Interview: Jazz-Trompeter Thomas Siffling aus Mannheim „Musik macht man nicht zum Selbstzweck, sondern fürs Publikum“

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Thomas Siffling ist nicht nur ein angesagter Jazz-Trompeter. Der Mannheimer tritt auch als Kurator beziehungsweise künstlerischer Leiter diverser Konzertreihen und Festivals auf, so auch unter anderem als Berater zum Thema Jazz beim „Jazz & Joy“-Festival in Worms. Aktuell feilt er gerade mit seiner neuen Band an einem Album. Die erste große Show in neuer Besetzung ist in der Reihe Enjoy “Jazz” zu erleben (So 30.10., 20 Uhr, Ludwigshafen, Gesellschaftshaus der BASF, Karten: 0631 37016618). Über die glücklichen Umstände seines Werdegangs, die Bedeutung von Talent und Üben und über die Liebe zur Trompete spricht er im Interview mit LEO-Redakteurin Gisela Huwig.

Sie haben Jazztrompete in Mannheim studiert. Jazz und Trompete sind ja beide nicht gerade topangesagt bei den meisten jungen Leuten. Wie sind Sie denn dazu gekommen?

Das waren glückliche Umstände. Ich bin schon in einer musischen Familie groß geworden. Meine Mutter ist oft ins Theater und in Konzerte gegangen, mein Vater war Stimmungsmusiker und spielte die „Quetschkommod“. Das war allerdings teilweise etwas gewöhnungsbedürftig.  Aber Trompete kann doch auch schlimm sein, oder? Nein, Geige ist schlimmer (lacht). Jedenfalls bin ich musikalisch geprägt von zu Hause aus. Allerdings bin ich zuerst mal aus der musikalischen Früherziehung rausgeflogen. Warum denn das? Ach ich fand die Übungen die es damals gab einfach nicht gut und wollte sie einfach nicht mitmachen. Vielleicht hat aber auch einfach die Schwingung zwischen Lehrerin und mir nicht gestimmt. Jedenfalls wurde meinen Eltern gesagt, dass Ihr Sohn völlig unmusikalisch sei. Tja so ist das manchmal eben. Und wie sind Sie dann doch noch Musiker geworden, und warum musste es ausgerechnet die Trompete sein? Irgendwann kam mein Vater mit so einem kleinen Posthorn nach Hause. Die Familie sagte, wer einen Ton rausbekommt, dem gehört es. Ich habe es tatsächlich als einziger von uns allen geschafft, dem Posthorn einen Ton zu entlocken. Und da habe ich gewusst, dass ich Trompete spielen will. Nun war das ja damals so, dass man entweder in einen Posaunenchor gehen musste oder beim Musikverein angemeldet wurde. Bei mir war es der Musikverein. Und da kommen dann wieder die glücklichen Umstände ins Spiel: Ich hatte einen ganz tollen Lehrer, Herrn Rausch. Wenn man an ein Instrument herangeführt wird, müssen die Grundlagen stimmen. Wenn der erste Lehrer dich verhunzt, bist du für immer verhunzt. Und bei mir hat das prima gepasst. Der zweite Glücksfall war mein zweiter Lehrer. Meine Eltern kannten einen Bratschisten von der Badischen Staatskapelle in Karlsruhe und der wiederum kannte den dortigen Solo-Trompeter gut, Professor Adolf Weresch, der auch an der Hochschule in Karlsruhe unterrichtete. So kam ich mit zwölf, 13 Jahren zu ihm zum Vorspielen, und er nahm mich als Schüler an. Natürlich mussten meine Eltern mich unterstützen. Die Stunden waren nicht ganz billig… Auch da habe ich Glück gehabt. Wie haben denn Ihre Mitschüler am Gymnasium darauf reagiert, dass Sie Trompete spielen? Das war kein Thema in der Schule. Ich muss dazu sagen, dass ich kein guter Schüler war. Ich war zwar auf dem Gymnasium, aber ich hatte immer Stress mit den Lehrern und extrem schlechte Noten. So haben meine Eltern mich auf das musische Gymnasium geschickt, das Helmholtz-Gymnasium in Karlsruhe. Der Direktor schaute sich meine Noten an und sagte dann: „Ich nehme dich, weil du Trompete spielst“. Ich hatte dort Musik als Hauptfach und war unter Gleichgesinnten. Ich spielte mit 80 Jugendlichen im Orchester und mit 25 Leuten in der Big Band. Das war dann irgendwann meine Community. Ich gehörte zu den Musikerkreisen, das war richtig toll. Waren Ihre Eltern nicht irgendwann genervt, wenn Sie zu Hause Trompete geprobt haben? Nein, das ist wirklich nicht so schlimm, wie man sich das