Energie Putin sieht Schuld für hohe Gaspreise bei Europäern

In Sibirien fördern russische und deutsche Firmen aus dem Permafrostboden gemeinsam Gas.
In Sibirien fördern russische und deutsche Firmen aus dem Permafrostboden gemeinsam Gas.

Das scheinbar unaufhörlich teurer werdende Gas macht auch Verbrauchern in Deutschland Angst. Zu Unrecht an den Pranger gestellt sieht sich die Energiegroßmacht Russland. Deren Präsident wirft der EU Fehler bei der Vertragsgestaltung vor.

Die Gaspreise gehen durch die Decke. Verbale Angriffe aus der Europäischen Union gegen die Gas-Großmacht Russland sind für Präsident Wladimir Putin seit Tagen Chefsache. Er wehrt sich kategorisch gegen Vorwürfe, Russland sei für die immer neuen Höchststände bei den Gasgroßhandelspreisen verantwortlich. Bei Verbrauchern in Deutschland machen sich Sorgen breit, ob sie künftig ihre Heizrechnungen bezahlen können. Auch Putin räumt inzwischen ein, dass dringend gehandelt werden müsse, um die Lage zu entspannen.

„Europa läuft vor Kälte blau an ohne russisches Gas“, titelte gerade die Moskauer Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“. Andere russische Medien feiern den 69-jährigen Putin angesichts der „Panik auf dem Gasmarkt“ schon als möglichen Retter vor einem drohenden Kälteschock der Europäer. Der in Gaskrisen erprobte Präsident sagt, dass der Staatskonzern Gazprom helfen könne, wenn es für ihn nicht zu teuer werde. Russland sei offen für Angebote der Großabnehmer aus der EU, betont der Kreml.

„Nord Stream 2 steht bereit“

Wie könnte eine Lösung aussehen? Der Gastransit über die Ukraine könnte deutlich ausgeweitet werden. Doch sei das teuer für Gazprom, sagt Putin. Es ist seine Art zu sagen, dass die neu gebaute Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die die Ukraine umgeht, für den günstigeren Gastransport bereitsteht. Es fehlt nur die Betriebsgenehmigung der deutschen Behörden. Der Kreml weist immer wieder darauf hin, dass die rasche Inbetriebnahme Entspannung in der Energiekrise bringen könne.

Schuld an den hohen Preisen sei nicht Russland, sondern die Lage auf dem Weltmarkt – und eine verfehlte Energiepolitik der EU, betont Putin. Trotz Russlands Warnungen seien die Europäer von Langzeitverträgen abgerückt und zum Handel an den Energiebörsen übergangenen. „Heute ist klar, dass diese Politik ein absoluter Fehler ist.“

Auch der für Energiefragen zuständige Vize-Regierungschef Alexander Nowak betont, dass Russland trotz der Gewinne für die Staatskasse kein Interesse an solch hohen Gaspreisen habe. Wegen der hohen Kosten sieht Nowak vielmehr die Gefahr, dass sich der Übergang zu alternativen Energien in der EU beschleunigt. Russland hingegen will möglichst lange seine fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle nach Europa verkaufen.

Lieber Kooperation statt Konfrontation

Auch beim St. Petersburger Internationalen Gas-Forum war die angespannte Lage ein Thema. Die Vorwürfe aus der EU, Russland manipuliere den Gaspreis, „um die Ostseepipeline Nord Stream 2 schneller mit Gas zu füllen, sind haltlos und absurd“, sagt Rainer Seele, der Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK), am Freitag. Gazprom liefere die vereinbarten Mengen, was auch Kanzlerin Angela Merkel in dieser Woche hervorhob.

Seele war lange Chef der Energieunternehmen Wintershall Dea und OMV, zwei der fünf europäischen Unternehmen, die Nord Stream 2 finanzierten. „Wer an kostengünstigem Gas für deutsche und europäische Haushalte und Industriebetriebe interessiert ist, sollte auf Kooperation statt auf Konfrontation mit Moskau setzen“, sagt Seele.

Auch er kritisiert, dass in der EU zu sehr auf „das freie Spiel von Angebot und Nachfrage gesetzt wurde“. Durch den Verzicht auf langfristige Lieferverträge für Pipeline-Gas gebe es nun Risiken, „unter deren Folgen jetzt die europäische Industrie und Millionen privater Haushalte leiden“. Deutschland verbraucht nach AHK-Angaben rund 87 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, davon stammen 55 Prozent aus Russland.

Seit Jahresbeginn verzehntfach

Doch selbst, wenn Russland nicht für den Anstieg der Energiepreise verantwortlich ist, stellt sich in Europa die Frage, ob das Land nicht vielleicht absichtlich Möglichkeiten ungenutzt lässt, durch die sich die Lage entspannen würde. Der Gaspreis hat sich seit Jahresbeginn verzehnfacht. Doch noch macht Gazprom die Ventile nicht auf. Zuerst müssten die eigenen Speicher im Land aufgefüllt werden, weil ein womöglich kalter Winter bevorstehe, hieß es.

Klar ist, dass Russland eine Diskussion innerhalb der EU über Klimaschutzmaßnahmen ein Dorn im Auge ist. Dabei geht es um den Ausstieg aus der Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen. Auch EU-Staaten wie Polen kritisieren, dass die hohen Energiepreise teilweise auf den CO2-Emissionshandel zurückzuführen seien. Dieser Handel mit Verschmutzungsrechten (pro Tonne des Klimagases CO2, das beim Verfeuern der fossilen Brennstoffe anfällt) macht die Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern teurer, um Unternehmen zur Einsparung von Kohle, Öl und Gas zu bewegen.

Geschrumpfte Gasvorräte

In der EU drehen sich die Diskussionen vor diesem Hintergrund vor allem um die Frage, wie in Zukunft starke Schwankungen bei den Energiepreisen vermieden werden könnten. Die Europäische Kommission will bald Optionen vorschlagen. So ist denkbar, dass EU-Länder beim Einkauf von Gas zusammenarbeiten oder zumindest gemeinsame strategische Reserven anlegen.

Ins Gewicht fallen dürfte dabei, wie groß die Gefahr eingeschätzt wird, dass es in Zukunft erneut zu starken Preisanstiegen kommen könnte. Experten wie die EU-Energiekommissarin Kadri Simson rechnen derzeit damit, dass die Preise ab dem Frühling nach und nach fallen. Für die derzeitige Situation ist ihrer Einschätzung nach vor allem der weltweite Energiehunger aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs nach der Corona-Krise verantwortlich. Hinzu kommen geschrumpfte Gasvorräte nach dem ungewöhnlich kalten Winter 2020/2021 und geringere Gaslieferungen aus dem Ausland wegen Instandhaltungsarbeiten an Pipelines sowie ein Rückgang der Gasproduktion in Europa.

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