Rheinpfalz Nordkoreaner im Süden: Die Seitenwechsler

Nordkoreanische Fans bejubeln im südkoreanischen Gangneung ihre Sportler. Zumindest auf den Fahnen ist die Halbinsel wieder vere
Nordkoreanische Fans bejubeln im südkoreanischen Gangneung ihre Sportler. Zumindest auf den Fahnen ist die Halbinsel wieder vereint.

Zehntausende Menschen sind in Nordkorea aufgewachsen, leben aber heute im Süden der politisch geteilten Halbinsel.

Ein seltsames Gefühl überkommt Kim Hyeuk, wenn er die Frauen in ihren roten Trainingsanzügen sieht. Auf seiner Seite der Grenze marschieren sie nun, klatschen und rufen von den Tribünen der Sportarenen: „Kämpfen, kämpfen!“ Muss er sich als gebürtiger Nordkoreaner in Acht nehmen? Vor jener plötzlich nahen Welt, die der 24-Jährige vor sieben Jahren unter so großen Opfern hinter sich gelassen hatte?

Ein Anflug von Angst

Als er mit seiner Familie in einer Nacht heimlich den Tumen-Fluss im Norden Richtung China durchwatete, kam seine Mutter ums Leben. Sein Bruder und er mussten weiterziehen, über den Landweg bis Vietnam, um von dort aus mithilfe der südkoreanischen Botschaft nach Seoul zu fliegen. Das schien der Preis der Freiheit zu sein. Für die Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang ist eine Hundertschaft von Delegierten aus dem Norden angereist. Ein Corps von Cheerleadern mit haargenau einstudierter Choreografie unterstützt die Athleten aus jenem Land, aus dem Kim Hyeuk geflohen ist. Aber die Angst hält immer nur für kurze Momente an, wird schnell von Freude überlagert.

"Überall gemeinsam starten"

„Die Nordkoreaner hier zu sehen, ist doch irgendwie unglaublich“, sagt er mit strahlenden Augen. Vor allem das Eishockeyteam mit Spielerinnen aus Nord- und Südkorea hat ihn mitgerissen. „Bis vor Kurzem hätte ich das nicht gedacht“, sagt Kim Hyeuk, „aber vielleicht gibt es ja doch eine Möglichkeit, dass die zwei Koreas wieder zusammenfinden.“ Um die für ihn friedensbringenden Olympischen Spiele im Fernsehen zu verfolgen, ist er durch die halbe Zehn-Millionenmetropole Seoul gefahren. Jetzt sitzt er in einem Café im chinesisch geprägten Stadtteil Daerin, trinkt einen „Ice Americano“ und schaut Skispringen. „Wenn wir erst mal überall gemeinsam starten, werden wir eine richtige Wintersportnation. Im Norden ist’s jetzt nämlich noch kälter als hier“, meint Kim Hyeuk. Er muss selbst über seine eigenen Worte lachen und sagt dann mit ernstem Blick: „Bei Olympia geht’s diesmal um was anderes.“

"Wir rennen hinterher"

Für Kim Hyeuk jedenfalls geht es um Identität. Als er 2011 in Südkorea ankam, musste er zuerst die Schule nachholen, weil er im Norden die meiste Zeit auf den Feldern ackerte. Jetzt ist er an der Uni, studiert Politik. Aber im südkoreanischen Kapitalismus begleitet ihn noch immer ein Gefühl des Mangels. „So geht es vielen von uns hier“, sagt er. Es sei nicht nur der Verlust von Familienmitgliedern. „Wir sind einfach nicht gut genug“, sagt Kim Hyeuk leise. „Wir rennen hinterher.“ 30.000 Nordkoreaner leben in Südkorea. Pro Jahr kommen mehr als 1000 ins Land. Wer es in die Freiheit schafft, wird erst mal mit einer rauen Wahrheit konfrontiert. Trotz reservierter Studienplätze und Stipendien liegt die Abbrecherquote unter Flüchtlingen über dem nationalen Durchschnitt. Auch die Selbstmordrate liegt deutlich über der von gebürtigen Südkoreanern, obwohl die im internationalen Vergleich schon hoch ist. Der nordkoreanische Akzent stigmatisiert noch zusätzlich.

An Wiedervereinigungskeksen knabbern

Nicht alle glauben, dass sich durch innerkoreanischen Austausch etwas ändern wird. Lee Ae-ran ist sogar gegen die Annäherung. Auch in ihrem Lokal im Zentrum der Stadt läuft rund um die Uhr Olympia, aber hinsehen will sie nicht. „Was sich hier gerade abspielt, bricht mir das Herz “, ruft die 54-Jährige, während sie an den Tischen vorbei zur Küche stöckelt. Seit gut 20 Jahren lebt Lee Ae-ran in Seoul, führt eines von wenigen nordkoreanischen Restaurants. Die Stammkunden, die hier die Reisschale „Pjöngjang-Bibimbap“ verzehren oder an den „Wiedervereinigungskeksen“ knabbern, zählen sich in der Regel zu jenen, die sich mit den Flüchtlingen aus dem Norden solidarisieren, jedes Appeasement mit der Regierung in Pjöngjang aber strikt ablehnen.