vorstellt. Wenn Türen und Fenster zu waren, hat man draußen gar nichts gehört. Anfänger spielen außerdem noch in tiefen Tonlagen. Das ist wirklich kein Problem. Geige ist tatsächlich schlimmer. Das war kein Witz. Der Erfolg gibt Ihnen Recht mit Ihrer Wahl… Ja. Und der Erfolg basiert auf vielen glücklichen Umständen. Das hat sich alles gut gefügt. Es war damals aber auch ein Fluch und Segen zugleich: Dadurch, dass mir früh klar war, Musiker werden zu wollen und dass es klassische Musik sein muss, war es für mich schwer, mich für Mathematik und Biologie zu interessieren. Meiner Mathelehrerin habe ich immer gesagt, dass ich später mal mein Einkommen als Musiker mit dem Taschenrechner zusammenzähle und deshalb nicht rechnen können muss. Ich habe mich da so ein bisschen durchgemogelt und mit meinen Lehrern Deals gemacht. Was Ihnen in Ihrer Laufbahn bisher offenbar trotzdem nicht geschadet hat. Sie sind denn auch schon früh richtig professionell durchgestartet, haben mit Mitte 20 fürs Radio produziert. Wie haben Sie das denn geschafft? Popmusiker aus der Region berichten von dicken Brettern, die zu bohren sind, um überhaupt ein Airplay zu bekommen. Ich muss zugeben, dass die Musiklandschaft damals noch etwas entspannter gewesen ist als heute. Heute wird der Markt überschüttet. Es ist schwerer geworden. Klar, ich habe früh Erfolge erzielt. Aber ich glaube, die Türen stehen auch heute noch offen, wenn man junge Musiker sieht, die talentiert und fleißig sind und die einfach wollen. Und wie sind Sie dann schon so früh zum Jazz gekommen? Sonst kommen doch Leute eher erst vom Pop auf den Jazz ... Jazz war schon immer auch ziemlich cool. Es muss ja nicht gleich Free Jazz sein. Beim Jazz ist das wie bei der Oper. Zuerst muss man mal in eine Oper mit schöner, melodiöser Musik, Verdi oder Mozart etwa. Und dann kommt man irgendwann auch mit anderen Sachen klar. Man muss es ja nicht erzwingen, aber manchmal geht dann am Ende sogar Free Jazz. Inzwischen stehen Sie für Crossover von Jazz und Pop, sehen sich selbst als „Grenzgänger, der Genres verbindet und Rahmen sprengt”, wie Sie auf Ihrer Homepage schreiben. Sie sind also kein Jazz-Purist? Die Hochkultur Jazz ist für mich Fluch und ein Segen zugleich. Die Freejazz-Bewegung hat tatsächlich vieles schwieriger gemacht, wie ich finde. Jazz war ursprünglich ja eine populäre Musik. Irgendwann haben leider in der Szene alle ein bisschen vergessen, dass man Musik nicht zum Selbstzweck macht, sondern fürs Publikum. Das will ich ein Stückweit wieder hinbekommen. Es freut mich sehr, wenn Leute nach einem Konzert sagen, sie seien zwar keine Jazzfans, aber das habe ihnen gefallen. Ich finde, so sollte es sein. Bei Jazz und Trompete fällt mir persönlich eigentlich nur ein Name ein: Chet Baker. Er war für mich auch so ein Opener. Als ich ihn das erste Mal gehört habe, musste ich nachschauen, ob er wirklich Trompete spielt, so weich klang sein Spiel. Und dann habe ich irgendwann Ihr Album “Cruisen” gehört und habe auch nachschauen müssen, ob das wirklich eine Trompete ist. Haben Sie einen Bezug zu ihm? Wenn ja, was bedeutet er für Sie und Ihre Laufbahn? Ja. Ja! Chet Baker und Dizzy Gillespie waren für mich die größten Musiker überhaupt. Chet Baker habe ich verschlungen! Seine Melodie und seine Grooves, also die Melodie und die Basis drunter, das kennenzulernen war ganz wichtig für mich. Auch Miles Davis war so ein Vorbild für mich. Das sind Musiker, die man gleich beim ersten Ton erkennt. Das muss auch das Ziel eines Musikers sein. Der Hörer muss gleich denken, der klingt wie der Siffling. Man muss eine eigene musikalische Sprache finden, die eigene Mischung aus Sound, also Klang, und Phrasing, also Melodiefluss. Das wird dann dein unverwechselbarer Charakter. Und da arbeite ich bis heute jeden Tag daran. Mein Stil entwickelt sich, ändert sich. Das muss das Hauptziel jedes Musikers sein: Authentizität. Kann das jeder Trompetenspieler lernen oder trennt so eine Technik tatsächlich die Spreu vom Weizen? Ich