Wirtschaft Arbeiten trotz Rente

Viele Rentner arbeiten, weil ihnen die damit verbundene soziale Anerkennung wichtig ist.
Viele Rentner arbeiten, weil ihnen die damit verbundene soziale Anerkennung wichtig ist.

«Ludwigshafen». Immer mehr Ruheständler gehen weiter einem Beruf nach. Oft tun sie das nicht aus der Not heraus, sondern weil ihnen Arbeit wichtig ist.

Jeder Siebte arbeitet trotz Rente. Seit 2001 hat sich die Anzahl der beschäftigten Senioren, den Daten der Haushaltsbefragung im Rahmen des Mikrozensus zufolge, verdoppelt. Weil das Geld sonst nicht reichen würde, könnte man annehmen. Doch die Forschung zeichnet ein anderes Bild. Die Gründe für den steten Zuwachs bei den Altersarbeitern sind vielschichtig. Arbeitende Ruheständler sind überdurchschnittlich gut gebildet. Etwa die Hälfte verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung oder eine Lehre. Hochschulabgänger sind überproportional vertreten. Doppelt so viele Männer wie Frauen verdienen im Rentenalter noch dazu. Sie pflegen selten Angehörige, weshalb sie Zeit für das Arbeiten haben. Sie sind gesund und beklagen keine körperlichen oder seelischen Beschwerden. Jenseits der 70 und noch drastischer jenseits der 80 geht die Anzahl der Altersarbeiter aber „scharf nach unten“, sagt der Sozialpolitikforscher Gerhard Bäcker, der das Phänomen an der Universität Duisburg-Essen erforscht hat. Beschäftigte Ruheständler leben häufiger in Westdeutschland, mit dem Spitzenreiter Bayern, und seltener in Ostdeutschland, mit dem Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern. Wäre alleine das Einkommen das Motiv, müsste die Verteilung umgekehrt sein, denn die Renten sind im Osten niedriger als im Westen. Aber es sind keineswegs überwiegend die ärmsten Rentner, die arbeiten. Dem Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen zufolge waren es meist Rentner mit einem eigenen Einkommen von 1100 bis 1300 Euro monatlich. Als Christian Pfarr und Christian Maier von der Universität Bayreuth in einer Studie zusätzlich das Vermögen in Form von Grundbesitz und anderen Einkünften etwa aus der Vermietung berücksichtigten, fiel ihnen 2015 gar auf, dass Personen mit einem Vermögen von mehr als 250.000 Euro besonders häufig nach 65 weiterarbeiten. In dieser Gruppe sind es 80 Prozent. „Definitiv nicht aus Geldnot“, resümiert Maier. Den Rentner, der nicht über die Runden kommt, gibt es auch. Bäcker stellt klar: „Insbesondere alleinstehende Frauen tun es mitunter aus bitterer Not“. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin schätzt die Anzahl auf ein Drittel, die vor allem aus finanziellen Motiven arbeitet. Zwar erwarten die Forscher, dass dieser Anteil künftig steigt, da die Renten nicht in dem Maße zulegen wie die Lebenshaltungskosten. Aber gegenwärtig sind die arbeitenden Ruheständler nicht mit den armen Alten gleichzusetzen. Das Gros der beschäftigten Senioren befindet sich nicht in einer Notlage und arbeitet aus freien Stücken weiter. Gemeinsam ist den meisten, dass sie Arbeit positiv erleben. Sie schöpften daraus Zufriedenheit. Deshalb wollen sie die Erwerbstätigkeit über das 65. Lebensjahr hinaus fortführen. Einige suchen den sozialen Kontakt mit Kollegen und wollen ihre Erfahrung weitergeben. Auch die Vitalität und das Gefühl, zu jung für den Ruhestand zu sein, spielen eine Rolle. „Sie wollen mit 65 nicht einfach den Schalter umlegen und zum alten Eisen gehören“, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der die Altersarbeit erforscht. Der Trend steht in einem größeren Kontext: Arbeit ist in unserer Gesellschaft der soziologischen Forschung zufolge die wichtigste sinnstiftende Aktivität, auf der unsere Identität fußt. „Ich bin Lehrer“ oder „Arzt“, sagen wir und definieren uns über unseren Beruf. Auch die Natur der Psyche begünstigt die Altersarbeit: Wer die Arbeit verliert, muss seine Rolle im Leben neu definieren. Dieser Anpassungsprozess löst nicht immer, aber manchmal Stress aus, bis sich eine neue Lebensgestaltung und auch eine neue Identität ausbildet. Wer die Arbeit positiv erlebt hat, konkret den sozialen Anschluss, den Status im Beruf und auch das höhere Einkommen verglichen mit der Rente, tendiert deshalb dazu, nach 65 daran festzuhalten. Im Detail können die Motive individuell unterschiedlich sein. Jürgen Deller, Wirtschaftspsychologe der Universität Lüneburg, fand bei Befragungen, dass manchem die soziale Anerkennung am Arbeitsplatz wichtig ist. Andere reize der strukturierte Tagesablauf. Wieder andere glaubten, sich mit Arbeit fit und jung zu halten. Auch höhere Motive wie die Selbstverwirklichung und das sinnstiftende Element der Arbeit tauchten als Gründe auf. Die Erwartungen an das Rentnerdasein beeinflussen ebenfalls, ob eine Person arbeite, beobachtete Deller. Gaben Befragte an, dass das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben für sie ein sozialer Verlust sei, dann neigten sie eher dazu, einen Job anzunehmen. Diese immateriellen Motive sind gleichwohl oft mit finanziellen Interessen verquickt. Die Altersarbeiter fliehen dabei nicht vor der Armut, aber sie sind bestrebt, ihren gewohnten Lebensstandard über das Zusatzeinkommen zu sichern.

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