Rheinpfalz Leitartikel: 54 - 74 - 90 - 2014

Deutschland ist Fußball-Weltmeister. Erstmals holte eine europäische Mannschaft in Südamerika die WM-Krone. Nach den Titelgewinnen 1954, 1974 und 1990 war es ein langer Weg zum vierten Stern.

Dieser Titel ist das Produkt der tiefgreifenden Veränderungen im deutschen Fußball nach dem enttäuschenden Abschneiden und desaströsem Spiel bei der EM 2000 in Belgien und den Niederlanden. Nach der Bruchlandung und dem gescheiterten Intermezzo mit Erich Ribbeck als Bundestrainer positionierte sich der deutsche Fußball von Grund auf neu, legte viel mehr Wert auf die Ausbildung des Nachwuchses, baute Jugendzentren auf und aus, stellte sich neu auf. Der DFB konnte nach und nach die Früchte ernten. Von der deutschen U21-Mannschaft, die 2009 Europameister in Schweden wurde, standen am Sonntag sechs Spieler im Kader: Manuel Neuer, Mesut Özil, Benedikt Höwedes, Jérôme Boateng, Mats Hummels und Sami Khedira. Das ist ein Teil dieser Erfolgsgeschichte. Diese Generation, protegiert von den Älteren, flankiert von der goldenen Generation um Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski, machte diesen Triumph möglich, 24 Jahre nach dem WM-Sieg in Rom. Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm sind die überragenden Führungspersonen dieser Mannschaft, natürlich auch Miroslav Klose, der bereits 2002 im Finale von Yokohama dabei war, und nun seine einmalige Karriere mit dem WM-Titel krönte. Klose ist 36 Jahre alt. Er hat die meisten WM-Tore geschossen und liegt mit 24 WM-Spielen hinter Matthäus (25) auf Rang zwei – was für eine großartige Karriere! „Kevin Großkreutz, man kennt ihn ja. Ich wusste aber nicht, was für ein cooler Typ das ist“, sagte Bastian Schweinsteiger nach dem Finale. Dieser Satz verrät viel über den Teamgeist der deutschen Mannschaft. Diesmal hat alles gepasst, die verschiedene Typen haben sich dem Erfolg untergeordnet. Die Dortmunder Borussen kamen mit den Münchner Bayern klar, die Münchner Bayern mit den Dortmunder Borussen, die Rivalität, die im Ligaalltag herrscht, wurde völlig ausgeblendet. Die Mannschaft hat sich – wie es für eine deutsche Mannschaft geziemt –im Laufe der WM gesteigert, sie war tatsächlich eine „Turniermannschaft“ und hat mit dem 1:0 gegen Frankreich im Viertelfinale den Druck weg gesiegt. Die Mannschaft hat körperliche Rückstände aufgearbeitet, sie hat sich auch von Rückschlägen wie dem Ausfall von Marco Reus nicht aus dem Takt bringen lassen. Anfangs war die Skepsis groß, ob die Mannschaft in Brasilien wirklich zu Großem würde fähig sein. Deutschland debattierte über richtige und falsche Neuner, Joachim Löw weigerte sich, dies mit in sein Gepäck zu nehmen, er hatte längst seinen Plan.Joachim Löw wird weitermachen, es wird in den kommenden Tagen keinen Rücktritt des Weltmeister-Trainers geben. Er ist (erst) 54 Jahre alt, es gibt augenblicklich keinen besseren Coach für diese Mannschaft. Er hat einen Traumberuf, was hätte er denn davon, alsbald in Moskau die russische Mannschaft auf die nächste WM vorzubereiten? Können Sie sich Joachim Löw vorstellen, wie er sich alle drei Tage in der Bundesliga stellen muss? Beim Hamburger SV beispielsweise? Warum sollte er das tun? Joachim Löw wird weitermachen, weil es immer noch aufregend ist, mit der deutschen Elf zu arbeiten. Mario Götze startet erst durch, Marco Reus kommt zurück, hoffentlich Ilkay Gündogan, Pierre-Michel Lasogga ist mal wieder ein richtiger Mittelstürmer, Matthias Ginter und Erik Durm waren schon jetzt im Kader – Lahm und Schweinsteiger sind noch hungrig. „Diese Mannschaft ist noch nicht fertig“, sagte Löw. Und genau das macht den WM-Sieg so verlockend. Um das Team hat er ein Team aufgebaut, wie es professioneller nicht geht. Der WM-Titel von Rio de Janeiro, das ist Joachim Löws Werk.

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