Wissen Stress macht alt

Der Status bestimmt das Tempo des Alterns bei Graumullen. Ein neun Jahre altes Weibchen aus der Arbeiterkaste (links) mit deutli
Der Status bestimmt das Tempo des Alterns bei Graumullen. Ein neun Jahre altes Weibchen aus der Arbeiterkaste (links) mit deutlichen Alterserscheinungen ...

Graumulle besitzen für Alternsforscher sehr bemerkenswerte Eigenschaften. Sie bekommen fast nie Krebs, sind noch im hohen Alter weitgehend gesund und im Vergleich zu anderen Nagetieren extrem langlebig. Doch nicht alle Vertreter ihrer Art bleiben gleich fit. Was sozialer Status und das Sexleben mit ihrem Zustand zu tun haben, haben Forscher herausgefunden.

Stress tut nicht gut. Das weiß jeder. Tieren geht es da nicht anders. Auch Graumullen nicht. Fukomys, so ihr lateinischer Name, sind Nagetiere, die zur Gattung der Sandgräber gehören. Sie leben in Afrika in großen unterirdischen Kolonien und sind nahe Verwandte der bekannteren Nacktmulle (Heterocephalus glaber). Wie diese besitzen sie für die Alternsforschung sehr interessante Eigenschaften.

So bekommen sie fast nie Krebs, sind in der Regel auch noch im Alter gesund und für ihre geringe Körpergröße extrem langlebig. Denn größere und schwerere Säugetierarten werden für gewöhnlich älter als kleinere Arten. Mit einer Lebensspanne von über 20 Jahren werden die nur maus- bis rattengroßen Mulle um ein Vielfaches älter, als man anhand ihres Gewichtes erwarten würde.

Ein Pärchen steht an der Spitze der Kolonie

Und noch etwas macht sie zu etwas Besonderem: Nackt- und Graumulle sind eusoziale Säugetiere, die wie Ameisen und Bienen in einer Art Kastensystem mit einem einzigen Pärchen an der Spitze einer Kolonie leben. Dieser royalen Kaste gegenüber stehen die restlichen Tiere der Kolonie, die Arbeiter, die auf die eigene Fortpflanzung zugunsten der royalen Kaste verzichten müssen.

Einige Graumullarten, wie zum Beispiel der Riesengraumull (F. mechowii), altern stark kastenabhängig. Während die Arbeiter der Kolonie meist nicht älter als zehn Jahre werden, lebt die royale Kaste unabhängig vom Geschlecht doppelt so lange. Forscher vom Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) – sind diesem Phänomen mit Kollegen der Universität Duisburg-Essen und des Uniklinikums Essen genauer nachgegangen.

Lebenserwartung steigt in royaler Kaste

„Bei den Graumullen vermehrt sich für gewöhnlich nur das Pärchen an der Spitze der Kolonie. Es ist für die Fortpflanzung und den Fortbestand der Kolonie zuständig“, erläutert Arne Sahm vom FLI. Die anderen Tiere der Kolonie pflanzen sich zwar nicht fort, sind aber auch nicht unfruchtbar. Wenn sie die Kolonie verlassen, können sie sich ebenfalls vermehren und eine eigene Kolonie gründen. Mit dieser Strategie vermeiden die Mulle Inzest innerhalb ihrer Geburtsfamilie. Das bedeutet aber gleichfalls, dass Arbeiter in der Regel innerhalb der Heimatkolonie nicht in die royale Kaste aufsteigen können.

Der lebensverlängernde Aufstieg in die reproduktive Kaste lässt sich allerdings im Laborversuch erfolgreich simulieren, wenn ein Tier mit einem gegengeschlechtlichen Exemplar einer anderen Kolonie zusammengebracht wird. Der damit initiierte Statuswechsel markiert den Beginn eines verlangsamten Alternsprozesses.

Da es sich um die gleiche Art handelt und ein Kastenaufstieg prinzipiell möglich ist, kann als Erklärung für die abweichenden Alternsgeschwindigkeiten eine unterschiedliche genetische Ausstattung ausgeschlossen werden. Auch bezüglich der Ernährung und ihrer Aktivitäten gibt es keine Unterschiede. „Mit Ausnahme eben der sexuellen Betätigung“, ergänzt Philip Dammann von der Universität Duisburg-Essen.

