Rheinpfalz Wie die Mutter, so das Kind

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Was eine Schwangere isst, wie gestresst und ängstlich sie sich fühlt, all das prägt sich in den Körper und in das Gehirn ihres Babys ein und beeinflusst zeitlebens dessen Verhalten. Es müsste also im Grunde nicht heißen: Wie der Vater, so der Sohn, sondern besser: Wie die Schwangere, so die Kinder.

Von Susanne Donner Es klingt eigentlich zu platt, um wahr zu sein: Glückliche Schwangere gebären glückliche Kinder. Wer in den Umständen cool bleibt, bekommt ein gelassenes Baby und wer überängstlich durch die zehn Monate schlingert, hat auch ein unausgeglichenes Kind.Fragt man Neonatologen, Geburtsmediziner und Neurowissenschaftler nach den Zusammenhängen zwischen der Zeit im Mutterleib und dem späteren Charakter des Kindes, erstaunt die Antwort: „Vieles ist zwar noch Gegenstand der Grundlagenforschung, aber es ist naheliegend, dass eine glückliche Mutter tendenziell eher ein glückliches Kind bekommt“, sagt Andreas Plagemann, Geburtsmediziner an der Charité. Während der zehn Monate werden zentrale Regelkreise im Gehirn und in den Genen kalibriert. Dieser Vorgang der fetalen Programmierung prägt ein Leben lang das Verhalten. „Das ist wie ein Stempel, den ich in eine Knetmasse drücke“, veranschaulicht Plagemann. Stress während der Schwangerschaft ist mit am besten erforscht, weil etwa jede zehnte Schwangere vorzeitig Wehen bekommt und Ärzte dann Stresshormone spritzen, damit die Lunge des Babys schneller reift. Der pharmakologische Stresslevel lässt sich messen und mit dem Verhalten des Kindes in Beziehung setzen. Das Cortisol passiert zu einem Zehntel die Plazentaschranke, wenn es nicht durch ein spezifisches Enzym abgebaut wird, und erreicht damit das kindliche Gehirn. Ein bisschen davon genügt, um das Verhalten dauerhaft zu verändern: Wenn Schwangeren nur an zwei Tagen Stresshormone bekamen, waren ihre Kinder noch mit acht Jahren wesentlich stressempfindlicher, zeigte Matthias Schwab, Neurologe vom Universitätsklinikum Jena, in einer noch unveröffentlichten Untersuchung. Er machte bei ihnen auch häufiger ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom aus, bei dem sich die Sprösslinge schlechter konzentrieren und ruhig verhalten können. Der Intelligenzquotient lag niedriger. Auch eine Frühgeburt könnte allerdings solche Auffälligkeiten erklären, aber Schwab macht die Stresshormone verantwortlich. Stress wird im Gehirn vornehmlich vom Hippocampus und Hypothalamus reguliert. Fluten im Baby während der Schwangerschaft dauernd erhöhte Cortisolspiegel an, wird dies als Normalzustand festgelegt. Die körpereigenen Stresssysteme werden so justiert, dass das Kind schneller und häufiger gestresst ist, das aber auch braucht, um zur Höchstform aufzulaufen. Die Stressachse wird hyperaktiv. Schon bei Geburt auf Stress geeicht zu sein, ist dennoch nicht per se schlecht. „Evolutiv ist das von Vorteil“, betont Schwab, „weil diese Menschen schneller auf der Hut sind und sich kaum leichtfertig in Gefahr begeben.