Rheinpfalz Kommissar Computer

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Es klingt nach Science-Fiction: Ein Programm kann berechnen, wo demnächst wahrscheinlich eine Straftat geschieht. In den USA ist eine derartige „vorausschauende Polizeiarbeit“ keine Zukunftsmusik mehr. Jetzt wird in Bayern eine Software zur Analyse großer Datenmengen getestet – bundesweit eine Premiere.

Eines Tages stand ein Polizist bei Robert McDaniel in Chicago vor der Tür. Seine Botschaft an den 22-Jährigen war freundlich, aber klar: Mach keine Dummheiten mehr, oder es könnte böse enden. Sollte McDaniel weiter in Verbrechen verwickelt sein, sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er erschossen werde oder selbst jemanden erschieße. Das hatte der Computer der Polizei errechnet, der unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren wie Wohnort oder frühere Delikte eine „heiße Liste“ mit mehr als 400 gefährdeten beziehungsweise gefährlichen Personen in der Stadt ausgespuckt hatte. Denen statteten die Beamten nun Besuche ab zur Prävention, wie die „Chicago Tribune“ im August 2013 berichtete. Der Einstieg in „predictive policing“, wie die verschiedenen Ansätze vorausschauender Polizeiarbeit mittels Datenanalyse genannt wird, läuft in Bayern eine Nummer kleiner ab. Anfang der Woche ging in München und Nürnberg eine Prognosesoftware in den sechsmonatigen Probebetrieb, die die Einsatzplanung ergänzen soll. Speziell geht es darum, die Anzahl der Wohnungseinbrüche zu verringern. „Precobs“ heißt das Werkzeug, entwickelt wurde es vom Duisburger Institut für musterbasierte Prognosetechnik. Der Ansatz: Muster im Täterverhalten erkennen. Am besten funktioniert das bei Delikten wie Diebstahl, Raubüberfall und Einbruch, weil hier große Mengen an statistischem Material zur Verfügung steht. Jeden Tag werden in „Precobs“ nun aktuelle Fälle in vorab berechneten Kriminalitätsschwerpunkten eingespeist. Sprechen bestimmte Konstellationen dafür, dass mit Folgedelikten zu rechnen ist, schlägt das System Alarm. Ein Polizeibeamter bewertet dann diese Prognose und setzt möglicherweise eine Streife gezielt in Marsch. Die sogenannte Lagearbeit gab es auch schon ohne Computer, sie war aber viel aufwendiger. Durch die Software wolle man schneller wesentlich bessere und zielgerichtete Aussagen erhalten, beschreibt Günter Okon vom bayerischen Landeskriminalamt das Ziel. „Es ist kein Allheilmittel, sondern eine Möglichkeit, die polizeiliche Arbeit zu unterstützen.“ Der Einsatz von Computern und Datenverarbeitung bei der Verbrechensbekämpfung ist so neu nicht. In den 90ern beispielsweise modernisierte New York mittels „CompStat“ seine Polizeiarbeit. Im Zentrum stand die Analyse von Kriminalitätskennzahlen und die schnelle Bereitstellung von Informationen zur Sicherheitslage in einzelnen Stadtgebieten. Das diente hauptsächlich als Management-Werkzeug. Erfahrungen mit „predictive policing“ wurden dann seit etwa 2010 zunächst in Los Angeles und Santa Cruz gesammelt, wo immer größere Datenmengen zur statistischen Auswertung und Mustererkennung zusammengeführt wurden. Die dahinter liegenden Algorithmen stammen häufig aus Programmen zur Berechnung von Erdbeben. Während früher die sogenannte Verbrechenskartierung nur darstellte, wie sich Delikte in einem geografischen Gebiet verteilen, konnten nun vielfältigste Faktoren einbezogen und nahezu in Echtzeit berücksichtigt werden. In Santa Cruz gab es für die Polizisten jeden Morgen eine Art Wettervorhersage für Verbrechen. Viele Städte arbeiten inzwischen mit ähnlichen Systemen. Zürich war einer der Vorreiter in Europa, die Stadtpolizei testete 2013 ein halbes Jahr lang die Software, die auch in Bayern zum Einsatz kommt. Mit Erfolg: Bei fünf von sechs Prognosen hätten sich tatsächlich Folgedelikte ereignet, die Anzahl der Wohnungseinbrüche sei in dem vom System überwachten Gebiet stärker gesunken, während die Verhaftungsquote im regulären Patrouillendienst habe verdoppelt werden können, sagen die Verantwortlichen in Zürich. Inzwischen wurde „Precobs“ in den regulären Betrieb übernommen. Eine solche Bilanz weckt Interesse, wobei sich vor Bayern noch kein Bundesland an die neuen Methoden heranwagte. Nordrhein-Westfalen hat jetzt aber ein Auge auf Kommissar Computer geworfen. Das „polizeiliche Bauchgefühl“ könne mithilfe moderner Technik noch deutlich verbessert werden, findet Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann. Eine „Muster-Analyse“ wolle man in Kriminalitätsschwerpunkten der Städte Köln und Duisburg erproben. Rheinland-Pfalz gibt sich zurückhaltender. Das Landeskriminalamt schaue sich Projekte anderer Bundesländer natürlich genau an, heißt es aus dem Innenministerium. Doch seien die Experten skeptisch: In Ballungsgebieten seien relativ verlässliche Prognosen wohl möglich, die Frage sei aber, wie sich das auf den ländlichen Raum übertragen lasse, der Rheinland-Pfalz prägt. Die Verarbeitung von Massendaten weckt auch Ängste. Der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri hat sich noch kein umfassendes Bild über das Vorhaben der Polizei gemacht, will daher noch keine Einschätzung abgeben. Er weist allerdings darauf hin, dass man unterscheiden müsse zwischen dem Einsatz von Prognosesoftware, die vor allem auf statistischen Prozessen beruhe, und anderen Formen polizeilichen „Data Minings“. Die Rasterfahndung etwa, wie sie in den 70ern zur Fahndung nach Linksterroristen eingesetzt wurde, war ein kritischer Fall. Große Mengen Daten von Bürgern wurden so lange von Computern gefiltert, bis wenige Datensätze mit verdächtigen Merkmalskombinationen übrig blieben. Das Duisburger Institut betont, dass seine Software keine personenbezogenen, sondern ausschließlich anonymisierte Daten direkt aus dem jeweiligen Erfassungssystem der Polizei verwende – keinerlei sonstige Informationen aus anderen Datenbanken. In keinem Fall würden zudem Aussagen hinsichtlich potenzieller Täter oder Tätergruppen getroffen. In dieser Hinsicht sei „Precobs“ datenschutzrechtlich unbedenklich.

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