Kolumnen Kolumne: Provokationen oder Anschiss in der Ausstellung

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Provozieren soll die Kunst, nicht ihr Betrachter. Hab‘ ich grad erlebt, in Basel, im Kunstmuseum. Dieses besteht aus drei Häusern, Hauptbau, Neubau und Gegenwart, und in Letzterem kam es zu einer Konfrontation, die ja ansonsten in der Kunst gerne gesehen wird, hier aber nicht. Oder vielleicht doch, und ich habe es nicht verstanden? Dazu später weitere Gedanken. Halten wir uns zunächst an die Faktenlage.

Der mit dem Fett

Im dritten Stock des Gegenwartsbaus am Rhein zeigen sie Werke von Joseph Beuys, der offenbar weniger bekannt ist als man annehmen sollte. Gleich zweimal habe ich in den letzten Tagen den Satz „Wer ist Joseph Beuys?“ gehört, kann sein, dass das Zufall war, kann sein, dass ich nur Banausen kenne. Egal, diejenigen, die schon mal von Beuys gehört haben, wissen, dass sein Werk eher nicht so leicht zugänglich ist und Unvorbereitete wie meine Basler Begleitung schon mal zu Ausrufen wie „Wassen das für’n Scheiß?!“ verleitet. Scheiß kommt meines Wissens nicht vor, altes, ranziges Fett hingegen ist öfter Bestandteil Beuysscher Ausstellungsstücke. Man kann gewiss ohne Übertreibung sagen, dass es sich bei Joseph Beuys um einen Provokateur erster Kajüte handelte.

Der Wunsch nach direkter Kommunikation

So schritten wir also vorbei an Bildschirmen, auf denen Beuys, eingewickelt in eine Decke, mit einem jungen Wolf interagiert, an Vitrinen mit Fettklumpen und anderen Exponaten, die an unaufgeräumte Kellerregale erinnerten und an einem Haufen grauer Filzanzüge. Mit ihnen hatte Beuys 1978 die Basler Fasnachtsclique „Alti Richtig“ ausgestattet, und als die Fasnacht vorbei war, legte er die Anzüge übereinander und machte ein Kunstwerk daraus. Beuys, so ist zu lesen, wurde angetrieben von „seinem Wunsch nach plastischer, stilisierter Einfachheit und direkter Kommunikation“.

Stilles Wasser aus den Heidi-Bergen

Die direkte Kommunikation kam dann auch prompt. Ich hatte eine Flasche Wasser in der Hand, reines Schweizer Wasser aus den Heidi-Bergen, so still wie ich, und es war auch nur eine Halbliterflasche, Wasser wie gesagt, keine Eineinhalb-Liter-Bombe Cola, auch keine Säure oder Suppe. Ich hielt das Fläschlein bei dem Anzughaufen in der Hand, warum weiß ich nicht mehr, ich wollte nicht mal trinken, trug das Wasser halt so mit mir rum, wahrscheinlich war in der Tasche kein Platz mehr. Da kam plötzlich aus dem Nichts eine spillerige Mausfrau in Museumsuniform im Stechschritt auf mich zu und schnarrte mich direkt an: „Das Wasser geht gar nicht!“

Hinschmeißen wäre leicht gewesen

Nun hätte es tausend adäquate Antworten gegeben. Künstlerische wie „Sie haben vollkommen recht, das Wasser geht nicht, es fließt“, erzieherische wie „Von jemandem, der nicht mal grüßt, lasse ich mir gar nichts vorschreiben“ oder internationale wie „Fuck off, Mousewoman!“. Ich hatte nichts zu befürchten, Mausi war mindestens einen Kopf kleiner als ich und konnte nicht viel mehr wiegen als ein dicker Kater. Ich hätte sie leicht hinschmeißen können, um mal einen wunderbaren Ausdruck aus Ludwig Thomas „Lausbubengeschichten“ zu benutzen. Das wäre mal eine Provokation im Sinne Beuys‘ gewesen. Plastisch und einfach. Tatsächlich sagte ich „Oh, dann mache ich das wohl mal weg“, lächelte blödsinnig und stopfte das Wasser schnell in die ohnehin überfüllte Tasche, betend zum Almöhi und der heiligen Klara, dass Schweizer Flaschenverschlüsse dichter sein mögen als die aus meiner deutschen Heimat. Noch einige Tage dachte ich nach über die Begegnung im Basler Kunstmuseum, Abteilung Gegenwart, Untersektion Provokation, erzählte allen möglichen Leuten davon, malte mir aus, was wohl los war mit Mausi, ob sie die Nacht davor mit Brechdurchfall zu kämpfen hatte, ob sie selbst gerne Künstlerin geworden wäre und nun verbittert ist, weil sie nur auf anderer Leute Kunst aufpasst oder ob sie schlicht eine dumme Kuh mit Topfschnitt ist, die gerne andere maßregelt. Es beschäftigte mich, und jetzt schreibe ich es auf. Das nennt man wohl verarbeiten. Und es macht Joseph Beuys‘ Werk im Nachhinein noch interessanter. Was der Mann wohl zu verarbeiten hatte? Ganz gewiss mehr als einen Anschiss in der Ausstellung. Die Autorin Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten. Die Kolumne Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags.

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