indigener Künstler in Ecuador sowie ein chinesisches Malkollektiv, das so ziemlich jede Vorlage getreu abpinnt. Und so sieht man, wie aus einer um 1650 entstandenen Radierung, die von den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges kündet, zum Beispiel ein Baumwollflor werden kann, der dem mitteleuropäischen Desaster orientalische Ästhetik verleiht. Oder ein Foto, das im Zusammenhang mit einem Debakel der deutschen Einsatzkräfte in Kundus entstand, als man bei einem Luftangriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklaster vor allem Zivilisten tötete: Auf Baumhauers Initiative hin wurde das Bild zur Vorlage für knallbunte Truck-Deko, für ein christlich-naives Gedenkbild samt Engelkitsch und für einen Wandteppich, der aus der Tragödie ein fast harmlos wirkendes Souvenir macht. Letzteres irritiert vielleicht am meisten an dem durch Baumhauer angestoßenen interkulturellen Transformationsprozess: Dass das Schreckliche so schnell im Alltäglichen aufgehen kann, dass es so leicht seinen Weg findet in die Normalität der Gebrauchskunst. Dieser Prozess geschieht übrigens auch ohne Zutun des deutschen Konzeptkünstlers. Das beweisen afghanische „Kriegsteppiche“, die einen weiteren Teil der Ausstellung bilden: In dem zentralasiatischen Land herrscht schon so lange Krieg, dass Militärhubschrauber, Bomben, Handgranaten und Panzer längst zu Ornamenten des traditionellen Teppichhandwerks geworden sind. Durch die typisch geometrische Stilisierung fallen diese Details zunächst gar nicht auf. Doch dem, der genauer hinschaut, erzählen die Teppiche von einer Welt, die bestimmt ist durch Zerstörung und Verderben.


Info

Till Ansgar Baumhauer: »Trauma Transfer« – bis 2.9., Mannheim, Kunstverein, Augustaanlage 58, geöffnet: Di-So 12-17 Uhr, Führungen: So 15 Uhr, Infotelefon: 0621-402208.

Dasselbe Motiv als „Truck Art“: von LKW-Malern aus Pakistan.
Dasselbe Motiv als »Truck Art«: von LKW-Malern aus Pakistan.
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Historische Unschärfe auf Teppich.
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Der unerwartete Überfall.
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