"Wir können nicht mit einem Regime sprechen"

„Kim Jong-un verletzt jeden Tag Menschenrechte und jetzt wird ihm hier der Hof gemacht? Was soll das?“, fragt Lee Ae-ran. Im Norden wurde die adrett gekleidete Frau mit Halstuch und Dauerwelle zu einer überzeugten Anti-Kommunistin. „Wir können nicht mit einem Regime sprechen, das die Menschen aushungern lässt.“ Aber was tun? „Sanktionen. Anders geht es nicht.“ An den Tischen des Lokals, die sich am späten Nachmittag langsam füllen, sind solche Meinungen oft zu hören. Die Frage nach dem Umgang mit Nordkorea ist hier, zumal dieser Tage, Gesprächsthema Nummer eins. Lee Ae-ran, eines der Sprachrohre der südkoreanischen Rechten, hat am Vormittag auch bei einer Anti-Pjöngjang-Demo mitprotestiert.

Eiskunstlauf als Propagandashow

Eine der Kellnerinnen, ebenfalls eine Geflüchtete, sagt kaum hörbar im Lärm des Lokals: „Mich schüchtert es ein, dass Nordkorea hier seine Propaganda verbreiten darf. Ich weiß nicht, warum der Präsident das zulässt.“ Im TV läuft Eiskunstlaufen, der einzige Wettbewerb, in dem sich ein nordkoreanisches Paar regulär qualifiziert hat. Aber die Kellnerin, eine ältere Dame mit Schürze um die Hüfte und Geschirr in ihren kräftigen Händen, wendet sich ab. „Mir wäre es sogar recht, wenn sie gewinnen. Aber ich will das lieber nicht sehen.“ Eine Propagandashow sei das für sie.

Traumatische Erlebnisse im Norden

Kim Sung-chul versteht die Sorgen und die Begeisterung. Aber der 32-Jährige, der ebenfalls aus Nordkorea flüchtete, will sich nicht mitreißen lassen. „Was wir im Norden erlebt haben, war traumatisch“, sagt er mit dampfendem Atem. Da könne man schnell zu extremen Meinungen kommen. Kim Sung-chul kommt gerade von der Arbeit. Seinen dünnen Körper in einen Daunenmantel verpackt, marschiert er zu Fuß durch Seolleung, ein Viertel im Süden des Zentrums. Links und rechts ragen Hochhäuser, dazwischen breiten sich mehrspurige Straßen aus, auf denen Motorenlärm röhrt, wie es ihn in seinem Heimatland wohl höchstens in Pjöngjang gibt. Aber da war er nie, Kim Sung-chul kennt seine Hauptstadt bloß von Bildern. Und mit eigenen Augen müsse er sie auch nicht mehr sehen, sagt er.

Sung-chul heißt jetzt Scott

Nach seiner ersten Flucht kehrte er nach Nordkorea zurück, nachdem ihn in China Heimweh überkommen hatte. Zum Dank ging es ins Arbeitslager. Später gelang ihm noch einmal der Ausbruch. „Die Zeit hab’ ich hinter mir. In der Hungersnot der 1990er Jahre ist mein Vater gestorben und in dieser ungeheizten Zelle im Lager wäre ich auch fast draufgegangen. Ich will nicht mehr zu viel dran denken.“ Seit zehn Jahren ist Kim Sung-chul in Seoul, hat hier ein Studium abgeschlossen, sich einen neuen Namen zugelegt. Er nennt sich jetzt Scott. Neben dem Studium hat er sich mithilfe der NGO „Teach North Korean Refugees“ ein nahezu akzentfreies Englisch antrainiert. Seit einigen Jahren arbeitet er für ein Handelsunternehmen im Süden der Stadt, erledigt die Korrespondenz mit Lieferanten.

Träumen von der Wiedervereinigung

Ob er bei Olympia die Koreaner aus dem Norden oder die aus dem Süden unterstütze? An einer Ampel wartend tippelt Scott wie ein Boxer auf der Stelle, um nicht zu frieren, überlegt. Schwer sei diese Frage. „Mein Herz schlägt für den Norden. Aber ich bin eher für die Südkoreaner, weil die sich sportlich qualifiziert haben.“ Die nord-südkoreanische Kombination der Eishockeymannschaft habe für ihn einen bitteren Beigeschmack. „Athletinnen aus Südkorea sind aus der Truppe geflogen, damit es Platz für ein paar Nordkoreanerinnen gab, nur für eine politische Geste. Ich glaube nicht, dass so ein Deal bei allen im Land gut ankommt.“ Auch Scott, der Händler, träumt von der Wiedervereinigung, wie fast alle Koreaner. Aber an Verständigung durch die Kraft des Sports, auf die der Student Kim Hyeuk hofft, glaubt er nicht. Ebenso wenig an Sanktionen, wie sie Lee Ae-ran fordert. Scott Kim will sich in einigen Wochen selbstständig machen und Handel mit Elektroprodukten betreiben. „Vielleicht irgendwann auch mit Nordkorea.“

Kim Hyeuk, Lee Ae-ran und Kim Sung-chul (von oben nach unten) haben in Südkorea ein neues Leben begonnen. Ihr Herz schlägt zum T
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... und Kim Sung-chul haben in Südkorea ein neues Leben begonnen. Ihr Herz schlägt zum Teil aber noch für ihre alte Heimat.
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