Rheinpfalz Nie wieder Niemandsland

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Der Flughafen Hahn prägt den Hunsrück seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In Lautzenhausen sind Parkplätze das große Geschäft, zu Zeiten der Amerikaner reihten sich dort Bordelle aneinander. Auch in anderen Orten im Hunsrück hoffen die Menschen, dass der Flugbetrieb erhalten bleibt und die Region nicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

S ie wollen Ihr Auto abholen?“ Uwe Weber blickt die braungebrannte Frau freundlich an. Vor kurzem ist eine Ryanair-Maschine auf dem benachbarten Flughafen Hahn gelandet, die Passagiere sind auf dem Heimweg. Wer billig fliegt, will billig parken. Weber betreibt den CC Car-Check, einen Service für Mietwagen und Parkplätze in Lautzenhausen, wenige hundert Meter entfernt vom Flughafenterminal. Das Geschäft laufe gut, erzählt er, bei der Konkurrenz auch. Per Gerichtsbeschluss wurde vor einigen Jahren die Anzahl privat vermieteter Parkplätze sogar begrenzt. In Lautzenhausen heißt es, die Flughafen Frankfurt Hahn GmbH habe Druck auf die Ortsgemeinde gemacht, weil sie selbst etwas an parkenden Autos verdienen wollte. Die drei Hotels des 400-Seelen-Dorfes leben ebenfalls vom Flughafen – und die Tankstelle der Firma Bohr, die außerdem einen Shuttle-Bus betreibt. In dem Dorf, in dessen Gärten im Neubaugebiet Trampoline und andere Insignien fröhlicher Kinder stehen, wurde schon früher mit den Bedürfnissen der Menschen am Hahn gutes Geld gemacht. „Jed’ Schouer war en Puff“ heißt das Buch einer Kulturwissenschaftlerin über die verruchte Zeit. Scheunen und Ställe wurden zu Etablissements, nachdem die Amerikaner 1952 am Hahn ihre Militär-Airbase aufgebaut hatten. Bis zu 60 Bars und Kneipen zählte Lautzenhausen. In den 1970er Jahren sollen Kegelclubs und Gemeinderäte Ausflüge auf die Hunsrück-Reeperbahn unternommen haben. Später zog das Dorf immer wieder die Polizei an: zu Razzien wegen Menschenhandels. 1991 war alles vorbei: Die Amerikaner beschlossen, die Airbase aufzugeben. 15.000 Soldaten und ihre Familien zogen ab. Etliche Mietshäuser standen auf einmal leer. Nicht nur Prostituierte verloren ihren Job. Zivilbeschäftigte saßen auf der Straße, Handwerker in der ganzen Region hatten kaum noch Aufträge, in den Geschäften blieben die Auslagen liegen. „Damals sind hier wirklich die Lichter ausgegangen“, sagt Uwe Weber, der in der 20 Kilometer entfernten Stadt Kirchberg aufgewachsen ist. In die leerstehenden Wohnungen zogen Spätaussiedler aus Russland. In Sohren, dem Nachbardorf von Lautzenhausen, wohnten 2000 Einheimische und 1200 Aussiedler. In Büchenbeuren war das Verhältnis eins zu eins. So steht es in einem Bericht der „Zeit“ aus dem Jahr 1997. Die Arbeitslosenquote lag bei 11 Prozent, heute sind es 4,2. Die Integration ist gelungen, irgendwie, und die Zeiten haben sich gebessert. Vieles hat mit dem Flughafen Hahn zu tun. Als 1999 die Billigfliegerei mit Ryanair vom Hunsrück aus startete, gönnten sich auch viele Menschen aus der Region eine bis dahin unerschwingliche Urlaubsreise. Uwe Weber hat die Aufbruchstimmung als Unternehmer erlebt, nachdem das Land unter der damaligen sozialliberalen Regierung von Kurt Beck (SPD) und Rainer Brüderle (FDP) den Militär-Airport in einen zivilen Flughafen umgewandelt hatte. Weber gründete 1994 das Unternehmen „Hahn Helikopter“, das auf Arbeitsflüge und Personentransporte spezialisiert war. Politiker habe er geflogen, mit dem Sternekoch Johann Lafer zusammengearbeitet. Weber holt Zeitungsausschnitte hervor und gerät ins Schwärmen. Zwischendurch reicht er immer wieder Schlüssel an heimkehrende Urlauber. 2012 hat der 63-Jährige das Flug-Unternehmen aus Altersgründen verkauft. Heute gibt es Hahn-Helikopter nicht mehr. Und wenn der Flughafen Hahn keinen Käufer findet? „So schlimm wie damals würde es heute nicht mehr werden“, ist sich Weber sicher. „Aber es wäre sehr schade und ein Jammer, wenn das Land keinen eigenen Verkehrsflughafen mehr hätte. Sogar das Saarland hat einen.