Rheinpfalz Notruf erreicht Glückspilz Jonathan Tah

Évian-les-Bains. Bundestrainer Joachim Löw hat gestern, zwei Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich, den 20 Jahre jungen Innenverteidiger Jonathan Tah von Bayer Leverkusen für den schwer verletzten Antonio Rüdiger (23) nachnominiert.

Die Titelmission in Frankreich hätte schlechter kaum beginnen können. Im ersten Training einen verletzten Spieler vom Platz humpeln zu sehen, und jedem war gleich klar, dass es wahrscheinlich eine schwere Verletzung sein würde, das war ein Nackenschlag für Bundestrainer Joachim Löw und sein Team. „Der gestrige Tag war natürlich getrübt“, sagte der Bundestrainer gestern. Die Einheit lief rund. Eigentlich ... Es war auch ordentlich Pfeffer im Spiel, wobei auch deutlich zu sehen war, dass Zweikämpfe nicht bis „aufs Blut“ geführt wurden. Und dann ging Antonio Rüdiger, der Ex-Stuttgarter von AS Rom, in der Spielfeldmitte nach einem Zweikampf mit Thomas Müller zu Boden. Wenige Stunden später dann die niederschmetternde Diagnose für den Abwehrspieler: Riss des vorderen rechten Kreuzbands. Eine gestrige Nachuntersuchung im Krankenhaus hat die erste Diagnose der Mannschaftsärzte bestätigt. Noch auf dem Spielfeld hatte Löw bei Müller nachgefragt, was passiert war. Eigentlich nichts Besonderes. Aber der Verteidiger, der zu seiner Stuttgarter Zeit schon einmal sehr lange wegen einer Meniskus-Verletzung hatte pausieren müssen, hatte Pech. Die Betroffenheit war groß. Dem Bundestrainer tat es doppelt leid, weil der Spieler sich gerade im vergangenen Jahr nach seinem Wechsel nach Italien kontinuierlich entwickelt habe. Es bestand regelmäßiger Kontakt, über Stärken und Schwächen habe der Trainer mit ihm geredet. „Er hat hart daran gearbeitet“, meinte Löw, der „Toni“ Rüdiger als Hummels-Ersatz wohl auch auf der Rechnung hatte für das erste Gruppenspiel gegen die Ukraine am Sonntag (21 Uhr) in Lille. Nun also Tah, der sich nach einer Lebensmittelvergiftung, die ihn im Saisonendspurt schachmatt gesetzt hatte, selbst um seine Fitness gekümmert und in den letzten drei Wochen individuell trainiert hat. 45 Spiele hat Tah in Liga, Champions League und Pokal für Bayer in dieser Saison bestritten. Der robuste Verteidiger wurde bei Bayer nach einem Zweitliga-Jahr bei Fortuna Düsseldorf aus dem Stand zum Stammspieler. Leverkusens Sportchef Rudi Völler wird sich über die Nominierung gefreut haben, denn dass in Karim Bellarabi und Julian Brandt zwei Leverkusener aus dem EM-Kader gestrichen worden waren, hatte ihm schon etwas aufs Gemüt geschlagen. Sein Debüt in der Nationalelf feierte Tah beim Länderspiel am 26. März in Berlin gegen England (2:3), als er für Mats Hummels eingewechselt wurde. Das Ukraine-Spiel kommt für Nachrücker Tah allerdings zu früh. Löw ist sich zwar sicher, dass der gebürtige Hamburger nicht lange brauchen wird, aber für das Auftaktmatch hat er zwei andere personelle Varianten im Hinterkopf, um Mats Hummels zu ersetzen, der nach einem Muskelfaserriss noch nicht fit ist. An der Seite von Jérôme Boateng wird entweder Shkodran Mustafi auflaufen oder Benedikt Höwedes verteidigen, der zu U21-Zeiten gemeinsam mit Boateng das Innenverteidiger-Duo gebildet hatte. Sollte Höwedes zum Zug kommen, würde sich hinten rechts eine Lücke auftun. Allerdings hat der mögliche Ersatz, der junge Joshua Kimmich vom FC Bayern München, gestern wegen einer starken Erkältung pausiert.