meine, ist das schwierig, so zu spielen? Jedes Instrument ist schwierig. Man muss wirklich fleißig sein. Ich übe jeden Tag ein bis zwei Stunden lang. Auch am Wochenende. Die Zeit muss ich einplanen zwischen Familie, Sport, Geschäft und Auftritten. Das muss alles passen. Und dann muss man eine Vorstellung haben, wie man klingen will. Das Lyrische, das Leise ist mein Qualitätsmerkmal. Aber das ist ein Prozess, der niemals aufhört. Sie haben mit der Verbindung zu Elektro und Pop dem Jazz Ihren eigenen Stempel aufgedrückt und auch da gleich mit Pop-Größen zusammengearbeitet, etwa den Söhnen Mannheims. Wie kam es zu dem Kontakt? Die Söhne haben bei mir angefragt, ob ich für die Single “Babylon System” ein Trompetensolo einspielen kann. Das habe ich gemacht. So ist der Kontakt entstanden. Passt das den überhaupt? Es passte für diese Single. Nicht mehr und nicht weniger. Für mich war von Anfang an klar, dass die Zusammenarbeit an ihre Grenzen stoßen würde. Die Söhne Mannheims sind eine Rockband. Xavier Naidoo gilt ja nun schon als ein bisschen exzentrisch. Wie sind Sie denn mit ihm zurechtgekommen? Super. Wirklich. Ich habe ihn als grundsympathischen, entspannten Typen kennengelernt. Wahrscheinlich lernt man ihn auch als Musiker auf Augenhöhe anders kennen als Otto-Normal-Mensch. Und man darf nicht vergessen, dass Leute wie Xavier öffentlich in einem ganz anderen Fokus stehen als ich. Da wird jedes Wort ausgeschlachtet. Ich finde, er macht tolle Musik, ob sie jemandem gefällt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt, und er hat eine tolle Stimme. Und dann leiten Sie auch noch die SAP-Big-Band, starten Veranstaltungsreihen im Planetarium und im Mannheimer Nationaltheater und haben sogar eine Ballettmusik geschrieben…. Sie haben so viele Projekte gleichzeitig. Können Sie die wichtigsten mal kurz aufzählen? Das Konstrukt Thomas Siffling steht auf zwei Säulen. Erstens bin ich Musiker. Als solcher ist mir mein neues Bandprojekt aktuell am wichtigsten, das Album, das nächstes Jahr veröffentlicht wird. Es ist ein Quintett. Nach den Trio-Alben wollte ich jetzt auch mal wieder zusätzlich mit Harmonie-Instrumenten arbeiten. Mit dem Quintett wird man Thomas Siffling live in Ludwigshafen Thomas Siffling in bester Miles-Davis-Tradition erleben. Zweitens bin ich Geschäftsmann. Ich habe die Labels Personality Records und Jazznarts Records, und ich kuratiere Veranstaltungsreihen am Nationaltheater, im Planetarium und in Heidelberg. Außerdem bin ich beratend beim Festival “Jazz und Joy” in Worms tätig. Hinzu kommen noch Jobs am Karlsruher Theater und bei einem Jazzfestival an der Ostsee. Und was macht am meisten Spaß? Das kann man so nicht sagen. Das Spannende an der Kuratoren-Tätigkeit ist die Frage, wie kann ich es schaffen, den Jazz wieder salonfähig zu machen. Die Zeiten sind vorbei, in denen das Publikum in die Jazzkeller ging. Wir brauchen Clubs, die repräsentativ sind. Das muss so laufen wie bei der Klassik. Und darüber mache ich mir dann Gedanken und setze die Ideen entsprechend um. Der Erfolg gibt uns Recht. Viele unserer Konzerte sind ausverkauft. Die Leute nehmen die Angebote an. Und ein gewisser Prozentsatz wird beim Jazz hängenbleiben und vielleicht auch mal wieder in die “Keller” gehen. Oder in Kneipen wie das “Badehaisel” in Wachenheim. Ich würde mich auch jetzt nicht als Jazz-Jazzer bezeichnen. Die Leute sollen nicht verschreckt werden. Wenn sie sich erst einmal für Jazz geöffnet haben, dann kann man ihnen live auch ein bisschen mehr zumuten. Konzerte entwickeln eine ganz eigene Dynamik. Da ist die Stimmung eine andere. Hat sich durch Ihren Werdegang Ihr Verhältnis zur Musik in den Jahren bis heute irgendwie geändert? Ja. Ich gehe heute an die Musiksachen rationaler und geschäftstüchtiger dran als früher. Ich weiß, wie der Markt funktioniert, verstehe mich darauf, die Mechanismen für Erfolge zu nutzen. Andersrum ausgedrückt: Mir ist die “Jungfräulichkeit der Musik” vielleicht ein bisschen verloren gegangen. Ich