“ Zwei Kilometer weiter, in Sohren, betreibt Hildegard Kaefer ein modernes Porzellangeschäft, das in dem eher altbackenen Dorf mit vielen schieferverkleideten Fassaden und stillgelegter Bahnstrecke herausragt. Kaefer ist eine energische Frau – und eine engagierte. Sie ist Vizepräsidentin der Industrie- und Handelskammer in Koblenz. Was ihr der Flughafen bedeutet? „Wissen Sie, wenn ich den Leuten sagen kann, unser Geschäft ist zwei Kilometer vom Flughafen Hahn entfernt, dann sind wir mitten im Geschehen, dann sind wir nicht im Niemandsland.“ Genau diese Gefahr, plötzlich wieder im Nirgendwo zu sein, sieht sie heraufziehen, sollte der Flugbetrieb mangels passendem Käufer eingestellt werden. Die Landflucht der jungen Leute werde wieder einsetzen, die nicht zuletzt dank der vielen Spätaussiedler in den 1990er Jahren abgemildert worden war. Ohne den Flughafen werden ihrer Meinung nach viele Betriebe nicht weitermachen können. Das fange mit den Hotel- und Gastronomiebetrieben an und werde sich auch auf den Handel auswirken. Hildegard Kaefers Blick auf die Mainzer Landesregierung, die gerade verkündet hat, dass es im neuen Bieterverfahren 13 Kaufinteressenten für den Hahn gibt: „Die wollen ihren Job ja nicht verlieren und werden alles dransetzen einen guten Käufer zu finden. Ich klammere mich an das bisschen Hoffnung.“ Hoffnung hat auch der 15-jährige Daniel aus Rheinböllen, der an diesem Vormittag mit seiner Mutter in die Kreisstadt Simmern zum Einkaufen gekommen ist. „Dort will ich später mal arbeiten. Die haben eine coole Feuerwehr“, sagt Daniel auf die Frage nach dem Flughafen, während er Frischmilch und Butter in den Kofferraum lädt. „Es wäre eine mittlere Katastrophe, wenn der zumacht“, sagt Uschi Franz aus Kastellaun, die ebenfalls einkaufen war. Ihr Mann Andreas schimpft auf die Politik: „Da wird alles hochgekocht, aber es passiert nichts. Wenn ich mir die Blamage mit den Chinesen anschaue, dann könnte ich mich immer noch aufregen.“ Weniger die Flughafenpolitik als der Anblick der vielen Windräder im Hunsrück stört den Rentner Helmut Michel. „Der Flughafen gehört hierher, die Windräder nicht.“ Und Hermann Link aus Oberwesel liegt auch ein anderes Thema mehr am Herzen: „Fragen Sie mich doch mal nach der Mittelrheinbrücke. Die brauchen wir endlich.“ Bei der Frage, wie wichtig der Flughafen für die Arbeitsplätze ist, gehen die Meinungen an diesem Vormittag auseinander. Sehr wichtig sei er, sagen die einen und verweisen darauf, dass viele Arbeitnehmer schon jetzt rund 100 Kilometer ins Rhein-Main-Gebiet zur Arbeit pendeln oder in die andere Richtung nach Koblenz oder Köln. Andere, wie Helmut Michel, sagen: „Der Hunsrück ist nicht mehr so wie noch vor 20 Jahren. Heute gibt es mehr Firmen und mehr Arbeitsplätze.“ Wer von Simmern auf die wegen des Flughafens vierspurig ausgebauten B 50 Richtung Flughafen fährt, sieht viele Gewerbeneubauten. Die Firma Ero baut gerade – ein Hersteller für Spezialmaschinen im Weinbau, etwa Traubenvollernter. Dabei gehört ausgerechnet der Hunsrück zu jenen Regionen im Land, in denen das Klima und der Boden ungeeignet sind für Reben. Felder, Wiesen und Wald prägen die Landschaft mit ihren sanften Hügeln. Windräder sind im letzten Jahrzehnt in beachtlicher Anzahl hinzugekommen. Der Boden selbst ist karg. Schon früher konnten die Menschen ihm nur mit Mühe etwas abringen. Der Regisseur Edgar Reitz hat das Leben im Hunsrück in seinem „Heimat“-Epos beschrieben und die Gegend um den Hauptdrehort Woppenroth, der im Film „Schabbach“ heißt, für ein paar Jahre zu einer internationalen Berühmtheit gemacht. Der Tourismus ist ein zartes Pflänzchen, das vom Flughafen Hahn den einen oder anderen Impuls erhalten hat. „Hier hat schon einmal jemand dringend nach einem Zimmer gefragt, weil der Flug verschoben wurde“, heißt es bei der Tourist-Information in Kirchberg. Das 4000-Seelen-Städtchen ist Sitz der Verbandsgemeinde, zu der der Flughafen gehört. In der Mittagspause füllen sich die Tische des Bistros auf dem Kirchberger Marktplatz, der von Fachwerkhäusern umgeben ist. Man kennt sich, man duzt sich, unterhält sich über die Tische hinweg. Der Flughafen Hahn und seine Zukunft sind dort zumindest an diesem Tag kein Gesprächsstoff.

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