Wissen Naturnahe Architektur tut gut

Das Gebäude links aus den 1920er-Jahren steht vor einer Glasfassade in Teheran. Im rechten Teil des Bildes zeigt die gelbe Farbe
Das Gebäude links aus den 1920er-Jahren steht vor einer Glasfassade in Teheran. Im rechten Teil des Bildes zeigt die gelbe Farbe an, wohin Menschen am häufigsten schauen. Bereiche, die den Blick weniger anziehen, sind blau markiert. Die Glasfassade ist praktisch unsichtbar.

Wie müssen Städte der Zukunft aussehen, damit sich die Bewohner auch wohlfühlen? Wie finden sie sich gut zurecht? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, haben Forscher sich jenseits der Architektur naturwissenschaftlicher Methoden bedient. Und sind bei der Natur gelandet.

Naturwissenschaft als Grundlagenforschung für Stadtplanung und Architektur, dieser Gedanke ist nicht neu, aber trotzdem nicht sehr weit verbreitet. Es geht dabei um Erkenntnisse darüber, wie Menschen ihre urbane Umgebung wahrnehmen und in ihr navigieren. Die Schlussfolgerung: fraktale, also vielfältig gegliederte, und naturähnliche Gestaltung fördert messbar das physische und psychische Wohlbefinden. Forscher fordern deshalb, dieses Wissen gezielt in stadtplanerische Entscheidungen einfließen zu lassen.

Jedes Jahr reisen Millionen von Touristen nach Barcelona, nicht zuletzt, um dort über die oft als schönste Straße der Welt gerühmte Promenade „Las Ramblas“ zu flanieren. Was macht diese Straße so besonders, was macht es so erstrebenswert, auf ihr zu spazieren und den Blick von Fassaden und Bäumen zu Cafés und Geschäften schweifen zu lassen?

Diese Frage haben sich auch Aenne Brielmann vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen und ihr interdisziplinäres Forschungsteam gestellt und umfassende Antworten gefunden. „Stadtplanung und Architektur operieren bislang meist losgelöst von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Aber mittlerweile wissen wir viel darüber, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen, und könnten dieses Wissen auch gezielt einsetzen“, erläutert sie die Motivation ihrer Untersuchung.

Neurowissenschaft und Mathe für Stadtplanung

Die Forschenden verzichteten bei ihren Erhebungen bewusst auf Fragebögen, da die Befragten aufgrund ihrer Prägung Bauten als angenehm und schön bewerten könnten, weil etwa das Kunstverständnis oder die Gewöhnung an heutige Städte die Antworten beeinflussen könnten. Brielmann und ihre Kollegen interessiert vielmehr, welche Präferenzen angeboren und biologisch bedingt sind. Dafür setzen sie mathematische und neurowissenschaftliche Methoden ein. „Eye-tracking, also das Verfolgen von Blicken, beispielsweise ist ein wunderbares Werkzeug, um Entscheidungen in Architektur und Stadtplanung auf Basis handfester Informationen zu treffen“, sagt Brielmann. „Wir messen dabei, wohin Menschen am meisten schauen. Die Blickrichtung ist in der Regel ein entscheidender Indikator dafür, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Wenn wir uns zum Beispiel fragen, ob Menschen sich im Frankfurter Flughafen gut orientieren können, dann müssen wir erst einmal wissen, ob sie überhaupt in Richtung der Beschilderung schauen“, so die Wissenschaftlerin.

Die Blickrichtung deutet darüber hinaus auch auf Vorlieben und Gefallen: „Schon bei Kleinstkindern können wir feststellen, dass sie ihren Blick auf angenehme Gegenstände lenken und sogar ihren Körper auf diese Objekte ausrichten“, erläutert Brielmann. Das lenkt auch die Schritte auf einer schönen Straße wie „Las Ramblas“: Die aufeinanderfolgenden visuellen Signale fördern die Fortbewegung, weil sich dem Spaziergänger immer neue attraktive Ziele präsentieren. Gleichzeitig reduzieren sich Anspannung und Stress.

Fraktale Muster – von der Natur abgeschaut

Auch darüber, was im Einzelnen ein Gebäude oder eine Straße attraktiv macht, hat das Team Erkenntnisse: Was der Natur ähnelt, wird von Menschen als angenehm empfunden. Das bedeutet nicht nur, dass die Integration von Naturelementen wie Sonnenlicht, Wasser und Pflanzen einen positiven Effekt auf das urbane Erleben hat. Auch abstraktere Prinzipien können der Natur abgeschaut sein: „Nehmen wir etwa einen Baum: Die Struktur eines Astes ähnelt dem des ganzen Baums, und dieses Muster wiederholt sich im Baum in immer kleineren Formen. Mit anderen Worten: Der Baum ist fraktal, und damit ist er visuell stimulierend“, so Brielmann. Menschen schätzten fraktale Designs auch in der Architektur. „Je mehr fraktale, also kleinteilige Muster eine Fassade bietet, desto eher bleiben unsere Augen an ihr hängen. Die meisten traditionellen Architekturstile binden fraktale Elemente ein – aber eine blanke Beton- oder Glasfront hat unseren Augen nichts zu bieten, sie ist gewissermaßen für uns unsichtbar“, erklärt sie.

Die Forschenden rufen daher dazu auf, modernistische Gestaltungsprinzipien umsichtig einzusetzen. Architektur unterliege nicht nur künstlerischen Kriterien, so Brielmann: „Wer ins Museum geht, trifft die Entscheidung, sich Kunst anzusehen, aber bei Architektur haben wir keine Wahl. Architekten müssen einsehen, dass sie auch für die überwiegende Mehrheit der Menschen bauen, die keine Architekten sind. Und um deren Wohlbefinden geht es uns“, betont die Forscherin.

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