“ Doch für die Nervenzellen ist die ständige Alarmbereitschaft auf lange Sicht ungünstig. Cortisol fördert den Zelltod, hemmt das Zufriedenheitshormon Serotonin und bedingt einen erhöhten Blutdruck. Deshalb bekommen Dauergestresste auch häufiger Schlaganfälle und haben eine kürzere Lebenserwartung. Und damit der Nachteile nicht genug, vermutet Schwab: Weil das Stresshormon den Zelluntergang antreibt, erwartet er, dass Stress im Mutterleib den geistigen Abbau im Alter vorzeichnet. Rührt die Epidemie der Demenzen in den Industrienationen also vom Dauerstress der Schwangeren? Diesem Verdacht geht Schwab zurzeit im EU-Projekt BrainAging auf den Grund. Entsprechende Langzeituntersuchungen am Menschen fehlen noch. Nicht nur Stress, sondern sogar Emotionen wie die Angst der Mutter in der Schwangerschaft hinterlassen Spuren im Kind. Das legen vor allem die Untersuchungen der Psychologin Bea van den Bergh von der Katholischen Universität Löwen in Belgien nahe. Sie erhob schon 1989 anhand eines psychologischen Tests die Angst von 86 Schwangeren zu verschiedenen Zeitpunkten. Ihr fiel auf, dass Kinder von Müttern, die zwischen der 12. und 22. Schwangerschaftswoche sehr furchtsam waren, in den ersten sieben Lebensmonaten viel schrien und besonders unregelmäßig schliefen und aßen. In der ersten Schwangerschaftshälfte werden nahezu alle Nervenzellen im Gehirn angelegt und, so vermutet van den Bergh, das limbische System, die Stressachse und verschiedene Neurotransmittersysteme im Gehirn der Babys auf den erlebten Stresslevel hin geeicht. War die Mutter sehr gestresst, produzieren die Kleinen später beim kleinsten Anlass schnell und viele Stresshormone, um auf ihren Normwert zu kommen. Solche Erfahrungen im Mutterleib würden sich bestimmt herauswachsen, könnte man meinen. Doch dem widersprechen van den Berghs Arbeiten. Mit acht bis neun Jahren beurteilten Lehrer und Mütter jene Kinder häufiger als besonders schwierig, unkonzentriert und rastlos, die von einer überängstlichen Frau ausgetragen wurden. Und auch als Jugendliche, im Alter von vierzehn bis fünfzehn, sind sie in Tests noch immer impulsiver. Etwa antworten sie schneller, aber machen mehr Fehler als andere Kinder. Auch mit knapp zwanzig Jahren blieben die Unterschiede zu van den Berghs Überraschung bestehen: „Sie sind in den kognitiven Tests nicht unbedingt schlechter. Sie sind beispielsweise kreativer und reagieren viel stärker auf Lob“, betont sie, weil sie einer Stigmatisierung der Kinder vorbeugen möchte. „Aber in Settings mit wenig Reizen, etwa einer langweiligen Schulstunde, fallen sie häufig in ihrem Verhalten aus dem Rahmen. Sie können sich nicht konzentrieren. Nur unter Stress – ihrem Normalzustand – kommen sie gut klar.“ Wie stark der Einfluss der Mutter in der Schwangerschaft sein kann, fiel Forschern schon vor Jahren bei der Zuckerkrankheit auf. Sie wird zwei bis dreimal häufiger über die mütterliche Linie weitergegeben. Das Überangebot an Nahrung und Blutzucker während der Schwangerschaft macht die Stoffwechselschieflage auch beim Baby zur Norm. Gewöhnlich helfen die Hormone Leptin und Insulin die Zuckerflut zu bewältigen und vermitteln auch das Signal fürs Sattsein. Doch das Gehirn der Babys von Diabetikerinnen spricht auf diese Stoffe kaum an. Das wirkt sich noch zeitlebens auf das Essverhalten aus. Sie brauchen viele Kalorien, um ihren Hunger zu stillen. Die Forschung zur fetalen Programmierung kann, so erhellend sie ist, leider auch einen bestehenden, unguten Trend verschärfen: die Pathologisierung der Schwangerschaft. Werdende Mütter sehen sich mit einer Fülle von Vorsorgeuntersuchungen konfrontiert und müssen so oft wie sonst nie zum Arzt. „Das trägt wenig zur Entspannung und zur Ermutigung der Frauen bei, die doch an sich am besten wissen, was ihnen gut tut“, kritisiert van den Bergh. Sie hofft, dass sich Schwangere aller Entdeckungen zum Trotz weder von Spezialisten noch von Ratgeberliteratur beirren lassen und auf ihr Gespür vertrauen.

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