Corona-Krise Das globale Impfstoff-Rennen

 Die Suche nach einem Impfstoff beim Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac: Ein Mitarbeiter schaut sich in einem Labor einen Träg
Die Suche nach einem Impfstoff beim Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac: Ein Mitarbeiter schaut sich in einem Labor einen Träger mit Bakterien an, aus denen Erbmaterial des Coronavirus gewonnen wird.

Noch ist kein Corona-Impfstoff in der westlichen Welt zugelassen, doch viele Staaten kaufen bereits Impfdosen im großen Stil. Auch Deutschland rüstet sich. Für die Pharmakonzerne geht es dabei um Milliarden-Umsätze. Dafür gehen die Unternehmen hohe finanzielle Risiken ein.

Während Pharmakonzerne weltweit unter Hochdruck an Corona-Impfstoffen forschen, ist auch das finanzielle Rennen um die Versorgung mit dem begehrten Mittel in vollem Gang: Staaten kaufen Hunderte Millionen Impfstoffdosen, um ihre Versorgung zu sichern, sobald ein Impfstoff zugelassen ist. Sie schließen umfangreiche Verträge mit Pharma- und Biotechfirmen – das erhöht die Wahrscheinlichkeit für die Länder, einen Treffer zu landen. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist aktiv geworden. Die Zuversicht, dass ein Impfstoff bald kommt, wächst: Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, erwartet erste Zulassungen Ende dieses Jahres oder Anfang 2021.

Rund 170 Impfstoffprojekte laufen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO), doch nur gut eine Handvoll Firmen befinden sich mit ihren Forschungen in Phase-III-Studien, der letzten Stufe vor einer möglichen Zulassung. Darin muss sich zeigen, ob die Mittel sicher sind und wirklich vor einer Infektion schützen. Weit fortgeschritten sind das US-Unternehmen Moderna, die britisch-schwedische Astra-Zeneca und die Mainzer Firma Biontech. Mit dem US-Kooperationspartner Pfizer will Biontech bei positiven Ergebnissen schon im Oktober einen Zulassungsantrag für seinen Corona-Impfstoff stellen. Noch aber sind die Projekte mit viel Unsicherheit behaftet. „Lackmustest sind die Phase-III-Studien“, sagt Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung beim Pharmaverband VFA.

Schub für den Markt

Mit dem Kampf gegen Corona erhält der bislang 30 Milliarden Dollar (25 Mrd Euro) schwere Markt für Impfstoffe einen Schub. Kein Land investiert dabei so viel wie die USA: Sie gaben unter anderem Astra-Zeneca eine milliardenschwere Finanzspritze, stellten den Konkurrenten Sanofi und Glaxo-Smithkline (GSK) bis zu 2,1 Milliarden Dollar zur Corona-Forschung bereit und orderten beim Duo Biontech/Pfizer für fast 2 Milliarden Dollar Impfstoffdosen – Nachkaufrecht inklusive. Auch Großbritannien und Japan schlossen Verträge für Hunderte Millionen Impfstoffdosen.

Deutschland ist in Abstimmung mit europäischen Ländern auf den Markt getreten. Nach Vorverhandlungen einer Impfstoffallianz mit Italien, Frankreich und den Niederlanden finalisierte die EU-Kommission jüngst den Kauf von 300 Millionen Dosen bei Astra-Zeneca. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich 54 Millionen Dosen des Impfstoffs gesichert, hieß es jüngst aus Regierungskreisen.

Der Bedarf in der EU ist groß: Benötigt werden geschätzt 300 bis 600 Millionen Impfdosen – je nachdem, ob das künftige Mittel ein- oder zweimal verabreicht werden muss. Die Kommission sicherte sich daher auch bis zu 405 Millionen Dosen eines Corona-Impfstoffs der Tübinger Biotechfirma Curevac und schloss weitere Vorgespräche mit Sanofi/GSK, dem US-Konzern Johnson & Johnson und Moderna ab.

Große Preisspanne

Im Erfolgsfall sollen alle EU-Staaten profitieren. Die Kommission greift zur Finanzierung auf ein Corona-Soforthilfeinstrument zurück, das mit 2,7 Milliarden Euro ausgestattet ist. „Wir investieren in Unternehmen, die auf unterschiedliche Technologien setzen, um unsere Chancen auf Impfstoffe zu erhöhen, die sicher und wirksam sind“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Für Pharmakonzerne geht es bei den Corona-Impfstoffen um viel Geld, wie der Vertrag von Biontech zeigt. Die USA zahlen für 100 Millionen Einheiten 1,95 Milliarden Dollar, also knapp 20 Dollar je Dose. Die Spanne der Preise in ähnlichen Verträgen geht aber weit auseinander. An der Börse ist die Hoffnung auf lukrative Geschäfte schon groß.

Zugleich nehmen die Unternehmen viele Risiken in Kauf. So ist der Zeitplan für Zulassungen bis Anfang 2021 ehrgeizig. Noch vor wenigen Jahren wurden für Impfstoff-Entwicklungen 15 bis 20 Jahre veranschlagt. Nach wie vor muss die Sicherheit des Wirkstoffes in Studien mit Tausenden Teilnehmern bestätigt werden. Die Entwicklung kostet Hunderte Millionen Euro, schätzte Olaf Tölke, Pharmaexperte bei der Rating-Agentur Scope. „Die Firmen tragen das Risiko, im Rennen mit der Konkurrenz zu spät zu kommen.“ Zudem seien durchschnittlich nur rund 10 Prozent der Impfstoffe, die in klinische Studien gehen, erfolgreich, sagt VFA-Forschungsexperte Throm.

Die Produktion läuft bereits

Damit nicht genug: Parallel zur Impfstoff-Forschung müssen Firmen ihre Produktion ausbauen, damit im Fall einer Zulassung keine Zeit verloren geht. Einige Arzneifirmen produzieren schon im großen Stil, während die Erprobung der Impfstoffe an Probanden läuft – mit der Gefahr, die Ware entsorgen zu müssen, falls Studienergebnisse negativ ausfallen. Curevac teilte Mitte Mai mit, dass die Firma schon große Wirkstoffmengen für ihren Impfstoffkandidaten hergestellt hat. Die Tests an Freiwilligen hatten da noch gar nicht begonnen.

Zudem ist offen, wie teuer die Impfstoffe verkauft werden können. Hersteller wie Johnson & Johnson und Astra-Zeneca haben angekündigt, zum Selbstkostenpreis zu liefern. Curevac hat indes mitgeteilt, mit einem Covid-19-Impfstoff auch Gewinne für die Eigentümer anzupeilen. „Wir können das nicht zum Selbstkostenpreis machen. Wir haben Investoren, die seit zehn Jahren Geld in das Unternehmen stecken, also sollte es eine kleine Rendite für sie geben“, sagte Curevac-Finanzchef Pierre Kemula.

Da nicht alle Impfstoffhersteller zeitgleich auf den Markt kommen werden, haben die Unternehmen mehrere Chancen, sich zu beweisen. Auf zwei bis vier Milliarden Dosen Corona-Impfstoff schätzt VFA-Experte Throm die weltweiten Produktionskapazitäten für das Jahr 2021. Risikogruppen würden wahrscheinlich zuerst geimpft, dann Kinder, Jugendliche und Schwangere. „Die gesamte Weltbevölkerung in einem Jahr zu impfen, schafft man ohnehin nicht.“

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