Kultur Südpfalz Melancholisches Tangoglück

„Libertà!“ – drei Stunden quer durch das musikalische Südamerika des 20. Jahrhunderts. Der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Karl-Heinz Steffens gelang bei ihrem Konzert in Mannheim ein rhythmusgetränkter, wunderbarer Saison-Auftakt, auch dank Solist Richard Galliano am Bandoneon.

Schon die ersten Töne des Bandoneons tauchen den Musensaal in eine besondere Atmosphäre. Im zweiten Teil des Abends ist dann die Staatsphilharmonie auf Streicherbesetzung mit Klavier und teils ergänzender Harfe reduziert. Richard Galliano kostet jede Freiheit in der musikalischen Gestaltung mit Leidenschaft aus, zeigt sein Instrument erst virtuos-beweglich, dann auch tiefgründig und voller Sehnsucht. In seinen eigenen Kompositionen setzt der Franzose auf die langen Töne, fällt vom Einzelklang in den ganzen Akkord und taucht mit geschlossenen Augen genussvoll wieder daraus hervor. Eine wahre Hörfreude für das Publikum, das schon nach der Hälfte des Konzerts erste „Bravo“-Rufe gen Bühne schickt. Ein Höhepunkt des Abends ist Gallianos „Tango pour Claude“. Auf komfortablem Streicherbett der Staatsphilharmonie klingt das Werk noch intensiver als in Quartett- oder Sextett-Besetzung – wie Galliano es üblicherweise aufführt. Er hat in diesem Stück den manchmal sperrigen Tango gleichzeitig massentauglich und bestens harmonisiert gestaltet. Wer im Publikum die Augen schließt, kann die Reise auf einer langen Straße spüren: Fahrtwind, Sonne und Melancholie. Außerdem spielen Galliano und das Orchester Werke des Argentiniers Astor Piazzolla. Die sind immer eine hörenswerte Mischung aus lyrischer Melancholie und getanzter Lebenserfahrung. Mit seinem „Tango Nuevo“ holte Piazzolla den Tango einst von den Straßen in die Konzertsäle. Bekannt wurde vor allem sein „Libertango“. An diesem Abend ist es ein Werk über den südamerikanischen Herbst – „Otono Porteno“ – das den Solisten glänzen lässt. Als konzentrierter Partner zeigen Staatsphilharmonie und Konzertmeister Nikolaus Boewer, welch breites stilistisches Können sie beherrschen. Ein Symphonieorchester mitten in mitreißenden südamerikanischen Rhythmen: Das ist ein ungewohntes Bild. Zwischen versetzten Taktschwerpunkten, herrlichen Holzbläsereinwürfen und treibenden Streichern gestaltet das gesamte Orchester „Danzón No. 2“ von Arturo Márquez mit beeindruckender Energie. Das ein oder andere Lächeln huscht über Musikergesichter. Das ist kein ernster Bruckner, kein schwelgender Mahler oder Wagner, das ist Lebensfreude. In dieses neue Musikgefühl müssen sie sich am Anfang noch einfinden, sind aber lange vor der Zugabe mit Leonard Bernsteins rasantem „Mambo“ vollständig dort angekommen. Karl-Heinz Steffens dirigiert mit angenehm frei wirkenden Gesten. Das Orchester reagiert vorzüglich auf feine Handbewegungen und den ein oder anderen Tanzschritt auf dem Podest. Vier weitere Konzerte mit Kompositionen des 20. Jahrhunderts und verwandten Werken, in denen es auch um die Verzahnung mit den Naturwissenschaften gehen soll, werden in der Musikfest-Reihe „Modern Times“ zum Saisonbeginn folgen. Der Abend im Rosengarten war ein vielversprechender, wunderschöner Auftakt – wenn auch etwas zu lang geraten. Dass zahlreiche Besucherplätze leer blieben, ist bedauerlich, denn wer Tango nicht analysieren und in aller Tiefe ergründen möchte, kann an ein solch gelungenes Konzert auch anders herangehen: einfach zurücklehnen und genießen.

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