Rheinpfalz „Nur so viele Touristen wie die Einwohner verkraften“

«Speyer.» Wie sieht der Tourismus der Zukunft aus und wie können sich Städte darauf vorbereiten? Am Beispiel Speyer beschäftigt sich Knut Scherhag von der Hochschule Worms im Kern mit diesen Fragen. Er sagt: Wenn sich die Bürger in einer Stadt nicht mehr wohlfühlten, sei eine Grenze überschritten.

Herr Scherhag, Städtetourismus wächst in Deutschland und auch in Speyer. Was treibt diesen Trend?

Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Das hängt von den einzelnen Städten ab. Sicherlich spielt generell die Erreichbarkeit eine Rolle. Günstige Reiseangebote wie etwa bei den Low-Cost-Airlines haben einen Teil dazu beigetragen, dass Städtereisen zunehmen, da sie für mehr Menschen erschwinglich sind. Aber auch die zunehmende Verfügbarkeit von besonderen Übernachtungsangeboten auf Plattformen wie Airbnb spielt eine Rolle. Ein wichtiger Faktor ist zudem das Image der jeweiligen Stadt. Parallel zum Tourismus-Boom gibt es weltweit jedoch auch Klagen über „Overtourism“. Auch in Speyer gibt es Tourismus-kritische Äußerungen. Allgemein gefragt: Wo liegen die Chancen, wo die Risiken für eine touristisch geprägte Mittelstadt? Overtourism ist an sich kein neues Phänomen, bereits in den 1970er-Jahren wurde über Belastungs- und Kapazitätsgrenzen in touristischen Regionen diskutiert. Speyer wird touristisch seit einigen Jahren sehr stark frequentiert, der städtischen Entwicklung sei Dank. Eine Chance kann der Ausbau des Übernachtungstourismus sein, denn ein Übernachtungsgast lässt im Vergleich zum Tagesgast vier- bis fünfmal soviel Geld da. Dazu muss aber auch die Wahrnehmbarkeit in der Stadt da sein, etwa in Form von speziellen Abendangeboten, zum Beispiel im kulinarischen oder kulturellen Bereich. Wo sind die Grenzen des Tourismus? Mit dem „zu viel“ ist das so eine Sache. Fragt man einen Hotelier, wird der sagen, es reicht dann, wenn sein Laden voll ist. Aber Städte haben auch eine Wohlfühlfunktion für ihre Einwohner. Für viele Städte ist der Tourismus wiederum eine wichtige Einnahmequelle. Idealerweise sollte es eine Balance geben: Nur so viele Touristen, wie die Einwohner verkraften können, das heißt, sie müssen sich in ihrer Stadt weiterhin wohlfühlen. Zusammen mit Mainz und Worms bewirbt sich Speyer um den Welterbe-Status für das jüdische „Schum“-Erbe. Was könnte eine solche Auszeichnung touristisch bewirken? Mit dem Welterbe-Status werden durchaus Zeichen gesetzt, um den Tourismus zu fördern. Nicht umsonst wird beim Antrag die Einbindung in Tourismus-Konzepte gefordert. Die Auszeichnung zum „Schum“-Erbe wird Touristen anziehen, die historisch interessiert sind, oder jüdische Touristen von außerhalb. Entsprechende themenspezifische Angebote sind aber notwendig, damit auch Veranstalter interessiert sind; am meisten könnte davon, bei entsprechenden Angeboten, die Übernachtungsbranche profitieren. In Speyer entstehen drei neue Hotels, die Jugendherberge stockt auf. Bedeutet eine solche Konstellation automatisch, dass mehr Touristen kommen? Ob ein Hotel gebucht wird oder nicht, hängt heutzutage auch von den Kommunikationskanälen ab, die es nutzt, ob es etwa in den Standardbuchungstools im Internet auftaucht. Reisende buchen, was ins Budget passt. Bei einer Online-Buchung spielen zunehmend Bewertungen anderer Gäste eine Rolle. Mit Filtern kann der Reisende zudem gezielt nach Schlagworten und Kategorien suchen. All das hat einen gewissen Einfluss auf seine Entscheidung. Der Wettbewerb kann da durchaus angekurbelt werden. Die Alteingesessenen müssen zusehen, dass sie mithalten können. Wenn Sie in die Zukunft des Städtetourismus blicken: Welche Angebote werden gefragt sein? Das ist sehr zielgruppenspezifisch. Eine Rolle spielt, welche Aktivitäten das Umland bietet. Familien zum Beispiel kommen nur zur Ferienzeit. Wenn sie länger bleiben sollen, brauchen sie Angebote für Kinder. Für die Generation der 18- bis 30-Jährigen ist Kurzfristigkeit wichtig: spontane Buchungen, Informationen zu Veranstaltungen, die über Social-Media-Kanäle laufen. Spontane Städte-Trips sind etwas anderes als ein geplanter Besuch beispielsweise der Nibelungenfestspiele. Eine Stadt muss sich zudem entscheiden, wen genau sie ansprechen will. Ich rate dazu, sich auf ein, zwei Zielgruppen zu konzentrieren, mehr sind finanziell meist gar nicht machbar. Dann kommt die größere Herausforderung: die Kommunikationskanäle so zu bespielen, dass sie die Zielgruppe ansprechen.

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