Europäischer Gerichtshof Das Diesel-Urteil und die Folgen

Der BGH muss nun prüfen, wie er seine Rechtsprechung zu Diesel-Abgastechnik mit der des EuGH in Einklang bringt.
Der BGH muss nun prüfen, wie er seine Rechtsprechung zu Diesel-Abgastechnik mit der des EuGH in Einklang bringt.

Im Streit um das sogenannte Thermofenster in Dieselfahrzeugen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein verbraucherfreundliches Urteil gefällt: Wer ein Auto mit unzulässiger Abgastechnik hat, kann künftig leichter Schadenersatz verlangen als bisher. Das Luxemburger Urteil hat auch Konsequenzen für die deutsche Rechtsprechung.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bisher Käufern von manipulierten VW-Diesel-Motoren Schadenersatz zugesprochen, nicht aber Käufern von Dieselfahrzeugen mit Thermofenstern. Nach der Entscheidung des EuGH muss der BGH in Sachen Thermofenster nun noch einmal neu entscheiden, auch über die Berechnung des Schadenersatzes. Ein Termin steht bereits fest, am 8. Mai 2023 wird in Karlsruhe verhandelt. In der Ankündigung des Gerichts heißt es, der BGH wolle nach der EuGH-Entscheidung die sich „möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht erörtern.“

Die Gründe dafür, dass der BGH beim Thermofenster bisher eine Haftung von Mercedes ablehnte, sind komplex. Der BGH sah durchaus, dass es sich auch beim Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln könnte, wenn die Abgasreinigung im Großteil des Jahres nicht die geforderten Werte erreiche. Aber der Einbau sei nicht als gezielte Manipulation zu werten, wie beim VW-Diesel-Motor EA189.

Den Unterschied begründete der BGH damit, dass beim VW-Motor EA 189 vorsätzlich eine Abschalteinrichtung installiert wurde, die nur auf dem Prüfstand funktionierte, auf der Straße jedoch zu keinem Zeitpunkt und bei keiner Temperatur. Beim Thermofenster habe dagegen allenfalls Fahrlässigkeit vorgelegen.

Der Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit hatte Folgen. Bei Fahrlässigkeit bestehe kein Anspruch auf Schadenersatz, so der BGH im Sommer 2020. Die Begründung: Die Einhaltung der Euronorm betreffe nicht das Verhältnis zwischen Käufer und Hersteller, sondern sei dem Umweltschutz geschuldet. Der Käufer sei durch die Zusicherung der Abgaswerte nicht geschützt. Eine Voranfrage beim EuGH lehnte der BGH ab.

Die machte aber das Landgericht Ravensburg und es zeigt sich nun: Der EuGH sieht es anders als der BGH. Die Einhaltung der Abgaswerte schütze auch den Käufer, denn der wolle gerade ein Auto, das er jederzeit in der Europäischen Union fahren dürfe und wieder verkaufen könne. Mit unzulässiger Abschalteinrichtung sei das aber nicht möglich, es liege folglich ein finanzieller Schaden vor, der ersetzt werden müsse.

Der BGH muss nun prüfen, wie er seine Rechtsprechung und die des EuGH in Einklang bringt. In Erwartung des Luxemburger Urteils lagen in Karlsruhe fast 2000 Fälle auf Eis, auch viele Oberlandesgerichte warteten ab. Am 8. Mai wird es nun in eine neue Runde gehen.

Jetzt geraten Diesel-Autos verschiedener Hersteller in den Blick, wo die Abgasreinigung ebenfalls nicht durchgängig gleich gut funktioniert. Die Funktionalitäten, die dafür verantwortlich sind, stehen im Verdacht, unzulässige Abschalteinrichtungen zu sein. Prominentes Beispiel ist das Thermofenster von Mercedes, um das es jetzt auch in Luxemburg ging. Dabei wird je nach Außentemperatur die Verbrennung von Abgasen direkt im Motor gedrosselt – um diesen zu schützen, wie die Hersteller sagen. Kritiker werfen ihnen vor, auch hier darauf geschaut zu haben, dass die Autos die Grenzwerte vor allem unter Test-Bedingungen einhalten.

Auf Diesel-Verfahren spezialisierte Anwaltskanzleien beschwören bereits die nächste große Klagewelle herauf. Noch sind aber zu viele Fragen offen, um abschätzen zu können, ob es sich auch lohnt, vor Gericht zu ziehen. Der ADAC weist etwa darauf hin, dass in jedem Einzelfall festgestellt werden muss, ob unzulässige Technik verbaut wurde.

Nach einem früheren EuGH-Urteil wäre ein Thermofenster unzulässig, wenn es unter normalen Bedingungen die meiste Zeit des Jahres die Abgasreinigung drosselt. Auf welche Autos das zutrifft, muss aber noch von deutschen Gerichten geklärt werden. Die Deutsche Umwelthilfe geht in großem Stil gegen Freigabebescheide für Diesel vor, davon seien mittelbar bis zu zehn Millionen Autos betroffen.

Die EuGH-Richter weisen zwar darauf hin, dass nationale Vorschriften „es nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, für den dem Käufer entstandenen Schaden einen angemessenen Ersatz zu erhalten“. Die nationalen Gerichte könnten aber dafür Sorge tragen, dass es „nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung“ kommt – also dass Leute Summen herausschlagen, die zum Schaden in keinem Verhältnis stehen.

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