denke mehr über Musik nach und schreibe nicht mehr einfach so aus dem Herzen raus. Ist das Teil Ihres Erfolgsgeheimnisses? Es scheint, dass alles, was Sie anpacken, irgendwie zu Gold wird … Sicher. Ich will Sachen machen, die – sagen wir mal – irgendwie “massentauglich” sind, die die Leute ansprechen. In der Phase, in der ich mich jetzt befinde, habe ich nicht mehr den Anspruch, Kunst hoch drei zu Machen. Ich finde es toll, diese schwierigen Stücke zu hören. Aber ich habe nicht mehr den Anspruch, auch so ein großer Künstler zu sein, Ich will tatsächlich erfolgreich sein als Musiker und als Kurator wie jeder andere Musiker auch. Es gab ja im Jazz eine Zeit, da war es geradezu ehrenrührig, wenn die Leute applaudierten. Das ist nicht mehr mein Ding. Ich bin der berühmteste Trompeter in L 7, 7a in Mannheim (grinst). Neben meinem Sohn … Tritt der in Ihre Fußstapfen? Hoffentlich nicht. Er würde sich damit keinen Gefallen tun, glaube ich. Aber er ist jetzt sechs Jahre alt und hat die ganze Zeit ebenfalls Posthorn gespielt. Jetzt interessiert er sich für die allererste Jazztrompete von Papa. Ich finde es gut, dass er sich für Musik interessiert. Das ist schon toll. Aber es muss für mich jetzt in seinem Fall wirklich nicht unbedingt die Trompete sein. Zurück zu Ihnen. Gab es bei allen Erfolgen denn auch mal Rückschläge? Klar gab es die. Es gibt schon Ideen, von denen hätte man sich mehr erwartet, aber dann passierte nicht viel. Richtig in den Sand gesetzt habe ich allerdings noch nichts, aber ich habe auch schon finanzielle Rückschläge erlitten. Ich höre oft auf mein Bauchgefühl, und ich will immer offen und neugierig bleiben. Da habe ich auch schon Fehler gemacht. Aber daraus kann man ja lernen. Und ohne zu lernen, kommt man nicht weiter. Ich habe auch gelernt, zu investieren. Ich habe Leute eingestellt, die mir den Rücken freihalten, um mehr zeitlichen Spielraum für andere Sachen zu haben. Nun sind Sie ja auch weltweit auf Tour. Wo ist es am schönsten? Das kann ich nicht sagen. Schön ist es überall. Überall, wo ich war, war es einzigartig. Es ist ein großes Privileg von uns Musikern, dass man dahin kommt, wo andere nicht einfach so hinkommen. Ich habe gerade ein Konzert auf Haiti gegeben. Ich war in Indien, in Russland. In Russland habe ich eine große Gastfreundschaft erfahren. Wir haben überall den Kontakt zur Bevölkerung, lernen viele Menschen kennen. Das alles hat was. Ich bin sehr dankbar dafür. Gut, die Sehenswürdigkeiten sieht man auf der Tour nicht. Dafür bleibt keine Zeit. Und es ist auch anstrengend. Aber das Reisen als Musiker ist spannend. Es ist mir auch Nährboden furs Komponieren. Denn als Musiker muss ich ja auch etwas zu erzählen haben. Ich frage mich ja immer, wie es Bands auf Tour schaffen, bis zum letzten Konzert das Level hochzuhalten. Wie geht das denn? Man schafft es. Es kostet Kraft, aber es geht. In Russland haben wir in zwei Wochen 15 Konzerte gegeben und sind dabei 20.000 Kilometer weit durch sechs Zeitzonen gefahren. Da habe ich hinterher zwei Wochen gebraucht, um wieder zu Kräften zu kommen. Aber wenn du auf die Bühne gehst, funktioniert es mit dem Adrenalinkick immer, die Leistung abzurufen. Und wie ist das Publikum hier in der Region? Ich höre immer wieder, es werde besser je weiter man nach Westen kommt … Generell muss man sagen, das Pfälzer und das saarländische Publikum sind tatsächlich ein bisschen schneller zu begeistern, offener, als man das von Heidelberg oder Mannheim kennt. Das liegt wohl an der sprichwörtlichen Pfälzer Frohnatur. In Mannheim ist so viel los, da sind die Leute wohl etwas verwöhnt und kritisch,wobei es meine Stadt ist und ich da natürlich auch eine starke emotionale Verbindung habe. In Heidelberg dauert es manchmal ein bisschen länger, bis der Funke überspringt. Aber egal wo: Wenn man merkt, es läuft, dann inspiriert das einen auf der Bühne umgekehrt auch wieder. So entwickeln alle Konzerte eine Eigendynamik.

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