Genom wird unterschiedlich interpretiert

„Wir vermuteten daher, dass bei den Angehörigen der royalen Kaste das gleiche Genom offenbar anders interpretiert wird. Dass mit dem Kastenaufstieg quasi ein Schalter umgelegt wird, der die Gene einfach anders reguliert“, erläutert Arne Sahm die These. Zur Überprüfung dieser Hypothese untersuchte das Team über 600 Proben aus verschiedenen Organen und Geweben von zwei Graumullarten (F. mechowii und F. micklemi) der royalen Kaste und von altersgleichen Arbeitern auf statusspezifische Veränderungen der Genexpression. Das Ziel bestand darin, Gene und Signalwege zu identifizieren, die einerseits mit der statusabhängigen Langlebigkeit zusammenhängen und andererseits diese Befunde mit den bereits bekannten Erkenntnissen aus kürzer lebenden Arten zu vergleichen.

Hormonproduktion anders ausgeprägt

Für die meisten Organe und Gewebe konnten die Wissenschaftler zwischen den Kasten nur kleine genetische Unterschiede feststellen. Stärkere Veränderungen fanden sie vor allem in Geweben, die für die Hormonproduktion zuständig sind wie in der Schilddrüse und der Nebenniere. Ein maßgeblicher Unterschied betraf den Anabolismus, also den Aufbau körpereigener Stoffe von beispielsweise Proteinen. Dieser war in der höhergestellten Kaste deutlich stärker ausgeprägt.

„Ein äußerst interessanter Befund, denn er steht im direkten Gegensatz zu vielen Erkenntnissen aus der Forschung an kurzlebigen Modellorganismen“, erklärt Steve Hoffmann, Professor für Computational Biology an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Aus der Forschung an Fadenwürmern, Fruchtfliegen und Mäusen ist bekannt, dass sich die Lebenserwartung erhöhen lässt, wenn der anabole Stoffwechsel gehemmt wird. „Bis heute ist noch weitgehend unklar, inwieweit sich die an kurzlebigen Arten gewonnenen Erkenntnisse auch auf langlebige Arten wie den Menschen übertragen lassen“, unterstreicht er. Im Fall der Graumulle ist nun der Vergleich innerhalb einer Art möglich.

Dauerstress führt zu vorzeitigem Altern

Eine weitere wichtige Veränderung betraf die Synthese von Steroidhormonen. Während in der royalen Kaste vor allem diejenigen Gene hochreguliert waren, die für die Produktion von Sexualhormonen zuständig sind, wurden bei den Arbeitern vor allem Gene ausgelesen, die für die Produktion von Steroidhormonen (Glucocorticoiden) verantwortlich sind. Diese Glucocorticoide, auch Stresshormone genannt, beeinflussen den Stoffwechsel, Wasser- und Elektrolythaushalt, das Herz-Kreislaufsystem und das Nervensystem. Ferner wirken sie entzündungshemmend und immunsuppressiv, indem sie Immunreaktionen des Körpers abmildern.

„Dies ist ein Beleg dafür, dass die Graumulle der Arbeiterkaste unter Dauerstress stehen und dadurch früher altern“, unterstreicht Sahm. Gleichfalls treten bei solchen Mullen verschiedene Merkmale auf, die durch chronischen Stress ausgelöst werden. Beim Menschen und vielen anderen Säugetieren führt ein langanhaltender Überschuss an Glucocorticoiden zum Cushing-Syndrom, was die Anfälligkeit für Erkrankungen erhöht und zu einer Zunahme des Körperfetts und deutlichen Gewichtszunahme führt. Das konnte auch bei den Mullen beobachtet werden: Im Versuch legten Vertreter der Arbeiterkaste im Durchschnitt doppelt so viel Gewicht zu wie die der royalen Kaste.

Neues Modell für stressinduzierte Alterung?

Das Forscherteam will nun nach Möglichkeiten suchen, inwieweit sich die durch Dauerstress induzierte beschleunigte Alterung der Graumulle als Modell eignet, um Auswirkungen von Stress und stressbedingtem Altern beim Menschen zu untersuchen. Bereits jetzt gibt es Hinweise darauf, dass Menschen, die unter einem traumatischem, chronischen oder auch durch einen niedrigen sozialen Status bedingten Stress leiden, ebenfalls schneller altern.

... neben seiner sechs Jahre älteren Mutter aus der royalen Kaste (rechts), die deutlich fitter ist.
... neben seiner sechs Jahre älteren Mutter aus der royalen Kaste (rechts), die deutlich fitter ist.
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