Rheinpfalz Wenn der Kopf streikt

91-86918661.jpg

Heidelberg. Wer bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro erfolgreich sein will, muss nicht nur körperlich in Topform, sondern auch mental bestens auf seine Wettkämpfe eingestellt sein. Dass bei Athleten der Kopf im entscheidenden Moment auch mitspielt, dafür sorgen Sportpsychologen wie Jan Mayer, der die Athleten des Olympiastützpunkts Rhein-Neckar betreut. Es gibt eine Dokumentation des Fernsehsenders Arte über den jamaikanischen Sprinter Asafa Powell. Der 33-Jährige war von 2005 bis 2008 Weltrekordhalter über 100 Meter. Einen großen Sieg bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften hat er – außer mit der Sprintstaffel seines Landes – nie gewonnen. Die Dokumentation zeigt, wie Powell, mit dem „ultimativen Sprintkörper“ ausgestattet, bei der WM 2007 in Osaka als Favorit im 100-Meter-Finale an den Start geht – und sich von seinem neben ihm laufenden Konkurrenten Tyson Gay ablenken lässt und gegen den US-Amerikaner schließlich auch den Kampf um den Titel verliert. „Ich habe angefangen, auf ihn zu achten und bin in Panik geraten“, sagt Powell in dem Film. Er hat dann einfach nicht so große Schritte, eigentlich seine Stärke, wie sonst gemacht. Der Sportpsychologe Jan Mayer kennt diese Dokumentation. Er sagt: „Powell hat bei diesem Rennen nicht auf die Automatismen seines Körpers vertraut, sondern bewusst versucht, seine Schritte zu steuern. Er hat angefangen zu denken. Aber in solch einer Situation darf man nicht denken.“ Der Sprinter gehört offensichtlich nicht zu jenen „vielleicht zehn Prozent Wettkampftypen“ (Mayer), die völlig ohne mentales Training auskommen – und sich und ihre Nerven auch in den ganz, ganz wichtigen Wettkämpfen im Griff haben. Für alle Sportler, die nicht zu den Mentalitäts-Monstern gehören, gilt: Mit Unterstützung im mentalen Bereich steigen die Chancen, bei einem großen Wettkampf erfolgreich zu sein. Denn oftmals gesellt sich bei den richtig großen Wettkämpfen wie Olympischen Spielen zu dem eigenen Erwartungsdruck ein äußerer Druck. Zum Beispiel durch das Interesse der Zuschauer, das viele Sportler so nicht mal von den Weltmeisterschaften kennen. Bei den Schützen etwa, die bei Olympia gleich von Beginn an plötzlich im Scheinwerferlicht stehen. „Der Sportler muss in solchen Momenten Vertrauen in seinen Körper haben und nicht versuchen, etwas Besonderes machen zu wollen“, sagt Mayer. Er will die Bedeutung des Mentalen für eine sportliche Leistung nur ungern an Prozentzahlen festmachen. Mayer zieht dann lieber den Vergleich zu Hardware (ist gleich Körper) und Software (ist gleich Kopf) in der EDV: „Eine gute Hardware läuft nur reibungslos, wenn eine entsprechende Software installiert ist.“ Mayer kam eher durch Zufall mit der Psychologie in Berührung. Eigentlich wollte er Lehrer werden. Dann lauschte er im Studium einer Vorlesung des 2014 verstorbenen Hans Eberspächer – einem ehemaligen Professor für Sportpsychologie am Institut für Sport und Sportwissenschaft in Heidelberg, der als einer der Pioniere der praktischen Sportpsychologie in Deutschland gilt. „Ich hatte eigentlich nur das Ziel, die 90 Minuten irgendwie rumzukriegen“, erzählt Mayer: „Doch dann war ich begeistert von dem, was ich hörte, war regelrecht elektrisiert.“ Mittlerweile gehört Mayer zu den bekanntesten und profiliertesten Sportpsychologen Deutschlands, hat schon 16 verschiedene Nationalteams betreut und unterstützt neben den Athleten am Olympiastützpunkt (seit 2002) auch die Bundesliga-Fußballer der TSG 1899 Hoffenheim. Sportpsychologen wenden in der Arbeit mit Athleten verschiedene Techniken des mentalen Trainings an. Etwa das Training von Bewegungsabläufen, das Training zur Selbstregulierung des Aktivierungsniveaus oder das Training der Selbstgesprächsregulation. Als Zeitpunkt für mentales Training eignen sich vor allem die Abendstunden. Mayer: „Nachts gehen die Inhalte aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis über.“ Es empfiehlt sich, mit dem mentalen Training nicht erst kurz vor einem großen Wettkampf beginnen, sondern am besten bereits zwei Jahre vorher. „Am besten ist im Hinblick auf einen großen Wettkampf real erlebter Erfolg“, sagt Mayer. Also ein erfolgreiches Abschneiden, zum Beispiel bei nationalen Meisterschaften. Asafa Powell, der jamaikanische Sprinter, ist ein paar Wochen nach dem verpassten WM-Titel 2007 übrigens Weltrekord gelaufen. Bei einem Sportfest im italienischen Rieti. Im Vorlauf. Ohne erstzunehmende Gegner auf den Bahnen neben sich. Die Serie Die Olympischen Sommerspiele finden bis 21. August in Rio statt. Die Paralympics, die Spiele der Behindertensportler, beginnen am 7. September. Die Athleten haben sich geschunden für ihren Olympia-Traum. Manche platzen, manche erfüllen sich. Viele Menschen haben sie bei diesen Mühen unterstützt. Einige von ihnen stellen wir in der Serie „Olympische Träume“ vor.

91-87741742.jpg
x